Letzte Woche diskutierte der bibliophile Teil der Republik die Frage, ob Buchhändler Bücher rechter Autoren präsentieren sollten. Die veröffentlichten Positionen von Margarete Stokowski und Michael Lemling, dem Geschäftsführer der Buchhandlung Lehmkuhl, sind nachzulesen. An dieser Stelle sollen nicht die Argumente abgewogen werden, sondern ihre Prämissen hinterfragt werden. Es soll um die maßlose Überschätzung der Bücher gehen. Sie ist goldig, aber auch naiv.
Verstehen Sie mich nicht falsch! Als Publizisten, Buchhändler oder Leser neigen wir dazu, die Bedeutung der Bücher zu überschätzen. Die traurige Realität aber ist: Die allermeisten Menschen lesen selten Bücher. Manche, gar nicht wenige!, sogar nie. Und wenn sie lesen, dann nicht unbedingt kluge Essaysammlungen. Sie lesen auch nicht, um sich eine Meinung zu bilden. Das mag ein Schock sein für den ein oder anderen Feuilleton-Aficionado. Die Vorstellung, dass ein Bürger in vernünftige Diskurse eintreten will, indem er liest, Wissen erschließt und sogar eigene Haltungen hinterfragt, ist stark idealisiert. Wie Diskurstheorie mit fancy Instagramfiltern.
Debatten wie die Causa Lehmkuhl/Stokowski sind dagegen ein grandioses Beispiel für Filterblasen. Aber nicht in dem Sinne, dass diese Blasen nur eine Meinung repräsentierten. In meiner Social Media-Bubble habe ich inzwischen etliche differenzierte, absolut gegensätzliche Meinungen zum Fall gehört. Aber außerhalb dieser Bubble, in der Welt meines sozialen Umfelds (viele Akademiker, aber kaum Geisteswissenschaftler), findet diese Debatte nicht statt. Warum das so ist, wissen wir aus Pierre Bourdieus Habitustheorie: Das spezifische Verständnis von Büchern als Seelentröster und Diskursantriebsmaschinen ist Teil eines bildungsbürgerlichen Habitus. Man (Sie und ich) muss die Debatten kennen, um mitreden zu können. Wir (Sie und ich) vergessen darüber, dass diese Debatten für Menschen mit anderem Habitus gänzlich unwichtig sind.
Wie kommt das Denken aus dem Buch in den Kopf?
Erinnern wir uns an die Argumente in der Debatte, so ließen sie sich so zusammenfassen: Buchhändler Lemling möchte, dass sich informierte Citoyens eine Meinung bilden können. Die Autorin Stokowski wiederum fürchtet um eine Normalisierung rechten Denkens.
Nun müssen wir uns ganz grundsätzlich fragen: Wie kommt das Denken aus dem Buch in den Kopf? Die Frage ist ernst gemeint und betrifft Grundlagen der Rezeptionsästhetik. Ein und dasselbe Werk, das wissen wir, kann vollständig unterschiedliche Leseerfahrungen erzeugen. Fragen Sie drei habituell möglichst unterschiedliche Menschen, und Sie werden den Eindruck gewinnen, sie hätten drei gänzlich unterschiedliche Bücher gelesen. Auch Literaturwissenschaftler und Kritiker, also professionelle Leser, können unterschiedliche Lesarten eines Textes generieren. Denn das, was zwischen den Buchdeckeln steckt, diffundiert nicht in die Hirnwindungen des Lesenden, sondern dockt dort an bestehende Erfahrungen und Wissen an.
Wie verhält es sich mit Hassbotschaften? Mit radikalen, hasserfüllten Texten wie beispielsweise Hitlers „Mein Kampf“? Vermögen sie den Lesenden zu radikalisieren? Ganz allgemein gilt: Bücher sensibilisieren, sie radikalisieren nicht. Oder glauben Sie etwa ernsthaft, jemand sei über die Lektüre der Schwarzen Hefte Martin Heideggers zum prügelnden Neonazi geworden?
Ideologie wirkt nie in reiner Textform zwischen Buchdeckeln. Propaganda beruht auf der Verknüpfung von Rede und Bild. Die Botschaft muss inkorporiert werden. Nicht umsonst geht es in antiker Rhetoriktradition ums Movere, um die bewegende Rede. Und das ist durchaus konkret physisch gemeint.
