Ein Abend mit Christoph Sieber

Kabarett Deutschland Das deutsche Polit-Kabarett sei tot oder rettungslos veraltet – heißt es machmal. Das Gegenteil ist der Fall. Der 35jährige Christoph Sieber überzeugt.

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Am 1. April sah ich ihn zum ersten mal auf der Bühne – nicht zum letzten mal.

Christoph Sieber hat die Absicht, sein Publikum mit unbequemen Themen zu konfrontieren und gängige Meinungsmuster zu analysieren und zu widerlegen. Das ist nicht ungewöhnlich für einen Polit-Kabarettisten, seine Methoden schon.

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Schon die Begrüßung ist direkt. Wie können Kabarett und Humor weiter praktiziert werden nach dem Flugzeugabsturz bei German Wings oder nach den Attentaten in Frankreich? Dabei verlässt er sofort wieder das Thema Flugzeugkatastrophe und konzentriert sich und uns auf die mediale Katastrophe, in der wir mit Sondersendungen und Fotostrecken und Gesprächen mit Experten, die noch gar nichts wissen können, belästigt werden.

Armut in ganz Europa, die absichtliche Ruinierung des deutschen Sozialstaats und die Kolonialisierung und Ausbeutung von Griechenland sind ebenfalls einige seiner Themen.

In seinen analytischen Fähigkeiten verdient Christoph Sieber durchaus einen Vergleich mit dem Altmeister Georg Schramm. Und wie dieser ist Sieber offensichtlich ein sehr zorniger Mensch. Im Gegensatz zu Schramm und dessen Figur des verbitterten Rentners Lothar Dombrowsky wickelt Sieber sein Publikum zunächst mit Charme und seinem Lausbubenlächeln ein. Er jongliert mit Bällen auf der Bühne und sagt zeitgleich ein Gedicht auf. Er führt uns einen albernen Rap-Tanz mit schief aufgesetztem Mützchen vor. Er lenkt uns immer wieder mit Albernheiten und Klamauk ab – nichts gegen Albernheiten und Klamauk, wenn es gut gemacht ist; Dieter Hildebrandt konnte großartigen Klamauk liefern – um uns dann vorzuführern, wie wir von Fernsehen, Pseudo-Forschungsinstituten und Regierungsorganisationen abgelenkt werden. Ohne Übergang zieht er uns nach einem Griechenland-Kalauer den Boden unter den Füßen weg und berichtet uns von der humanitären Katastrophe in Griechenland, wie viele Menschen dort kein Einkommen und keine Gesundheitsversorgung haben, wie viele Menschen auswandern, Selbstmord begehen oder sich vorsätzlich mit HIV infizieren, weil dann für sie die Gesundheitsversorgung besser ist.

Christoph Sieber wurde kürzlich mit dem Deutschen Kleinkunstpreis ausgezeichnet. Hier ist sein Auftritt von der Preisverleihung.

Er ist eine echte Empfehlung.

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Geschrieben von

Martin Betzwieser

Personifizierter Ärger über Meinungsmanipulation, Kino- und Kabarattliebhaber

Martin Betzwieser