Tiere, Kunst und Kinder – das sind des Deutschen Ikonen. Wer sie bedroht, begibt sich in mediale Lebensgefahr. Der Fall Edathy sowie der Fall Gurlitt offenbaren zum wiederholten Male ein juristisch-publizistisches Muster, das so nur aus der Zeit der Hexenverfolgung bekannt war. Man steckte verdächtige Frauen in einen Sack, warf ihn ins Wasser. Ging die Frau unter, war sie unschuldig. Blieb sie, weil sie sich in ihrer Verzweiflung erfolgreich gegen den Untergang gewehrt hatte, an der Oberfläche, war sie schuldig – und wurde hernach verbrannt.
Edathy hat, so viel ist bislang bekannt und nicht wirklich viel mehr, legale Bilder erworben. Mehr nicht. Doch was ist der erste Reflex bei uns? Wer so etwas macht, der macht auch andere Sachen. Damit folgen wir unbewusst einer hysterischen Strafverfolgungsbehörde, die auch im Fall Gurlitt ohne Maß vorging. Der alte Mann reiste legal mit 9000 Euro. Das war kurz unter der strafbaren Grenze. Aber wo 9000 Euro sind, da sind vielleicht auch Strafverstöße. Ermittlungen auf gefühlten Verdacht. Erst einmal in den Sack stecken.
Wer je einmal erleben musste, wie ein Staat mit seiner ganzen Macht, seiner gesichtslosen und zuweilen gnadenlosen Maschinerie gegen ein Individuum ermitteln kann, weiß zu ermessen, was das für das Leben des Betroffenen bedeutet. Selbst nach erwiesener Unschuld sind diese Menschen für ihr privates Umfeld, für die gesamte Öffentlichkeit tot. Oder um im Bild zu bleiben: verbrannt. Das bisherige Leben liegt in Asche. Man möge sich das einen Moment für sich selbst vorstellen – und sich dann die Frage stellen, ob wir unseren Staat (denn das ist er: unser Staat) so furios agieren lassen wollen.
Es mag uns passen oder nicht: Es gilt die Unschuldsvermutung bis zum Beweis des Gegenteils. Das ist nicht irgendein Schwurbelparagraph. Das ist essenziell für unsere Rechtsprechung. Der Staat in seiner ganzen Macht muss kontrollier-, steuer- und einschätzbar sein. Es regiert nicht Volkes Stimme. Nicht jene, die geifernd mit Schuhen vor dem Bundespräsidialamt herumfuchteln. Nicht selbsternannte Kinderschützer wie die Gattin des Betrügers Guttenberg.
Einst mausgraue Mitarbeiter der Ermittlungsbehörden haben in Deutschland spätestens seit dem Fall Kachelmann die Droge Öffentlichkeit eingeworfen. Da wird ein Reporter einer Lokalzeitung zum Tatort bestellt, darf im Wohnraum Edathys trotz der qua Grundgesetz garantierten Unverletzlichkeit der Wohnung Bilder schießen. Und schon ist der Fall klar, noch ehe ein Strafverfahren eröffnet wurde. Anschließend gibt es mehr grelle Farben und Krach als in einer miesen Oper: Da wird mehr Bohei um das Durchstechen von Information gemacht als um die Existenz eines Einzelnen. Sebastian Edathy wird nie mehr in seinem Leben ein öffentliches Amt bekleiden können. Das wäre vielleicht gerecht, wenn er wirklich eine Straftat begangen hat. Doch wenn dies nicht der Fall ist, haben wir alle, die wir Verantwortung tragen – ob publizistisch, juristisch oder politisch – versagt. Schließlich geht es im Strafrecht nicht um Zu- oder Abneigung. Doch noch immer ist im deutschen Volk, so scheint es, ein Volksgemeinschaftsgeist vorhanden. Staatsferne ist verdächtig, die Rechte Einzelner dürfen dem Wohle des gesamten Volkskörpers untergeordnet werden.
Egal ob Sebastian Edathy Schuld auf sich geladen hat: Wir sollten wieder zurück in das Zeitalter der Aufklärung reisen. Weg vom Fluss und dem Sack, hin zu Beweisen, Unschuldsvermutung und dem gemeinsamen Verständnis, dass Staatsanwaltschaften mögliche Straftaten, nicht aber Neigungen zu ermitteln haben.