Halt, warum verbrannten die Nationalsozialisten dann Bücher? Gewiss nicht, weil die Kästners und Klemperers dieser Welt ihnen durch Gedrucktes gefährlich werden konnten. Bücherverbrennungen waren (und sind!) ein dezidiert antiintellektueller Gestus. Dieser wendet sich nicht gegen die Inhalte der Bücher, sondern gegen die Träger der kritischen Diskurse. Die Verbrennung greifbarer Bücher präfiguriert die körperliche Vernichtung der Intellektuellen (Juden waren DIE Verkörperung der Intellektuellen in den 20er und 30er Jahren).
Aber wie steht es mit Texten, die womöglich ihr wahres Wollen verschleiern und so unbewusst Denken prägen? Beispielsweise durch Framing? (Framing meint, dass durch Sprache bestimmte Denkrahmen gesetzt werden, die uns unbewusst beeinflussen). Framing evoziert Bilder, das geschieht viel eher durch lebendige Rede, als durch gedruckten Text, der stets körperliche und mediale Distanz generiert. Bei der Rezeption eines Textes gelingt es viel leichter, Frames zu hinterfragen, als in einer gut vorgetragenen Rede.
Entsprechend müssen politische Bewegungen mit bildreicher Rede agitieren. Das Argumentieren in Texten dient viel häufiger der Beschwörung und Vertiefung der Gemeinschaft, die körperlich bereits gebildet wurde.
Nehmen wir die Identitäre Bewegung: Die Blogs dienen keinesfalls der Agitation und Propaganda nach außen. Die Identitären wollen der schlagkräftige Arm der neurechten Bewegung sein. Man setzt auf einen Intellektuellenhabitus, der das Bild des dumpfen Rechten verdrängen soll. Immer wieder widmen sie sich dezidiert dem Thema, dass Intellektualismus nach 1945 stets als links gedacht wurde (dezidierter noch widmet sich die "Sezession im Netz" um Autoren wie Martin Lichtmesz und Götz Kubitschek dem Thema). Sie setzen ihm das Bild des rechten Intellektuellen entgegen und stellen eine gedankliche Genealogie zu Denkern wie Carl Schmitt und Martin Heidegger her. Zugleich eignen sie sich auch Antonio Gramscis Ideologietheorie oder die Habermas‘sche Diskurstheorie an, und zwar nicht nur, um sich von ihm Strategien zur Beeinflussung des Diskurses anzueignen. Diese Offenheit für linke Autoren dient dem Beweis des eigenen „offenen“ Denkens, während der linksliberale Meinungsmainstream als vermachtet und unfrei dargestellt wird.
Nun sind Diskurse immer vermachtet, weil nicht jeder über alles reden kann. Und man muss auch keinen Hassbotschaften Raum geben, um sich zu beweisen, wie offen der Diskurs ist. Aber Texte wie „Mit Linken leben“ wird bei keinem Leser die politische Gesinnung ändern.
Tagelange Debatten darüber, welches Buch wo angeboten werden darf (und es geht hier ja nicht um indizierte Bücher!), rauben Debattenplätze für die Frage, wie rechte Strukturen, die Gemeinschaft bilden, in denen Menschen sich radikalisieren, aufgelöst werden könnten. Denn in den Gemeinschaftsstrukturen findet ja die Normalisierung statt.
An dieser Stelle sei an Karl Mannheims Unterscheidung zwischen kommunikativem Wissen und konjunktivem Wissen erinnert: Kommunikatives Wissen ist dasjenige, das in Wort und Schrift zirkuliert und allgemein verfügbar ist. Sie wissen, was ein Tisch ist, weil es ich um einen kommunikativen Wissensbestand handelt. Konjunktives Verstehen dagegen entsteht in Gemeinschaften – Familien, Clubs, Jugendbewegungen etc. Es ist ganz konkret an Nähe, körperliche Erfahrung und gemeinsame Erlebnisräume gekoppelt. Obwohl Sie wissen, was ein Tisch ist, haben Sie kein Bild von dem Esstisch meiner Familie – meine Geschwister schon. Wir teilen konjunktives Wissen. Ich könnte Ihnen diesen Tisch beschreiben, aber er würde trotzdem nicht dieselben emotional eingefärbten Bilder evozieren wie bei meiner Familie.
