Das also muss sich Joe Biden zumuten. Auch der notorische Quertreiber und Defätist Ungarn wird zum Treffen des „Bukarest 9“-Formats (gibt es seit 2015) nach Warschau gebeten. Dabei ist die Regierung Orbán in Budapest weder geneigt, Waffen in die Ukraine zu schicken noch seine Transitrouten dafür freizugeben. Andere Bukarest-9-Länder wie die baltischen Staaten, Polen, Rumänien, Tschechien und die Slowakei sind da erbötiger. Doch Ungarn – nicht zuletzt wegen seiner Forderung nach Friedensverhandlungen – vom Treffen mit dem US-Präsidenten auszuschließen, geriete zum Affront und wäre überdies ein Eingeständnis, dass die Front der osteuropäischen Frontstaaten so geschlossen nicht ist.
Es geht aus US-Sicht um die
cht um die Zukunft des Krieges in der Ukraine und die Pflege von Partnerschaften. Man will für Eventualitäten gerüstet sein. Die traditionellen Bindungen vor allem Polens, Estlands, Litauens und Lettlands erweisen sich dabei wie gehabt als von großem Wert. Und das aus drei Gründen. Erstens: Kommen Eskalationsstufen des Schlagabtauschs mit Russland in Betracht, dürfen sie nicht wackeln. Zweitens: Falls dann Deutschland und Frankreich zurückhaltender werden, sollte sich das politische Gravitationszentrum Europas bereits definitiv nach Osten verschoben haben. Unter anderem um das voranzutreiben, dürfte Biden in Warschau sein. Drittens: Um den USA auf dem europäischen Schauplatz ein Burden Sharing zu ermöglichen, sind Staaten gefragt, die in ihren Beziehungen zu den USA immer auch eine Garantie für Eigenständigkeit und Freiräume in der EU wie der NATO sahen. Das „Neue Europa“Für US-Regierungen, die sich in kriegerischen Konflikten exponieren, ist ein solches Vorgehen nicht neu. Anfang 2003 sammelte Donald Rumsfeld, damals Verteidigungsminister der Bush-Administration, das „Neue Europa“, um es in den Angriffskrieg gegen den Irak zu führen. Staaten wie Polen, Tschechien, die baltischen Länder, seinerzeit auch Ungarn unter dem sozialdemokratischen Premier Péter Medgyessy, formierten sich mit Großbritannien, Spanien und Dänemark zu einer „Koalition der Willigen“, um eine völkerrechtswidrige Intervention mitzutragen.Für die USA eine durchaus willkommene Gelegenheit, dieses kriegsfreudige Lager den Kriegsskeptikern aus dem „Alten Europa“ entgegenzustellen, dessen Wortführer seinerzeit Frankreich und Deutschland waren, übrigens zusammen mit Russland und dessen Staatschef Wladimir Putin. Kanzler Gerhard Schröder (SPD) und Präsident Jacques Chirac hielten es für zu riskant, sich an einem Feldzug zu beteiligen, der absehbar Opfer kosten und mit einem Regime Change in Bagdad nicht zu Ende sein würde.Und sie sollten Recht behalten. Je mehr das nach dem Sieg über die Armee Saddam Husseins im Irak errichtete Besatzungsregime unter Druck geriet, desto stärker zeichnete sich ab, dass die zweite Phase der Operation schwieriger als die erste – der Einmarsch – war. Auch die willigen Koalitionäre aus Osteuropa mit ihren alles andere als symbolischen Kontingenten sahen sich Verlusten und Verschleiß ausgesetzt. Dass sie den Amerikanern geradezu bedingungslos zur Seite standen, änderte unter diesen eher negativen Umständen wenig bis nichts an der inneren Kräftebalance in der EU. Als die Regierung Obama 2012 mit einem Truppenabzug das Scheitern ihrer Vorgänger im Irak eingestand, redete in der EU längst niemand mehr von „Neuen“ und „Alten“ Europäern. Mit der Eurokrise drängten andere existenzielle Fragen ins Licht der Offenbarung. Verlagerte GeltungsmachtGut ein Jahrzehnt später sind für die Veränderung der inneren Kräftebalance zwischen West- und Osteuropa andere Bestandsgarantien von Belang. Den Takt gibt nicht mehr das deutsch-französische Tandem an, das ohnehin aus dem Tritt geraten scheint. Balten und Polen übernehmen die propagandistische, politische und – bezogen auf die USA – bündnispolitische Geltungsmacht. Der seit einem Jahr im Hintergrund herumgeisternde EU-Aspirant Ukraine stärkt objektiv die osteuropäische Flanke, die in der EU künftig viel durchsetzen kann. Ob es sich um die selbstlose Hingabe an rechtsstaatliche Tugenden handelt, darf bezweifelt werden.Die USA konnten stets befriedigt zur Kenntnis nehmen, dass jede Osterweiterung der EU, deren Steuerbarkeit erschwert und amerikanischen Einfluss in Europa nicht geschwächt hat, im Gegenteil. Im Augenblick allerdings kommt ein Momentum hinzu, das bei aller durch Joe Biden in Kiew und Warschau beschworenen Siegeszuversicht über Russland nie ausgesprochen worden ist, aber in der Luft liegt.Wie soll diese vermeintliche Gewissheit eingelöst werden? Durch die Überzeugung, dass der technologische Vorteil des Westens beim Hochrüsten der Ukraine zum Ziel führt? In wie vielen Konflikten, die es mit den Jahrzehnten gab, hat dieser Faktor letztlich nicht den Ausschlag gegeben? Wie war das in Vietnam, in Kambodscha, im Irak, in Afghanistan, auch in Libyen, das man nach dem Gaddafi-Sturz sich selbst überließ? Was geschieht, wenn den personellen Kapazitäten des ukrainischen Militärs Grenzen gesetzt sind? Kommt dann der Einsatz von Bodentruppen der NATO in Betracht, die mit dem Status von Freiwilligen versehen werden, um die Legende aufrechtzuerhalten, der Westen führe keinen Krieg gegen Russland, er helfe nur der Ukraine?Welche Eskalationsszenarien auch immer denkbar sind, in jedem Fall werden die osteuropäischen Frontstaaten davon betroffen sein. Und das auf keinen Fall zu ihrem Vorteil. Verständlich, dass Biden sie alle vorher noch mal sehen will.