Einen Zidane verhaftet man nicht

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Donnerstag, 20 Uhr, TV 5 Monde:

Es sollte eine Sensation werden, ein exklusiver Moment, endlich würde er
reden: über den Kopfstoß, seine algerischen Wurzeln, das Desaster der
französischen Nationalmannschaft bei der WM in Südafrika.

Welch ein Abend.

Man sieht die alten Bilder, 1998, der Weltmeistertitel, der jubelnde
Platini, die brodelnde Champs Elysées, Zidanes Porträt am Arc de Triomphe.

"Zinedine, was ist dieses Jahr bei den Bleus schief gelaufen", wollte der
Moderator wissen und schaute dabei so harmlos wie ein Wolf, der Kreide
gefressen hat."Seit Laurent Blanc da ist, mache ich mir keine Sorgen
mehr", sagte Zidane. Pause.

"Aber dass Spieler das Training verweigern ist schon etwas fragwürdig",
hakte der Moderator nach. "Besinnen wir uns auf das Positive", antwortete
Zidane.

Na ja, Fußballer seien auch nur Männer, knickte der Moderator ein -
wahrscheinlich um keinen spontanen Kopfstoß zu riskieren, sondern sanft
auf eben diesen zu sprechen zu kommen.

Ich war irritiert: Sollte das ein Enthüllungsinterview sein?

"Es war kein guter Tag damals und ich bin nicht stolz darauf, was ich
getan habe", sagte Zidane und zog die Stirn in Falten. Der Moderator
nickte verständnisvoll.

Ich musste an einen Bekannten denken, der mir weismachen wollte, der
Kopfstoß sei der Anfang des Niedergangs des französischen Fußballs
gewesen. Er wollte Zidane in Haft nehmen. Und dass die Franzosen Zidane
fraglos weiter hofierten sei nur eine weitere faule Stelle der Grande
Nation. Die setze sich ja auch nicht mit ihrer Rolle in Algerien
auseinander, der Heimat von Zidanes kabylischem Vater.

Ob sein Herz für Algerien schlage, fragte der Moderator noch.

"Immer", sagte Zidane und schaute sehnsuchtsvoll.

Sein Kopfstoß sagte mir tausendmal mehr.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Maxi Leinkauf

Redakteurin „Kultur“

Maxi Leinkauf studierte Politikwissenschaften in Berlin und Paris. Sie absolvierte ein Volontariat beim Tagesspiegel. Anschließend schrieb sie als freie Autorin u.a. für Süddeutsche Zeitung, Tagesspiegel und Das Magazin. 2010 kam sie als Redakteurin zum Freitag und war dort im Gesellschaftsressort Alltag tätig. Sie hat dort regelmäßig Persönlichkeiten aus Kultur und Zeitgeschichte interviewt und porträtiert. Seit 2020 ist sie Redakteurin in der Kultur. Sie beschäftigt sich mit ostdeutschen Biografien sowie mit italienischer Kultur und Gesellschaft.

Maxi Leinkauf

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