Genau dieses konjunktive Wissen ist entscheidet für die (neu)rechten Bewegungen (wie für jede andere Bewegung auch). Erinnern Sie sich noch daran, dass Pegida anfangs schweigend marschierte? Weil man einander verstand und implizites, konjunktives Wissen teilte, das gar nicht expliziert werden musste. Die späteren Reden dienten der bereits geformten Gemeinschaft nur der Abgrenzung nach außen. Wer die Erfahrungsräume der Mitlaufenden nicht teilt, wird durch die Reden nicht radikalisiert werden, im Gegenteil: Das Unverständnis wuchs durch jede Rede, die Überfremdung (bei minimalen Ausländeranteil) oder islamische Bedrohung thematisierte.
Die Unterscheidung zwischen konjunktivem und kommunikativem Wissen zeigt, warum uns das Lesen rechter Bücher oder Blogs weder radikalisiert, noch Rechte besser verstehen lässt. Ich habe viel Zeit damit verbracht, identitäre Blogbeiträge zu lesen. Wie es sich aber anfühlte, als Identitäre das Gespräch zwischen Margot Käßmann und Jakob Augstein störten, kann ich nicht wissen. Ich könnte mich dem Gefühl nachdenkend annähern oder psychologisierend deuten, aber nicht verstehen, jedenfalls nicht im Sinne Mannheims. Ich glaube aber, dass dieses Gemeinschaftserleben Kern jeder politischen Bewegung ist.
Die Pointe lautet also: Buchhändler und Autorin haben beide gleichermaßen Unrecht. Weil sie Büchern Wirkungsweisen unterstellen, die sie realiter nicht besitzen. Man wird Rechte nicht besser verstehen, wenn man ihre Bücher und Blogs gelesen hat. Man wird sie jedoch auch nicht weiter normalisieren. Normal ist ihr Denken ohnehin schon, denn seit Jahrzahnten zeigen Erhebungen, dass europaweit antijüdische und generell rechte Ressentiments von circa 20 Prozent der Bevölkerung geteilt werden. Das ist keine Mehrheit, macht dieses Denken aber zu einem normalen Bestandteil unserer Welt. Ob uns das nun gefällt oder nicht.
Wer rechte Gewalt eindämmen will, muss weder rechte Bücher lesen, noch deren Verkauf problematisieren. Er muss die Ausweiterung rechter Gemeinschaftsräume unterbinden. Ganz alltagspraktisch. Es geht um rechte Konzerte, um NPD-Kinderfeste und AfD-Lehrerpranger. Lassen wir Kubitschek und Co. Bücher schreiben. Während sie das machen, können sie nichts Schlimmes anstellen.
Kommentare 12
Sehr geehrte Frau Hobrack,
warum so kompliziert? Warum Büchern, die vielleicht irgendwann zwischen Speicher- und Abspielmedium vielleicht sowas wie KI entwickeln werden, aber heute noch immer schlicht aus Papier und Druckerschwärze bestehen, warum also diesen Gegenständen ein "Wollen" andichten? Insofern ist die Feststellung im Teaser, dass sie "weder radikalisieren noch normalisieren (wollen)", msbMn so wahr, wie eine Binsenweisheit halt wahr ist.
Wer sich über "das Buch" und seine Funktionen (!) informieren will, kann dazu gerne die Rede lesen, die Umberto Eco am 1. November 2003 anlässlich der Eröffnung der Bibliotheca Alexandrina gehalten hat: "Vegetal and mineral memory: The future of books". Einen Aspekt hat Eco darin nicht angesprochen, dass man damit Geld verdienen kann. Das wäre vielleicht angesichts seines Erfolges als Autor bei dem Anlass vielleicht auch unpassend gewesen.
