Da ich im Hauptberuf Kommentare auf Slowakisch schreibe, beschäftigen mich die Neuwahlen in der Slowakei am 30. September. Sie wurden notwendig, weil sich die konservativ-populistisch-liberale Anti-Korruptionskoalition, die 2020 den dreimaligen Premier Robert Fico mit Verfassungsmehrheit hinweggefegt hat, bis aufs Blut zerstritten ist. Das Ergebnis ist, dass alle vier Ex-Koalitionsparteien um den Einzug in den Nationalrat bangen und Fico wohl zurückkommt – dank einer radikalisierten Linie gegen Covid-Impfungen und Waffenlieferungen an die Ukraine, dazu mit ultrarechten Partnern. In dieser Trostlosigkeit erreichte mich eine SMS, mit der ich in ein Luxusrestaurant eingeladen wurde.
Facebook-Gemetzel mit Premier Igor Matovič
Absender war der 55-jährige Richard Sulí
ge Richard Sulík, Gründer und Chef der kleinen liberalen Partei Saska. Nichts hatte die Koalition und das Vertrauen in der Gesellschaft so sehr zerrüttet wie die Facebook-Gemetzel zwischen Premier Igor Matovič und seinem kaltschnäuzigen Wirtschaftsminister Sulík. Als Linkskonservativer hatte ich den Rechtsliberalen Sulík und seine für erfolgreiche Individuen geschaffene Schönwetterpartei nie besonders geschätzt. Da der frühere Parlamentspräsident zudem am Sturz der Ministerpräsidenten Radičová, Matovič und Heger beteiligt war, hängt ihm der Ruf eines „Versenkers von Regierungen“ an. An einem herrlich sonnigen Spätsommermittag begrüßt mich der hochgewachsene Glatzkopf auf seiner bevorzugten Restaurantterrasse am Korso von Bratislava. Die von Sulík empfohlene Rindssuppe „Vitello“ ist ein Gedicht, die junge slowakische Rotweinsorte „Dunaj“ betört meine Sinne, und das von Sulík empfohlene Rindssteak ist so saftig, dass ich die von ihm empfohlene Sauce vergesse.Ich fragte ihn, wieso er als Spitzenkandidat einer ums Überleben kämpfenden Partei mitten im Wahlkampf mit einem andersgesinnten Publizisten rumsitzt, der ihm gewiss keine Stimmen verschafft. Sulík erklärt mir, dass er sich an einem Satz stieß, den ich in einen Kommentar zu seinem Erzfeind Matovič geschrieben hatte: „Sulík in der Regierung, das wünscht man nicht einmal seinem schlimmsten Feind.“ Sulík hat sich ausgerechnet, dass es ihm mehr einbringt, wenn er mich dazu bewegt, diesen Satz nicht mehr zu wiederholen, als wenn er „auf einem Meeting mit 30 Leuten“ redet.Der schon in jungen Jahren Millionär gewordene Selfmademan, der sich den Erlös aus dem Verkauf seiner Copyshop-Kette als monatliche Apanage auszahlen lässt, kann nämlich rechnen. Dass man ihm den EQ eines Excel-Sheets nachsagt, erfüllt ihn geradezu mit Stolz. Mit verblüffender Offenheit rechnet er mir die Jahresgewinne und Monatsgehälter seiner Laufbahn vor. Vor die Wahl gestellt, ob er 100 Stunden in Brüssel für Ideen wirbt, die dort ohnehin nicht gewollt werden, oder 100 Stunden für die Ansiedlung eines Volvo-Werks in der Slowakei, wählte er Volvo. Der glühende Neoliberale gibt zu, dass er in 13 Jahren Spitzenpolitik bei einigen Kernthemen resigniert habe, dass manche Politiker seiner Partei zunehmend in ein woke-progressives Fahrwasser gerieten und dass ihn die Politik – sollte er nicht noch einmal Minister werden – nicht mehr so richtig freuen werde.Auch wenn er an keinem Messias-Komplex leide, habe er doch viel „für die Gesellschaft getan“. Erstens, die Einführung der von ihm konzipierten Flat-Tax, zweitens, die Gründung einer liberalen Partei, drittens, die Ansiedlung von Volvo. Als ich ihn nach seiner kleinen Ranch in Australien frage, wechselt der teils in Deutschland großgewordene Slowake ins Deutsche: „Ich will dort“, sagt er in einem Anflug von Poesie, „die Wintermonate meines Lebensabends verbringen“. Was ihn sonst reizt, vermag Sulík analytisch aufzuschlüsseln: In Australien herrsche Langeweile, aber ohne skandinavischen „Sozialismus“, die Kriminalität gehe gegen null, Infrastruktur und Demokratie funktionierten. „Und es ist heiß, wenn es bei uns kalt ist.“ Der Liberale hat es nämlich gern warm. Sein Lebensabend soll einem ewigen Sommer gleichen, gelindert von einer lauen australischen Brise.Der Charme von Sulíks blitzblauen Augen, der rote slowakische Dunaj und das slowakische Steak bewirken, dass dieses Essen sein Ziel erreicht: Ich werde nie mehr schreiben, dass man nicht einmal seinem schlimmsten Feind einen Sulík in der Regierung wünscht.Placeholder infobox-1