Ein Land im Volkszorn
Strafverfolgung
Die Fälle Edathy und Gurlitt offenbaren zum wiederholten Male ein juristisch-publizistisches Muster, das so nur aus der Zeit der Hexenverfolgung bekannt war.
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18:46 20.02.2014
Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von
Martin Calsow
Schriftsteller ("Quercher und die Thomasnacht", "Quercher und der Volkszorn", "Quercher und der Totwald") und Journalist, lebt am Tegernsee.

Kommentare 11
ja
Dem kann ich mich weitgehend anschließen. Ein paar Einschränkungen will ich aber doch machen.
1. Rufmord. Glaubt man dem Reporter der „Harke“, dann bekam er den Anruf, dass es da eine Hausdurchsuchung gebe, aus der Bevölkerung – was immer er darunter verstehen mag. Den Rufmord-Begriff „Kinderpornographie“ will er aus Kreisen der Landes-SPD erhalten haben. Soweit zumindest diese Darstellung, die die Ermittlungsbehörden jedenfalls vordergründig entlastet.
2. Karriere-Ende. Ein anderer Strang wäre der vom BKA-Chef, über einen Staatssekretär Fritsche – beide mit offenen NSU-Rechnungen an Edathy – zur Bundes-SPD zum Zwecke der Karriere-Beendigung. Dazu sind die Gedanken schon freier.
3. Recht & Moral. Wer in der Vergangenheit eine Zeit lang Bildmaterial mit nackten Jungs gekauft hat, mag, sofern er unentdeckt bleibt oder weiter gewählt wird und sozialer Ausgrenzung standzuhalten vermag, ein Bundestagsmandat ausüben. Er mag dies sogar gut & beispielhaft tun. Und eigentlich geht die Intimsphäre eines Menschen solange niemanden etwas an, solange er damit nicht andere schädigt und/ oder dabei gegen geltendes Recht verstößt.
Nun erhielten Ermittler Einblick in eine einschlägige Kundenkartei. Und Ermittler unterliegen keinem Beichtgeheimnis. Insofern hatte Edathy – wie andere auch – ab diesem Zeitpunkt ein Problem. Und dem ist dann noch an einigen Stellen nachgeholfen worden, was ein Skandal ist. Da stimme ich voll zu.
Schwierigkeiten bekomme ich da, wo Edathy sich auf die Legalität seines Handelns beruft und zur Moral und den möglicherweise negativen Hintergründen solcher Nacktaufnahmen schweigt. Da erwarte ich von einem Volksvertreter anderes.
4. Schließlich noch die Sache mit dem Volk. Das „gesunde Volksempfinden“ darf im Rechtsstaat keinen Platz bzw. keine Macht haben. Ein aufgeklärtes Bürgertum schon. Und da hakt es, wenn Justiz, Politik & Medien auf Recht & Gesetz sch...... , die Wissenschaft niedergebrüllt wird und die Kirchen (verständlicherweise) schweigen.
Die Medien haben eine Schlüsselposition und was sie derzeit allzu häufig und allzu mehrheitlich tun, ist nicht mehr Information & Kontrolle, sondern Brandbeschleunigung.
http://www.freitag.de/autoren/seriousguy47/und-was-ist-mit-den-kindern
Dem kann ich mich weitgehend anschließen. Ein paar Einschränkungen will ich aber doch machen.
1. Rufmord. Glaubt man dem Reporter der „Harke“, dann bekam er den Anruf, dass es da eine Hausdurchsuchung gebe, aus der Bevölkerung – was immer er darunter verstehen mag. Den Rufmord-Begriff „Kinderpornographie“ will er aus Kreisen der Landes-SPD erhalten haben. Soweit zumindest diese Darstellung, die die Ermittlungsbehörden jedenfalls vordergründig entlastet.
2. Karriere-Ende. Ein anderer Strang wäre der vom BKA-Chef, über einen Staatssekretär Fritsche – beide mit offenen NSU-Rechnungen an Edathy – zur Bundes-SPD zum Zwecke der Karriere-Beendigung. Dazu sind die Gedanken schon freier.