Es ist aber das Thema von Margarte Stokowski. Und ja, sich das eine oder andere Buch aus der Präsenz einer Bibliothek zu Gemüte zu führen, ist ein guter Vorschlag: In der Ruhe der erhabenen Halle wird man es nicht wie zuhause 20 Mal gegen die Wand knallen, sondern befleißigt sich. Und gibt für Antaios & Kameraden nicht eine müde Lira extra.
Beste Grüße, ms
Bücher wollen gar nichts. Ein Buch ist gebundenes, bedrucktes Papier. Ein toter Gegenstand.
Gut, das war jetzt spitzfindig. Aber gerade, wo es ums Inhaltliche, um das Medium geht, sind die Argumente des Artikels sprunghaft und widersprüchlich. So heißt es zunächst, Hassbotschaften und Propaganda verfingen nur via sinnlich angereicherter medialer Vermittlung. Movere, und so ... Sicher. Texte allein haben noch selten - oder nie - die Massen dergestalt bewegt (NB: Die Antike taugt nicht als Zeuge. Da gab es noch keine, nunja, Bücher. Man hat ja eben allein geredet und gerethorikt - modern gesprochen: performt). Später im Text heißt es dann wiederum, kommunikativ verstehe man sich nur, wenn man eh schon 'den selben Film schiebt'. Was dann dazu noch an Reden und medialer Beschallung aus dem selben "Film" dazu käme, diene allenfalls als Verstärker. Das stimmt mit Sicherheit auch. Aber der Schluß ...
"Die Unterscheidung zwischen konjunktivem und kommunikativem Wissen zeigt, warum uns das Lesen rechter Bücher oder Blogs weder radikalisiert, noch Rechte besser verstehen lässt."
... ist so nicht zulässig. Denn die dargelegte Theorie von "konjunktivem" und "kommunikativem Wissen" lässt eben keinen Schluss auf Bücher, d.h. hier Texte, zu, sondern besagt allein, wer - um beim Beispiel zu bleiben - nicht schon Pegida ist, wird ohnehin nicht erreicht und zwar unabhängig vom Medium. Gilt freilich gleichermaßen in die umgekehrte Richtung.
Trotz meiner Kritik gern und gewinnbringend gelesen!
Man sollte Bücher weder über- noch unterschätzen. Sie verstärken oder schwächen Vorhandenes. Daß sie zu Neuem anregen, ist sehr selten.
Aber ich würde einen anderen Aspekt in den Vordergrund stellen. Bücher tragen zur Kommunikation bei, zu einer distanzierteren Kommunikation. Damit ist nicht gesagt, daß sie grundsätzlich die Kommunikation verbessern, natürlich schüren sie gelegentlich Haß. Aber selbst dann machen sie sichtbar, man hat ihren Beitrag schwarz auf weiß vorliegen, kann und muß darauf reagieren. Unter der Voraussetzung, daß sich das Denken evolutiv entwickelt hat, weil es biologisch nützlich ist, muß man das Denken, das die Verschriftlichung anregt, insgesamt positiv werten. Auch der Haß wird in Büchern auf die argumentative Ebene gehoben, so kann und muß ihm gegebenenfalls (nicht immer) widersprochen werden. Daher bin ich grundsätzlich für das schriftliche Veröffentlichen. Mit Ausnahme extremer Aussagen, die erkennbar für eine große Mehrheit als nicht mehr tolerierbar ausgeschlossen werden dürfen. Der Anspruch auf formale Mäßigung schränkt die Meinungsfreiheit nicht unzumutbar ein.
Das ist eine der verständigsten Analysen darüber, was in der Auseinandersetzung mit Rechten schiefgeht, die ich im Freitag je gelesen habe. Chapeau.
Oje – zum Stokowski-Lehmkuhl-Showdown nun auch das, was man beim Freitag stetig befürchten muß: ein akademischer Schwurbeltext, der viele Worte macht, aber im Grunde nur eins vermeiden will: in der Sachfrage Partei zu ergreifen.
