AVATAR2 – Rettung oder Inferno für das Kino?

Film und Kino AVATAR2 – THE WAY OF THE WATER sah ich kurz vor Weihnachten. Ein Freund wollte den Film gemeinsam mit seiner Schwester und seiner Nichte sehen und ich wollte mitgehen. Wie schafften es aus Termingründen nicht.

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Der große Verdienst vom 2009er Riesenerfolg AVATAR ist, dass Kolonialismus, Ausbeutung, Umweltzerstörung und Völkermord in einem Blockbuster-Film thematisiert wurden. Schon damals war ich der Meinung, weniger wäre mehr gewesen. Der Film war visuell herausragend und inhaltlich tiefgründig. Aber die vielen illuminierenden Tiere, Pflanzen, Flechten und Pilze ermüden das Auge auf die Dauer und der Ethno-Kitsch nervt.

AVATAR veränderte und dominierte damals die gesamte Kinobrance. Weltweit mussten die Kinos auf digitale Projektionstechnik und 3D umgebaut werden. Es folgte durch AVATAR und andere vergleichbar teuere Blockbuster-Filme eine Verarmung der Kinokultur.

Warum wird nach so langer Zeit eine Fortsetzung gedreht? Erstens ist damit jede Menge Geld zu verdienen und zweitens ist James Cameron ein Besessener, der sich in die geplante AVATAR-Filmreihe hineinsteigert und nicht anders kann.

Die technischen Möglichkeiten und Methoden sind noch besser als 2009. Optisch ist AVATAR2 phänomenal gut. Inhaltlich schwächelt der Film sehr. Wir sehen zwar diesmal eine Geschichte der Vertreibung und der Flucht und es beginnt wieder mit einem zerstörerischen Angriffskrieg. Die Umweltausbeutung wird nur kurz beim Walfang thematisiert. Die komplexe Handlung von damals wird überwiegend auf ein banales Rachedrama reduziert. Ein damals verstorbener Charakter kommt als Avatar-Klon zurück, was kaum uninteressanter sein könnte. Und die 73jährige Sigourney Weaver spielt ihre eigene Tochter oder Enkelin, bei deren Charakter uns noch ein neuer filmischer Messias drohen wird. Der Ethno-Kitsch ist immerhin deutlich reduzierter. Die Entdeckungen, die es in AVATAR zu machen gab, gibt es jetzt nicht mehr. Es spielt am und im Ozean und sonst ist manches gleich. Auch hier gibt es einen Nervenbaum-Zentrum, diesmal als Riesenkoralle auf dem Meeresgrund. Dann gibt es Konflikte zwischen den jugendlichen der Einheimischen und Zugewanderten und dabei nerven ganz besonders manche „Bro“-Dialoge.

Aber das eigentliche Problem ist, dass wir gar keinen Film sehen. Ganz abgesehen vom Trägermaterial Film, dass außer in manchen Filmkunst-Theatern und Filmmuseen gar nicht mehr abgespielt werden kann, sehen wir keinen Film mit einer normalen Handlung sondern nur noch digitale Geisterbilder, die fast komplett von Hochleistungsrechnern erschaffen wurden.
Außer einigen wenigen echten Schauspielern*innen – oder kleinen Teilen von ihnen – sehnen wir nichts Natürliches, nichts Echtes. Der Menschenjunge Spider, der im kurzen Höschen durch digitiale Kulissen springt, ist der menschliche Charakter mit dem größten Rollenanteil. Sehen wir hier seinen Körper mit Rastalocken und muskulösem Körper im kurzen Höschen oder sehen wir nur sein Gesicht in einem Anzug voller digitaler Messinstrumente. Auch die meisten Kulissen dürften keine Kulissen mit Innenausstattung und Dekoration sein sondern virtuelle digitale Geisterbilder. Schauspieler*innen werden abgesehen von wenigen Gesichtsfragmenten zu Impulsgebern*innen für digitale Filmfiguren reduziert.

Und die Sehgewohnheiten des Kinopublikums ändern sich radikal. Viele junge Kinogänger*innen gewöhnen sich an diesen visuellen und erzählerischen Stil und möchten dann nur noch so etwas oder so etwas Ähnliches sehen und vermeiden andere gute bis sehr gute Filme und auch Filmklassiker. Meine beiden Patenjungen – mittlwerweile 20 und 18 – wollen seit Jahren keine älteren Filme mehr sehen. Die mögen ja ganz gut sein, aber die sind halt so alt und die Effekte, die damals das Modernste in der Fimtechnik waren, sind dann nach heutigem Standard eben veraltet. Es droht eine weitere filmische Monokultur im Kino, die sich auf Blockbuster, Superheldenkino und STAR WARS mit Nebenprodukten konzentriert.

AVATAR2 muss nach verschiedenen Berichten etwa 2 Milliarden Dollar einstpielen, um kein Verlust zu sein. Fast wünsche ich mir, James Cameron würde scheitern und nach dem teilweise abgedrehten AVATAR3 wird nichts mehr kommen. Es wäre tragisch, wenn sich eine der kreativsten Persönlichkeiten im Hollywood-System bis zum Lebensende nur noch mit AVATAR-Filmen beschäftigen würde und die letzten geplanten Filme selbst aus Altersgründen nicht mehr selbst drehen könnte.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Martin Betzwieser

Personifizierter Ärger über Meinungsmanipulation, Kino- und Kabarattliebhaber

Martin Betzwieser

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