3. Recht & Moral. Wer in der Vergangenheit eine Zeit lang Bildmaterial mit nackten Jungs gekauft hat, mag, sofern er unentdeckt bleibt oder weiter gewählt wird und sozialer Ausgrenzung standzuhalten vermag, ein Bundestagsmandat ausüben. Er mag dies sogar gut & beispielhaft tun. Und eigentlich geht die Intimsphäre eines Menschen solange niemanden etwas an, solange er damit nicht andere schädigt und/ oder dabei gegen geltendes Recht verstößt.
Nun erhielten Ermittler Einblick in eine einschlägige Kundenkartei. Und Ermittler unterliegen keinem Beichtgeheimnis. Insofern hatte Edathy – wie andere auch – ab diesem Zeitpunkt ein Problem. Und dem ist dann noch an einigen Stellen nachgeholfen worden, was ein Skandal ist. Da stimme ich voll zu.
Schwierigkeiten bekomme ich da, wo Edathy sich auf die Legalität seines Handelns beruft und zur Moral und den möglicherweise negativen Hintergründen solcher Nacktaufnahmen schweigt. Da erwarte ich von einem Volksvertreter anderes.
4. Schließlich noch die Sache mit dem Volk. Das „gesunde Volksempfinden“ darf im Rechtsstaat keinen Platz bzw. keine Macht haben. Ein aufgeklärtes Bürgertum schon. Und da hakt es, wenn Justiz, Politik & Medien auf Recht & Gesetz sch...... , die Wissenschaft niedergebrüllt wird und die Kirchen (verständlicherweise) schweigen.
Die Medien haben eine Schlüsselposition und was sie derzeit allzu häufig und allzu mehrheitlich tun, ist nicht mehr Information & Kontrolle, sondern Brandbeschleunigung.
http://www.freitag.de/autoren/seriousguy47/und-was-ist-mit-den-kindern
Es gibt Sachen, die lasse ich nichtauf mir sitzen.
Zu 1. Der Reporter war IN der Wohnung. - während der Durchsuchung.
Zu 2.. Mag sein. Vorstellbar. Edathy hat mit seiner Arbeit so ziemlich jeder Behörde ins Gesicht geschlagen
zu 3. nicht "eigentlich " geht die Intimsphäre keinen etwas an. Sie geht keinen etwas an. Und der Schaden muss festgestellt werden. Viel Spaß dabei. Was, wenn es legal ist, uns aber in der Mehrheitsgesellschaft nicht gefällt?
Zu 4. exakt
„Wie das so ist: Das war ein Tipp aus der Bevölkerung. ‘Da ist Polizei, eine Wohnung von Bundespolitiker Sebastian Edathy wird durchsucht’. Dann setzten wir uns in den Wagen und fahren da schleunigst hin“.
Genau das tat der Lokaljournalist. Besonders wichtig ist bei dieser Darstellung des Hergangs, dass er das umstrittene Bild von der Balustrade eines Treppenaufgangs aus gemacht habe. Er hätte niemals die Wohnung des Politikers betreten, sondern durch das Fenster fotografiert."
http://meedia.de/2014/02/12/edathy-ermittlungen-die-harke-rechtfertig-umstrittenes-foto/
?
Vergessen Sie's, ansonsten dem Link folgen.
;-)
Selbst wenn es so gewesen wäre: in das Fenster hinein fotografieren? Lernt man am ersten Tag im Job: allerstrengstens verboten. Oder: was man selbst nucht will.....
Sorry, hatte den Link nicht gesehen. Schlechter Display-Winkel.
Zu meiner Ehrenrettung: Ich hatte richtig erraten, was da drauf sitzt und fand es gut, dass er endlich abgeschüttelt(?) wurde.
Prof. Dr. Henning Ernst Müller (Strafrecht und Kriminologie), Universität Regensburg bei telepolis zum Sachverhalt:
„...wenn die zuständige Behörde sich zu einer Verdächtigung äußert und Tatsachen aus der Ermittlungsarbeit mitteilt, die ihren Verdacht untermauern, dann wird zur Unzeit, nämlich während Ermittlungen noch andauern, eine bestimmte Bewertung eines Tatverdachts mitgeteilt und öffentlich für die staatsanwaltliche Sichtweise "geworben" ….