Da auch Frau Hobrack in bekannter Cloud-Manier die Fakten als bekannt voraussetzt und sich auf »Meinung pur« beschränkt, hier erst mal die Links mit dem »Fakten«:
Stokowski
Lemling (Buchhandlung Lehmkuhl)
Zur Frage, ob man soll oder nicht soll: In der grundsätzlichen Haltung bin ich klar bei Margarete Stokowski. Die Normalisierung von rechtem Gedankengut darf rundweg nicht hingenommen werden. Aber wie soll das geschehen? Naiv bis im Grundimpetus herablassend ist da leider Stokowskis Anspruch (an andere?), wer sich da selbst kundig machen wolle, habe eben die Mühe von Bibliotheken auf sich zu nehmen – sprich also: sich in ein Umfeld zu bewegen, dessen Sitten und Gebräuche die Vorkenntnis akademischer Arbeitsweisen sowie den dazugehörigen kulturellen Habitus erfordert (um von Lagen sowie dem sich daraus ergebenden Umstand, dass er potenzielle Antifa in Bad Hölz wohl kaum die Möglichkeit hat, von dieser antifaschistischen Boykottwaffe Gebrauch zu machen, erst gar nicht zu reden).
Die Buchhandlung mit ihrer Voltaire’schen Haltung gegenüber dem Wort und der Freiheit der Diskussion ist mir zumindest von der grundsätzlichen Haltung her ein gutes Stück näher. Auch faktisch spricht für die Zur-Verfügungstellung von Originalquellen einiges. So habe auch ich die Antaios-Publikation »Mit Linken leben« mit Gewinn gelesen und dem herausgebenden Verlag dafür das Geld halt in den Rachen geworfen. (Meine Meinung: Wer sich kundig machen will, wie die neuen Rechtsaußen »ticken«, findet derzeit kein besseres Buch.)
Das Dilemma des Problems ist, dass es dafür keine vernünftige Auflösung gibt. Provokativ gefragt: Wenn 70 bis 80 Prozent dieser Art Bücher an linke Interessenten weggehen würden – wo wäre dann das Problem? Würde nicht gerade dieser Umstand die Ärmlichkeit der rechten Welterklärungsversuche unter Beweis stellen (auch wenn es, zugegeben, die Propaganda Machine von Kubitschek & Co. mit neuem Schotter füttert)? Die grundsätzliche Problemstellung ist allerdings die: Wozu Fragen aufwerfen (darf man rechte Originalquellen lesen?) und im Anschluss daran ordentlich Energie in ihre Beantwortung verpulvern, wenn sie a) nicht nur zweitrangig sind, sondern b) unter den gegebenen (marktwirtschaftlichen) Verhältnissen auch nicht zu lösen?
Dass ein stalinistischer bzw. gutmenschlicher Literaturkanon auch unter den besten Umständen nicht das Gelbe vom Ei ist, sollte sich bei alldem von selbst verstehen.
-- "Zitat - "Wer rechte Gewalt eindämmen will, muss weder rechte Bücher lesen, noch deren Verkauf problematisieren. Er muss die Ausweiterung rechter Gemeinschaftsräume unterbinden. Ganz alltagspraktisch. Es geht um rechte Konzerte, um NPD-Kinderfeste und AfD-Lehrerpranger. Lassen wir Kubitschek und Co. Bücher schreiben. Während sie das machen, können sie nichts Schlimmes anstellen.--"
Ich weiß nicht, was ein österreichischer Autor getan hat, als er "Mein Kampf" schrieb. Bestimmt "nichts Schlimmes", er hatte noch nicht so viele Leser. Wenn Sie heute darauf verweisen, dass das ja nicht radikalisiert, dann ist das auch reichlich unhistorisch.
Aber ich denke: Die Ausweitung "rechter Gemeinschaftsräume" hat auch mit Büchern zu tun, mit Buchhandlungen und Buchvertrieb ebenso. Und zwar genau, weil Bücher gar nicht so viel "wollen", aber im Rahmen der Kommunikationswege, die mit ihnen verbunden sind ,eben doch für sie eine Menge Verbreitung auch rechter Normalität sorgen können. Gerade in der Gegenwart, wo alles so ineinander übergeht. Und manchmal geht es auch um Symbolik. Die spielt bei den "Rechten" eine Rolle und da ist eine Welt, die es inzwischen für ganz normal hält, dass solche Bücher ihr Eckchen bekommen oder auch eine Ecke, nicht so gut. Vor allem, wenn eine Autorin wie Stokowski, die sich ganz explizit dagegen wendet, so übel beschimpft und abqualifizirt wird, wie ich es anderswo gelesen habe. Die will ja auch die Bücher nicht verbieten, sie will dort nur nicht lesen. Und das ist auch gut so.
