Die Grünen haben nicht einmal einen Tag gebraucht, um ihre mageren 8,4 Prozent bei der Bundestagswahl zu verarbeiten. Seit Montag folgt ein Rücktritt auf den nächsten, als ob die Erklärungen nur aus der Schublade geholt werden müssten. Die Wahlniederlage erstaunt ja auch nicht besonders, wenn man an die vergangenen Wochen denkt. Assoziativ verband jeder mit den Grünen sofort drei Punkte: Steuererhöhung, Veggie Day, Pädophilie. So wenig diese Zuspitzung den Grünen gerecht wurde, so klar ist aber auch: Die Spitzenkandidaten Jürgen Trittin und Katrin Göring-Eckardt haben es nicht vermocht, das Assoziationsfeld "Grüne" anders zu besetzen.
Es ist also nur konsequent, wenn sie nun den Weg für einen Generationswechsel freimachen. Trittin hat das verstanden, er kündigte bereits seinen Abgang an. Der restliche Parteirat, dazu zählt auch Göring-Eckardt, ist zum Rücktritt bereit. Partei-Vorsitzende Claudia Roth wird wohl beim kommenden Parteitag ebenfalls ihr Amt niederlegen. Der soll allerdings erst im November stattfinden – mögliche Sondierungsgespräche laufen also noch mit altem Personal. In den Medien haben die Spekulationen über die Nachfolger derweil begonnen. Es wird nicht einfacher dadurch, dass die Postenvergabe sorgsam zwischen Realos und dem linken Parteiflügel austariert werden muss.
Glauben an sich selbst verloren
Cem Özdemir, neben Roth Grünen-Vorsitzender und den Realos zugerechnet, wird sich vermutlich zur Wiederwahl stellen. Er hat sich im Wahlkampf klugerweise zurückgehalten, und geht so weitgehend unbeschädigt in den Parteitag. Zwei weitere grüne Schlüsselfiguren werden dagegen definitiv ihre Posten räumen: Fraktionschefin Renate Künast und der Parlamentarische Geschäftsführer Volker Beck.
Wie sehr das gesamte Spitzenpersonal plötzlich den Glauben an sich selbst verloren hat, erstaunt dann doch. Man muss nur neun Monate zurückdenken: In einer aufwändigen Urwahl bestimmte die Basis ihre Kandidaten für die Bundestagswahl, die damit ordentlich Rückenwind bekamen. Göring-Eckardt und Trittin statteten nicht zuletzt die Medien mit vielen Vorschusslorbeeren aus.
Nach der Nominierung Göring-Eckardts an der Seite des Parteilinken Trittin wurde schon damals die "neue Bürgerlichkeit" der Grünen ausgerufen, die aber dann schnell wieder abgeblasen wurde. Bei den Grünen galt also ebenfalls, was die Steinbrück-SPD schließlich perfektionierte: Programm und Personen passten nur bedingt zusammen.
Zur personellen Ausrichtung der Grünen wird deshalb auch eine inhaltliche kommen. Die Wählerwanderung gibt Aufschluss, wohin diese gehen könnte: Nur 48 Prozent derjenigen, die 2009 grün gewählt hatten, gaben der Partei am Sonntag erneut ihre Zweitstimme. Damit haben die Grünen in relativen Zahlen mehr Wähler verprellt, als jede andere etablierte Partei – von den Liberalen einmal abgesehen.
Sozialdemokratischer Anstrich blättert ab
Das sagt nun einiges darüber aus, wie das Konzept zur Steuererhöhung (denn mit anderen Inhalten ist die Partei im Wahlkampf nicht durchgedrungen) beim grünen Klientel angekommen ist. Ein großer Teil der Wähler sah fälschlicherweise seinen eigenen Reichtum gefährdet, er wanderte zur CDU. Ein noch größerer Teil sah die Umverteilung von oben nach unten bei den Grünen nicht in den richtigen Händen, er wanderte zur SPD.
Der sozialdemokratische Anstrich, den sich die Grünen verpasst hatten, ist also abgeblättert, noch bevor die Wähler ihren Stimmzettel in die Urne gesteckt haben. Und da politsch gewollte linke Mehrheiten im Bundestag auf absehbare Zeit unwahrscheinlich sind, werden sich die Grünen nun in Richtung Union öffnen. Wenn die Partei sich auf Kernthemen wie Energiewende und Klimaschutz besinnt, sind Anknüpfungspunkte an eine in die Mitte gerückte Merkel-CDU gegeben. Das wird Flügelkämpfe auslösen, aber die Grünen nicht zerreißen. Dafür ist die Lage zu ernst.
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