Im Wirtschaftsleben kommt es auf korrekte Zahlen an. Besonders dann, wenn Firmen beispielsweise an die Börse gehen, einen Kredit aufnehmen, ein anderes Unternehmen kaufen – oder um staatliche Hilfen ersuchen. Ob Geldgeber oder Geschäftspartner: Alle müssen sich darauf verlassen können, dass die Bilanzzahlen stimmen. Dafür gibt es die sogenannten Wirtschaftsprüfer, die den Firmen korrekte Zahlen bestätigen.
Die vier größten und bekanntesten sind EY, Deloitte, PwC und KPMG. Auch genannt: die „Big Four“. Weltweit machen sie alle Umsätze in zweistelliger Milliardenhöhe und beschäftigen rund eine Million Menschen. Wer so einen wichtigen Job macht, muss vertrauenswürdig arbeiten, sollte man meinen. Ist das so? Kann
s so? Kann man den Wirtschaftsprüfern vertrauen? Je näher man dem Gegenstand kommt, desto weniger will das so scheinen.Zum einen sind da die vielen Skandale. EY hat zum Beispiel jahrelang die Jahresabschlüsse von Wirecard uneingeschränkt testiert. Bis im Sommer 2020 plötzlich auffällt: Die Zahlen waren nicht in Ordnung. Sondern bei Wirecard hat der mutmaßlich größte Bilanzbetrug der Nachkriegsgeschichte stattgefunden. Die heute insolvente Firma hat offensichtlich Umsätze und Gewinne erfunden, nach dem untergetauchten Wirecard-Manager Jan Marsalek wird bis heute gefahndet. Ähnliche Skandale sind aber auch den anderen drei passiert, etwa während der Bankenkrise 2008.Dann ist da das sogenannte Haftungsprivileg. Für fahrlässige Prüfungen bei Börsenkonzernen haften die Prüfer in Deutschland höchstens mit nur 16 Millionen Euro. Und das auch erst seit 2021, als Konsequenz aus dem besagten Wirecard-Skandal. Zuvor waren es maximal vier Millionen. Im Fall Wirecard ist das nur ein Bruchteil des Milliardenschadens – zur Einordnung: allein Wirecard-Aktionäre haben rund sieben Milliarden beim Insolvenzverwalter eingefordert – und auch nur ein Bruchteil von EYs Umsatz in Deutschland, der bei über zwei Milliarden Euro pro Jahr liegt. Das heißt: Falsche Testate schmerzen einfach nicht genug.Das meiste Vertrauen verspielen aber die Interessenkonflikte, in die die Wirtschaftsprüfer verwoben sind. Diese sind im System quasi eingebaut. Denn erstens werden die Wirtschaftsprüfer von den geprüften Firmen selbst beauftragt und bezahlt. Wenn sie zu genau hinschauten, müssten sie also die Hand beißen, die sie zugleich füttert. Vor dem Wirecard-Skandal mussten die Firmen alle zehn Jahre den Wirtschaftsprüfer wechseln, seit 2022 schon alle fünf Jahre. Immerhin.Zweitens kommt es regelmäßig vor, dass die Wirtschaftsprüfer nicht nur Bilanzen testieren, sondern die Firmen auch noch beraten, sogar in Steuerfragen. Einerseits listige Anleitungen zum Steuersparen, andererseits unabhängige Prüfung – das passt einfach nicht zusammen. Erst recht nicht, seit Beratung und Steueroptimierung den Prüfgesellschaften mittlerweile mehr Umsatz bringen als die eigentliche Prüfung.Drittens arbeiten die Wirtschaftsprüfer auch noch im Auftrag der Regierung. Um bei der Formulierung neuer Gesetze zu helfen, um Bürgschaften zu checken oder Ausschreibungen zum Kauf von Bundeswehrmaterial oder Schutzmasken zu organisieren. Ein aktuelles Beispiel: Der Wirtschaftsprüfer PwC hat 2020 für den Bund einen 90-Millionen-Euro-Bürgschaftsantrag für René Benkos KaDeWe-Gruppe abgewickelt und berät die Gruppe heute in Sachen Insolvenz. Unklar ist noch, ob der Staat wegen der Insolvenz Geld verliert. Klar ist aber, dass die Loyalitäten von PwC fraglich sind, wenn die Berater zu Staatsbürgschaften raten und im gleichen Unternehmen beraten.Zweifelsohne sind Wirtschaftsprüfer wichtig. Was also tun, um Vertrauen wiederherzustellen? Erstens sind Prüfung und Beratung strikt zu trennen. Beides gleichzeitig sollte verboten werden. Die großen Gesellschaften sollten in zwei selbstständige Teile gespalten werden, jeweils eine für Beratung und eine für die Prüfung. EY wollte das nach dem Wirecard-Skandal sogar aus eigenem Antrieb angehen. Besser wäre: Das Gesetz verlangte es.Zweitens sollte die Haftungsgrenze deutlich erhöht werden. Kein anderes Land packt seine Prüfer so in Watte wie Deutschland. 16 Millionen sind für Milliardenkonzerne noch viel zu wenig.Am tiefgreifendsten aber wäre drittens die Einführung einer umlagefinanzierten Prüfung. Alle Unternehmen zahlten dann in einen Topf, aus dem die Prüfer bezahlt werden – und eine unabhängige Regulierungsbehörde entschiede per Zufallsprinzip darüber, welcher Prüfer das Mandat für welche Firma bekommt.Ganz allgemein darf das Geschäftsmodell der Prüfergesellschaften nicht länger nach Interessenkonflikten stinken. Und der Staat sollte eigene Kompetenzen aufbauen, um nicht zur Weihnachtsgans für Beraterriesen zu werden!