"Die will ja auch die Bücher nicht verbieten, sie will dort nur nicht lesen. Und das ist auch gut so."
Ja, das ist die schlichte Wahrheit. Mehr müsste über das Vorkommnis nicht gesagt werden. Aber dann kann man sich ja nicht damit wichtig tun, eine "Causa" zu konstruieren.
Außerdem: Die Inquisitoren brauchen in regelmäßigen Abständen eine Hexe.
Wie soll man, ohne Gegenpart, zu einer Diskussion kommen, geht es um die Bewertung der Folgewirkung rechter Literatur und pseudosachlicher Bücher, die Rechte konsumieren?
Auch die Literatur, besonders die "Sachbuchwelt", ist ein geistiger Großraum, mit Wirkung.
Davon lebt z.B. der Kopp- Verlag und Versand, nicht nur der pseudointellektuelle Antaios- Verlag. Davon lebt aber auch deren spezielle Buchkundschaft, die nicht klein ist. Auf der Antaios- Ebene, wirkt zum Beispiel Sieferles "Finis Germania".
Auf der Ebene des Versandbuchhandels und der Superbestseller beeinflusst, was sich der Sozialdemokrat Thilo Sarrazin, 2010, ausdachte, mit "Deutschland schafft sich ab", der neuen roten Bibel aller Grauen. - Vor den Rechten schützt weder das Christentum, noch eine andere Religion, kein schwules und lesbisches Dasein, Intelligenz, wie Bildung, immer weniger.
Dieser populäre Raum, vielleicht auch vornehmlich für ältere Leser und entschieden weiße, teutonische Männer eingerichtet, wird nicht nur bespielt, sondern auch beständig erweitert, indem alle Feuilletons, alle Talks, alle Satiresendungen und Alpha- KommentatorInnen Deutschlands, von den Beta- Omega- Kommentatoren erfahren wir nur an Stammtischen oder deren Äquivalenten, sowie in der dFC, dem Bedeutung geben.
Carl Schmitt und Martin Heidegger, wohlfeil deren Namen zu nennen, lassen sich aber ebenso von Demokraten, Linken, Liberalen und Konservativen aneignen, weil sie, im Falle Schmitts, zeigen, wohin die Rechte drängt und im Falle Heideggers, wie man ein falsches Leben, gegen die eigene Philosophie, gegen "Sein und Zeit", aber auch gegen die eigenen "Nachwendebücher" führt, wie weit man sich von der "Lichtung", vom Blick ins Offene, abwenden kann.
Die detailversessensten und umfänglichsten Exegeten beider Autoren waren und sind Linke, die noch den Rat befolgen, sich durch die primären Quellen zu quälen.
Das Buch ist immer noch, darin liegt seine Bedeutung, auch für Nichtleser oder Wenigleser, meist sind das ja Männer, ein Erzeugnis, das erworben und manchmal auch gelesen, sei es auch nur für ein Zitat, das Vorwort oder in der heute eigentlich üblichen, zeitsparenden Form, rezensiert und kritisiert, über sekundäre und tertiäre Literaturen wahrgenommen, als Statusanzeiger dient.
Bücher vermitteln einen Habitus. Das wird habituell genutzt und lässt sich am Kaffeetisch und am Arbeitsplatz vortragen. Das kleidet, wie ein Ordenshabit. Das macht die eigene Haltung, die eigene Person kenntlich, sichtbar, kommunizierbar, wenn auch selten, diskutierbar.
Der Streit um rechte Literatur im Sortimentbuchhandel, ist einer um die Frage der Berechtigung des Boykotts, weniger der Auswahl aus dem Sortiment, die ein Buchhändler für seine Kunden vorhält. In einem Tag, vielleicht in zweien, steht diese Literatur überall, vor allem aber auch über den Online-Versand, zur persönlichen Verfügung.