Aus guten Gründen ist das Ermittlungsverfahren, anders als die Hauptverhandlung, als nicht-öffentliches Verfahren ausgestaltet. Durch die Nichtöffentlichkeit des Ermittlungsverfahrens wird der von Ermittlungsmaßnahmen (Durchsuchung, Beschlagnahme, vorläufige Festnahme) ohnehin beschwerte Verdächtige vor weiteren Belastungen geschützt. …...[und] …. Die meisten staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren führen ...[auch keineswegs].... zur Hauptverhandlung und Verurteilung, sondern werden eingestellt ….
Zu Recht ist kein anderer Kunde des kanadischen Vertriebs namentlich benannt worden, über keinen anderen der hunderten Verdächtigen wird in einer Pressekonferenz der Staatsanwaltschaft berichtet, wie die bestellten Bilder im Kontext des Kinderpornografieverbots zu beurteilen seien. Jeder andere Verdächtige kann weitgehend darauf vertrauen, einer öffentlichen "Ächtung" zumindest dann zu entgehen, wenn sich ein strafrechtlicher Verdacht nicht bestätigt.“
Als Beispiele für solcherlei (rechtswidriges – sg) Vorgehen von Sataatsanwaltschaften nennt Müller folgende Fälle:
Esser/Mannesmann
No Angels
Tauss
Kachelmann
Kassandra
Brunner/S-Bahn München
Ansbach/Schulmassaker
Edathy
Ähnlich der derzeitige Mappus-VerteidigerBernd Schünemann(emeritierter Professor für Straf- und Strafprozessrecht sowie Rechtsphilosophie und -soziologie, Universität München):
Herr Schünemann, Sie haben angekündigt, den Fall Sebastian Edathy in ein Lehrbuch für Strafprozessrecht aufzunehmen. Was werden Ihre Studenten künftig dazu lesen?
Was mich schon seit einiger Zeit beschäftigt, ist die Tendenz, Ermittlungsverfahren gegen prominente Personen immer mehr über die Medien zu führen. Die Strafprozessordnung ist extra so geregelt, dass die Öffentlichkeit erst in der Hauptverhandlung zugelassen wird. Wenn wir nun aber das eigentlich geheime Ermittlungsverfahren quasi auf die Straße tragen, kommt es viel schneller zu einer Vorverurteilung. Der Fall Edathy hat mich nun veranlasst, in meinem Lehrbuch zu sagen: So geht das einfach nicht.
Siehe dazu auch:
http://www.hrr-strafrecht.de/hrr/bverfg/09/2-bvr-3044-09.php
http://www.hrr-strafrecht.de/hrr/bverfg/13/2-bvr-389-13.php
http://www.deutschlandfunk.de/ermittlungen-gegen-edathy-bilder-von-nackten-jungs-darf.694.de.html?dram:article_id=277382
https://www.lawblog.de/index.php/archives/2014/02/17/fuenf-saetze-haetten-genuegt/
http://www.kanzleikompa.de/
http://www.kanzleikompa.de/2014/02/11/die-harke-macht-sich-ein-falsches-bild/
http://www.kanzleikompa.de/2014/02/12/anmerkungen-zur-berichterstattung-ueber-edathy/
http://www.kanzleikompa.de/2014/02/08/schuldig-bei-verdacht/
http://www.sz-online.de/sachsen/ex-npd-abgeordneter-muss-1000-euro-zahlen-2144115.html
http://www.heise.de/newsticker/meldung/Kinderporno-Wie-erfolgreich-war-die-Operation-Himmel-177176.html
http://www.sueddeutsche.de/politik/fall-edathy-strafrecht-ist-kein-moralrecht-1.1890180
http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.kinderpornografie-verlorene-unschuld.f17a9518-2446-4ba4-b1b9-a3495f3ab52e.html
http://www.heise.de/tp/blogs/8/150454
http://www.kanzleikompa.de/2014/02/13/die-gummiparagrafen-die-er-rief/
http://www.heise.de/tp/artikel/41/41002/
http://blogs.faz.net/deus/2014/02/16/paederastie-und-totalueberwachung-fuer-den-gebildeten-mittelstand-1939/