Mit vollem Einsatz?

Parteitag Das Wahlkampf-Programm der Grünen ist alles andere als handzahm. Fraglich ist nur, inwiefern Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckhardt es glaubwürdig verkörpern können
Ausgabe 25/2017
Nicht nur Cem Özdemir hat sich am Parteitag in Rage geredet
Nicht nur Cem Özdemir hat sich am Parteitag in Rage geredet

Foto: John MacDougall/AFP/Getty Images

Es stand schon vorher fest, dass der Parteitag im Berliner Velodrom kämpferisch werden würde. Umfragewerte, die sich um die Sieben-Prozent-Marke bewegen, lassen für Gelassenheit wenig Spielraum. Die Frage war nur: Steigen die Grünen gegeneinander in den Ring – oder stimmen sich Realos und Linke halbwegs geschlossen auf den Wahlkampf ein. Sie haben sich für Letzteres entschieden, zum Auftakt der Bundesdelegiertenkonferenz war das noch nicht ausgemacht.

Da kritisierte Canan Bayram, Bundestagskandidatin für Friedrichshain-Kreuzberg, das Spitzenduo Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckhardt. Eine Rentnerin habe ihr gesagt, die beiden erinnerten sie an CDU-Ortsvereinsvorsitzende. Bayram forderte: „Lasst uns Grüne radikale Programme beschließen, damit wir die Menschen nicht im Stich lassen.“ Die harsche Reaktion von Bundesgeschäftsführer Michael Kellner offenbarte, wie blank die Nerven vor diesem Parteitag, auf dem das Wahlprogramm verabschiedet werden sollte, lagen. Es schien, als fürchtete Kellner, solche Wortbeiträge würden die sorgsam austarierte Inszenierung der Veranstaltung im Stil eines Town-Hall-Meetings ins Wanken bringen. Das Gegenteil war der Fall, letztlich haben die Kritiker dafür gesorgt, dass das Programm, mit dem die Grünen nun in den Bundestagswahlkampf ziehen werden, schärfer geworden ist. Im Vorfeld hatte die Vagheit des Zehn-Punkte-Plans, den die Spitzenkandidaten zur Wahl vorgelegt hatten, für Unmut gesorgt. Nun gibt es rote Linien für das Mitregieren, Göring-Eckhardt und Özdemir hätten darauf auch im Hinblick auf ein schwarz-gelbes Bündnis oder Jamaika sicher gerne verzichtet. Im Zentrum stehen Klima- und Naturschutz, die Grünen haben sich auf einen Kohleausstieg bis 2030 verständigt, bis dahin soll auch der Verbrennungsmotor für deutsche Autos Geschichte sein. Die „Ehe für alle“ hat es als nicht verhandelbare Bedingung für eine Koalition ins Wahlprogramm geschafft. Die Koalitionsfrage werden die Grünen sich allerdings weiterhin offenhalten, Anträge über eine Festlegung auf Rot-Rot-Grün oder den Ausschluss eines Bündnisses mit der CSU scheiterten.

Das Motto des Parteitags lautete „Zukunft wird aus Mut gemacht“. Am Wochenende ging es für die Grünen aber vor allem darum, sich erst einmal selbst Mut zu machen, denn vom erklärten Ziel, mit zweistelligem Ergebnis als drittstärkste Kraft in den Bundestag einzuziehen, ist die Partei zurzeit weit entfernt. An Enthusiasmus mangelte es dem Parteitag sicher nicht. Auch wenn die Tanzeinlagen mit Headset zu dröhnender Musik zuweilen an eine Samstagabendshow des ZDF erinnerten. Es wurde voller, teils ulkiger Einsatz gezeigt. Cem Özdemir, Toni Hofreiter und Reinhard Bütikofer brüllten sich bei ihren Reden geradezu den Frust aus dem Leib. Abgesehen vom selbsttherapeutischen Erfolg bleibt die Frage, ob das Spitzenduo das Programm glaubwürdig verkörpern wird. Daran haperte es in den letzten Monaten. Die Beschlüsse, die im Hinblick auf die Bundestagswahl beim Parteitag in Münster getroffen wurden, waren nicht handzahm, aber dass Özdemir und Göring-Eckhardt lautstark die Sanktionsabschaffung bei Hartz IV gefordert hätten, kann man nicht sagen. Dass die Grünen beim Verfassungsgericht mit ihrem Eilantrag zur „Ehe für alle“ nicht durchkamen, heißt übrigens nicht, dass daran Schwarz-Grün scheitert. Horst Seehofer und Angela Merkel sind flexible Machtpolitiker – zu deren roten Linien allerdings das Autofahren zählen könnte.

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