In meiner Stadt gab es lange einen etwas schmuddeligen, dunkelgebeizt eingerichteten und verrufenen Buchhändler, mit Antiquariat, der neben Massen an pseudosachlichen Büchern aller Kriege, die Bedürfnisse der Menschen mit autoritärem Syndrom befriedigte. Heute bestellen diese Menschen direkt aus den USA oder Kanada, oder eben bei den einschlägigen Versendern.
Aber Autoren oder Künstler, auch wir kunstvollen LeserInnen, können uns immer noch aussuchen, wo wir auftreten, als Lesende, Diskutierende, Konsumierende. Schon unser aller "Tucho", wenn auch über die Jahre seines Wirkens, mit immer mehr Resignation im ceterum censeo, empfahl gegen die weitverbreitete Schützengraben- und Offiziers- Literatur, gegen die Kriegsvorbereiter in der Zwischenkriegszeit nach dem ersten Weltkrieg und gegen die vielen völkischen und nationalistischen Titel, ja sogar gegen die rechte Presse und Teile seiner eigenen Journalistenzunft, den persönlichen Konsumenten-Boykott.
Vor dem Oberlippenbärtigen und den Hakenkreuzlern warnte Tucholsky übrigens schon in den frühen Zwanzigern! - Vergeblich, wie man weiß, aber eben verständlich, sachlich, wie ein heutiger Aufruf, kein Palmöl mehr aufs Frühstücksbrötchen zu schmieren oder in den Tank zu füllen.
Mir fällt an den Elaboraten aus dem Hause Kubitschek nur auf, wie monoton und altbacken die Welten daherkommen, trotz Habermas- und Gramsci- Rezeption. Das ist eine entfärbte Welt.
Was mir noch dazu einfällt: Einst glaubten wir Linke an die "Explosion der Mitte" (John Willett) und heute glauben viele Alt- und Ostbürger inbrünstig, ihre Mitte ginge verloren (Hans Sedlmayr), wenn sie nicht einförmig und rein, nicht deutsch genug, erhalten werde. Das ist retro.
Beste Grüße
Christoph Leusch
"Ich weiß nicht, was ein österreichischer Autor getan hat, als er "Mein Kampf" schrieb. Bestimmt "nichts Schlimmes" [...]
Im Knast saß er, weil er mit dem ollen Ludendorff und Göring schon versucht hatte, Nägel mit Köpfen zu machen.
Ob "Mein Kampf" entstanden wäre, wenn alles anders gelaufen wäre? Kann sein, ist aber auch müßig, darüber befinden zu wollen. Den Ausschlag hat das literarische Machwerk so oder so sicher nicht gehabt. Aber es fiel auf einen fruchtbaren Boden und landete später in einer Unzahl deutscher Haushalte, wobei es auch wiederum nicht die Rolle spielt, wieviele es tatsächlich gelesen haben. Aber es war in jedem Falle ein Baustein. Insofern hast Du in jedem Fall recht, dass es so einfach nicht geht, den Beitrag von Büchern - und seien sie nur literarisches Beiwerk - zu gesellschaftlichen Verwerfungen beiseite zu wischen.
Tatsächlich ist es schade, über diese Frage, was der in Büchern geronnene Wille und die darin vorhandene fixierte Vorstellungskraft tatsächlich bewirkt, so einfach hinwegzuhoppeln, Miauxx. Das hat auch was von Hasenfüßigkeit, angesichts der enormen Wirkung vieler literarischer Texte.
Wenn Sie schon auf die Antike zu schreiben kommen, dann gilt für diese, dass die frühesten und prägenden Texte Absicherungen sind, die im Grunde "Verträge" festhalten. Das können Vertragstexte mit Göttern oder dem einen Gott sein, aber auch banale Verträge zu Erbschaften, Steuern und Abgaben.
Tatsächlich steckt im "Buch", als steinerner Tafel, als Rolle, als Text auf möglichst haltbarem Material, dazu zählt auch der Text auf säurefreiem Papier oder einer Kuhhaut und der verdienstvolle Versuch, die holzhaltigen Verfallsbücher zu retten, sehr häufig ein aktiver Wille, mehr als nur einen Menschen zu binden, mit einem guten Buchrücken. Noch erstaunlicher, dass dies tatsächlich mit Schriften und Büchern gelingt.
