Eine schöne Absichtserklärung

Architektur Die Neue Mitte in Hamburg-Wilhelmsburg, Vorzeigeprojekt der Internationalen Bauausstellung, scheint vor allem als Projektionsfläche für gute Absichten zu dienen
Ausgabe 13/2013

Nähme man den Eröffnungskongress als Indikator, dann wäre die Internationale Bauausstellung die erste, die ohne Architekten ausgekommen ist. Da kamen alle zu Wort: Planer, Autoren, Akademiker, Locals mit und ohne Migrationshintergrund – nur keine Architekten. Es wurde viel gesprochen, ein bisschen genörgelt, aber sich im Wesentlichen auf die Schulter geklopft. Die IBA hat in nur sechs Jahren viel erreicht. Das wichtigste Ergebnis ist wahrscheinlich die Publicity-Kampagne für einen beinahe vergessenen Stadtteil.

In der Neuen Mitte Wilhelmsburg stehen ein Dutzend kleinerer „Case study houses“ und der neue Bau der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt – der aus meinem Büro kommt. Alles kleinteilig und so vielfältig, dass eine übergreifende Botschaft nicht auszumachen ist. Das Ganze wirkt ein bisschen wie das berühmte gallische Dorf. Widerspenstig und irgendwie bedroht.

Was wird in 20 Jahren von der IBA übrig sein? Hoffentlich ein vitalerer Stadtteil; ganz sicher eine Handvoll Gebäude, die die Zukunft verkörpern sollten. Warum wurde deren Qualität auf dem Kongress nicht diskutiert? Wahrscheinlich, weil die Architektur aus Sicht der Macher austauschbar ist. Wir sind wie Dolmetscher, die während einer Konferenz unsichtbar aus der Kabine heraus dem Publikum übersetzen müssen, was auf der Bühne gesagt wurde.

Fremd, unbenutzt, ungewohnt

Viele sagen jetzt, dass die IBA in Wilhelmsburg zahlreichen Alltagsphänomenen gegenüber machtlos ist. Dennoch wurde viel Zeit und Geld investiert, den Bewohnern der Quartiere zuzuhören. Die „emergenten Strukturen“ dieses Stadtteils wurden offensichtlich mit großer Faszination beobachtet und mit immer neuen Wortschöpfungen beschrieben. Dabei schien manchmal unterzugehen, dass jede Planung am Ende einer Setzung bedarf, sonst bleibt alles nur Rhetorik. Wenn wir nicht glauben, dass gebaute Form das Leben der Menschen positiv beeinflussen kann, brauchen wir keine IBA. Und wenn, dann müssen wir den Erfolg an dem messen, was da nun für die nächsten Generationen stehen wird.

Nimmt man die Neue Mitte als Maßstab, dann ist das Ergebnis kurios: In einem großen neuen Park mit dem dubiosen Motto „In 80 Tagen um die Welt“ steht eine Musterbauausstellung, die unterschiedliche Technologien und Strategien zu den Themen alternative Energiegewinnung, kostengünstiges Bauen und nutzungsneutrale Gebäudeformen vorführen soll. Das ist prinzipiell interessant, in einigen Fällen auch schön anzusehen, nur: Eine Stadt ist hier nicht entstanden. Obwohl die Planung in zahllosen Wettbewerben erarbeitet und eine Reihe potenter Architekten ausgewählt wurden.

Die Neue Mitte wirkt im Augenblick wie jedes Neubaugebiet: fremd, nicht wirklich fertig, unbenutzt, ungewohnt. Ist hier etwas Wichtiges entstanden? Im Augenblick scheint sie in erster Linie als Projektionsfläche guter Absichten zu dienen, Selbstversicherung einer Planer-Generation, die beim Gang durch die Institutionen recht sesshaft geworden ist. Was die Häuser und Stadträume betrifft, sollte man geduldig sein. Eine Stadt braucht Zeit, aber der erste Eindruck vermittelt wenigstens einen gewissen Optimismus, und das ist doch schon ein guter Anfang.

Matthias Sauerbruch ist Architekt und Stadtplaner. Er hat das Umweltbundesamt in Dessau, das GSW-Hochhaus in Berlin und das Museum Brandhorst in München gebaut und zahlreiche Preise gewonnen

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