Es wird ein Carsten

Bremenwahl Die rot-grüne Koalition ist abgewählt, für die SPD geht der Abwärtstrend ungebremst weiter. Jetzt entscheiden die Grünen über die politische Zukunft der Hansestadt
Carsten Sieling musste eine empfindliche Niederlage hinnehmen
Carsten Sieling musste eine empfindliche Niederlage hinnehmen

Foto: Alexander Koerner/Getty Images

Eines ist zumindest sicher an diesem Wahlsonntag, auch an der Weser hat die SPD eine historische Niederlage kassiert. Seit 1946 stellt sie in Bremen ohne Unterbrechung den regierenden Bürgermeister. Ob das so bleibt, liegt wohl nicht mehr in den Händen der Genossen. Die Rolle des Königsmachers dürfte den Grünen zufallen. In den aktuellen Hochrechnungen zur Bürgerschaftswahl kommt die SPD auf 24,5 Prozent und landet zum ersten Mal in der Nachkriegsgeschichte auf Platz zwei, hinter der CDU. Das Kopf-an-Kopf-Rennen, das sich schon in den Umfragen der letzten Tage abzeichnete, geht weiter, denn mit einem Prozentpunkt ist der Vorsprung der CDU in Bremen dünn.

Die rot-grüne Koalition, die seit zwölf Jahren im Bremer Senat regiert, ist abgewählt. Aber Rot-Grün-Rot ist möglich – in einem westdeutschen Bundesland. Diese Bremer Wahl könnte also in mehrfacher Hinsicht in die Geschichte eingehen. Die CDU feiert mit Spitzenkandidat Carsten Meyer-Heder, IT-Unternehmer und Polit-Neuling, einen Erfolg in der letzten SPD-Hochburg. Die Linkspartei, die den Prognosen zufolge auf rund zwölf Prozent kommt, kann sich in Bremen erstmals über ein zweistelliges Ergebnis und über die Aussicht auf eine Regierungsbeteiligung freuen. Eine Große Koalition hatte SPD-Bürgermeister Carsten Sieling schon im Vorfeld ausgeschlossen. In Martin-Schulz-Manier kündigte er an, mit der CDU werde er nicht einmal sondieren. Angesichts der Verluste, die die Regierungsparteien im Bund bei der Europa-Wahl kassierten, dürfte die Begeisterung für Große Koalitionen bei CDU und SPD allerdings ohnehin einen Tiefpunkt erreicht haben. Sielings Amtsvorgänger Jörn Böhrnsen trat vor vier Jahren einen Tag nach der Wahl zurück, damals kam die SPD auf 32,8 Prozent. Ob Sieling noch derjenige sein wird, der für Bremens Sozialdemokraten die Verhandlungen führt, bleibt abzuwarten. Die Grünen, die bei der Wahl mit rund 18 Prozent drittstärkste Kraft wurden und deren Spitzenkandidatin Maike Schaefer auch nach der Wahl alle Koalitionsoptionen – natürlich mit Ausnahme der Rechtsaußenparteien – offen hält, werden entscheiden, ob die Reise in Richtung Linksbündnis oder Jamaika geht. Die FDP liegt in den Hochrechnungen bei sechs Prozent, also gerade mal über der Fünf-Prozent-Hürde. Für ein Jamaika-Bündnis kann es reichen, die grüne Parteibasis tendiert allerdings in Richtung links.

Bis das amtliche Bremer Wahlergebnis vorliegt, wird es ohnehin bis Mittwoch dauern, das liegt auch an einer Besonderheit. Bremen und Bremerhaven bilden zwei getrennte Wahlbereiche. Um in den Senat zu kommen reicht es, wenn es Parteien gelingt, zumindest in einem der beiden Wahlbereiche, die Fünf-Prozent-Hürde zu überspringen. Davon hat vor vier Jahren die rechtspopulistische Wählervereinigung „Bürger in Wut“ profitiert. Die AfD kommt trotz dieser Konkurrenz den Prognosen zufolge auf sieben Prozent. Dass ihr Spitzenkandidat Franz Magnitz dem völkisch-nationalistischen „Flügel“ um Björn Höcke nahesteht, hat auf ihre Anhänger anscheinend keine allzu abschreckende Wirkung gehabt. 2015 landete die Rechtsaußenpartei bei 5,5 Prozent.

Mit diesem Sonntag, der den Auftakt für das Wahljahr 2019 markiert, geht der Abwärtstrend der SPD ungebremst weiter. Herbe Verluste in Bremen und ein niederschmetterndes Ergebnis bei der Europa-Wahl. Für Andrea Nahles, die Parteivorsitzende und Fraktionschefin im Bundestag. wird die Luft seit ihrem Amtsantritt vor einem Jahr kontinuierlich dünner. Bayern, Hessen, nun Bremen und die Aussichten auf die im September anstehenden Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen und im Herbst Thüringen sind ebenfalls düster. Turnusmäßig steht die Wahl des Fraktionsvorsitzes im Bundestag für die SPD im September an. Ob es tatsächlich so lange dauern wird, ist fraglich. Denn die Wahlschlappe in der letzten Bastion dürfte die SPD fast noch mehr schmerzen als das Debakel bei der Europa-Wahl.

Und die CDU? Die versuchte am Wahlabend mit dem Wahlsieg in Bremen vom historisch schlechten Abschneiden bei der Europa-Wahl abzulenken. Zivildienst, Studienabbruch, Patchwork-Familie und konfessionslos, ihr Spitzenkandidat Carsten Meyer-Heder repräsentiert eher den Gegenentwurf der klassischen CDU-Politiker-Biographie. Er ist denn auch erst vor gut einem Jahr in die Partei eingetreten. Von einer modernen Großstadtpartei ist die CDU auch weiterhin weit entfernt. Wäre sie in Bremen mit einem echten Parteigewächs angetreten, hätte sie in Bremen wohl kaum mehr als einen Blumentopf gewonnen.

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