Die Bindung reicht von religiösen Sachverhalten, bis zum Humanismus der Charta der Vereinten Nationen. Von den Modellbildungen Sigmund Freuds, über den Aufbau der Person, bis zur Negation der Person, in der Ansicht, dass Menschen biologische Maschinen seien und letztlich für keine ihrer Handlungen wirklich verantwortlich zeichnen.
Sie haben, wie andere KommentatorInnen, allerdings Recht, dass das Studium rechter Texte, mag auch Literatur darunter sein, immer hilft, Rechte zu verstehen. Linke denken allerdings sehr oft so kritisch über die eigene Produktion nach, dass der Eine die Andere nicht versteht.
Ob also daraus eine Resignation folgt, man könne den Rechten auf Plätzen und Straßen, im Parlament und sozialen Foren, in Medien aller Art, nichts entgegensetzen oder aber, der Glaube und Wille erwächst, es zumindest zu versuchen, ist eine zweite Frage.
Beste Grüße
Christoph Leusch
Das ist leider einer der schlechtesten und uninformiertesten Texte, die je geschrieben wurden. Die Argumentation ist sprunghaft und widersprüchlich, läuft im Kern aber einerseits auf die triviale und politisch sinnlose Feststellung "Ein Buch ist ein Buch ist ein Buch ..." hinaus. Andererseits scheitert die Autorin (daher die merkwürdigen Gedankensprünge) an einer Darstellung des Wirkungszusammenhangs Text (meinetwegen: Ideen)-Lektüre-polit. Handeln und begründet zuletzt die Überflüssigkeit des Lesens mit dem erstaunlichen "Fakt" »es denkt eh jeder, was er eben denkt«. Ok, das alles mag für eine 12. Klasse reichen, aber leider nicht für den Kampf der Aufklärer gegen die Autorität und Gewalt der Kirche... usw. usw.
Wenn der Text gut argumentiert und begründet ware, könnte er vielleicht relevant sein. So aber ist er die BestaBestät seiner seiner eigenen Behauptung.
Bücher wirken (!) - und man/frau muss sie noch nicht einmal selbst lesen. Die Wirksamkeit eines Buches hängt allerdings von ein paar Voraussetzungen ab als da wären: Der/die Autor*in muss ausreichend bekannt, am Besten berühmt sein. Diese Berühmtheit hat dann auch fast immer zur Folge, dass sich so ziemlich alle Feuilletonisten und Klugsprecher und Politiker jedweder Couleur über Autor und Text öffentlich äußern und dabei im Für und Wider des Meinungsstreits die Kernaussagen des Buches verbreiten. Diverse Filterblasen im Netz greifen das alles auf, verbreiten Meinungen und Kommentare dazu und fast alle eint, dass sie das Buch nicht gelesen haben - ein Paradox!
Das erste Machwerk Tilo Sarrazins ist ein gutes Beispiel dafür. Und wir konnten dabei beobachten, wie solch ein Buch in die Gesellschaft hinein gewirkt hat und für überwunden erachtete rechte Gesinnungen durch die Diskurse rund um dieses Buch ans Tageslicht gefördert wurden. Debatten in meinem politisch indifferenten Freundeskreis haben mir genau dies vor Augen geführt.
"Bücher wollen weder radikalisieren noch normalisieren." Dem kann ich nur zustimmen - es sind nicht die Bücher, sondern deren Schreiber, die Absichten damit verfolgen und damit mehr oder weniger Erfolg haben; siehe oben.
"Die Causa Lehmkuhl/ Stokowski zeigt unsere maßlose Überschätzung des Buches." Führe ich mir meine oben geschilderten Erfahrungen mit Sarrazins Mist noch mal vor Augen dann kann ich dieser Aussage nicht aus vollem Herzen zustimmen.
"Die Unterscheidung zwischen konjunktivem und kommunikativem Wissen zeigt, warum uns das Lesen rechter Bücher oder Blogs weder radikalisiert, noch Rechte besser verstehen lässt." So gesehen haben in der Sarrazin-Debatte allerdings sehr viele konjunktives Wissen geteilt und in der Folge auch im realen Leben Nachdruck verliehen.
Bücher - maßlos überschätzt?