Es ist schon einige Wochen her, noch vor dem Sommer: Der Chef der Bundesnetzagentur Klaus Müller kündigte damals etwas an, was im Lärm der Debatte um das Heizungsgesetz mehr oder weniger unterging: Die sogenannten Erlösobergrenzen für neue Strom- und Gasnetzanlagen sollen vom Jahr 2024 an von 5,07 auf 7,09 Prozent erhöht werden. Was das heißt? Dass, während Millionen Menschen Angst vor der kommenden Nebenkostenabrechnung haben, der Staat den Netzbetreibern höhere Gewinne verschaffen will – auf Kosten von uns allen. Diese neuerliche, staatlich verordnete Umverteilung von unten nach oben zeigt deutlich: Das System privater Strom- und Gasnetze in Deutschland bedarf grundlegender Veränderungen.
Doch der Reihe nach: Die Energieversorgung in
sorgung in Deutschland verläuft sowohl bei Gas als auch bei Strom über verschiedene Arten von Netzen. Beim Stromnetz wird in überregionale Übertragungsnetze und lokale Verteilnetze – hin zu den Verbrauchern – unterschieden. Vier große Eigentümer teilen sich den Markt für die Übertragungsnetze: 50Hertz, TransnetBW, Tennet und Ampiron. Bei den Verteilnetzen ist die Lage sehr viel unübersichtlicher: Es gibt 865 Verteilnetzbetreiber, teils in öffentlicher und teils in privater Hand. Beim Gasnetz wird nach dem gleichen Schema wie beim Strom in Fernleitungs- und Verteilnetze unterschieden. Aktuell gibt es 16 Fernleitungsnetzbetreiber und mehr als 700 Verteilnetzbetreiber.Gas- und Stromnetze haben eine Besonderheit: Sie stellen ein sogenanntes natürliches Monopol dar. Aufgrund der hohen Investitionskosten für den Aufbau eines Netzes und der hohen Fixkosten gibt es nicht gleichzeitig mehrere Anbieter am Markt. Deshalb sollen die Netzbetreiber von der Bundesnetzagentur reguliert werden, die auch Ausbaupläne genehmigt und die Netzentgelte festsetzt. Und der Chef genau dieser Bundesnetzagentur, die darüber wachen soll, dass die Netzbetreiber ihre Marktmacht nicht über die Maßen ausnutzen, will den Netzbetreibern nun zusätzliche Profite ermöglichen?20 Prozent vom Strompreis gehen für die Netzentgelte drauf!Dabei ist der privatwirtschaftlich organisierte Betrieb der Strom- und Gasnetze schon jetzt ein einträgliches Geschäft. Zwar agieren viele Netzbetreiber in komplizierten Firmengeflechten, weshalb es keine seriösen Schätzungen der Gesamtgewinne der Netzbetreiber gibt. Aber aus den vorhandenen Daten lässt sich schließen, dass die Gewinne der Netzbetreiber in Deutschland jährlich bei deutlich mehr als einer Milliarde Euro liegen.Diese Gewinne bezahlen wir alle mit unseren Stromrechnungen. Die Höhe der Netzentgelte macht insgesamt ungefähr 20 Prozent der Gesamtkosten für Strom und Gas aus. Ein durchschnittlicher Drei-Personen-Haushalt zahlte nach Angaben der Bundesnetzagentur im Jahr 2022 rund 265 Euro Netzentgelte für Strom und 195 Euro für Gas. Doch das ist nicht die einzige Ungerechtigkeit im bestehenden System: Große und energieintensive Unternehmen zahlen weniger bis überhaupt keine Netzentgelte, was von Privatverbraucherinnen durch eine Umlage in Höhe von 1,2 Prozent des Strompreises ausgeglichen wird. Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen: Ein Drei-Personen-Haushalt zahlt pro Jahr 450 Euro für die Nutzung der Strom- und Gasnetze, während sich DAX-Konzerne von den Netzentgelten befreien lassen können. Die Kosten dieser Ungerechtigkeit belaufen sich auf mehr als eine Milliarde Euro jährlich. Das wäre Grund genug, durch eine Vergesellschaftung der Netze die Kosten für die Verbraucher*innen zu senken.Doch es gibt einen weiteren Grund, der für die Vergesellschaftung insbesondere des Gasnetzes spricht. Der Ausbau des Gasnetzes geschieht nicht auf Anweisung der Bundesnetzagentur, sondern auf Grundlage des Netzentwicklungsplans Gas, der von den Gasnetzbetreibern aufgestellt wird. Die Bundesnetzagentur prüft und genehmigt ihn dann nur noch. Studien zeigen, dass die Gasnetzbetreiber den zukünftigen Bedarf an fossilem Gas systematisch überschätzen, um das Gasnetz weiter ausbauen zu dürfen und mehr Netzentgelte zu kassieren. Und ohne Rücksicht auf das Klima: So planen die Gasnetzbetreiber bis 2030 den Zubau von Erdgasleitungen im Wert von acht Milliarden Euro, obwohl klar ist, dass damit alle Klimaziele verfehlt werden.Der Ausbau der Stromnetze lahmt – aber Gasnetze wollen die Betreiber bauen, auch wenn sie damit Klimaziele torpedierenWarum will die Bundesnetzagentur nun die Erlösobergrenzen bei den Netzentgelten nochmals anheben und somit die soziale Schieflage vergrößern? Der zentrale Grund ist, dass der für die Energiewende notwendige Ausbau der Stromnetze zu langsam vorangeht. Aufwendige Genehmigungsprozesse, Umweltprüfungen und Bürger*innenbeteiligung mit umfassenden Einwänden gegen neue Trassen schmälern den Anreiz für Investitionen trotz aussichtsreicher Renditemöglichkeiten stark. Um den Netzausbau anzukurbeln, weiß der Staat sich nicht anders zu helfen, als die Profite für die Netzbetreiber zu steigern. Letztendlich ist die Erhöhung der erlaubten Rendite jedoch nichts anderes als das Eingeständnis, dass die marktförmige Aussteuerung des natürlichen Monopols der Strom- und Gasnetze gescheitert ist. Es ist daher höchste Zeit, neue Wege zu gehen und die Netze unter öffentliche Kontrolle zu stellen. Das wäre nicht nur sozial und ökologisch sinnvoll, sondern würde auch den Anforderungen an eine Gesellschaft gerecht, die schnellstmöglich erneuerbare Energien zubauen muss. Eine Vergesellschaftung der Strom- und Gasnetze ist unausweichlich.Placeholder infobox-1Ein Blick in die europäischen Nachbarländer offenbart: Deutschland ist mit seiner vorwiegend privatwirtschaftlichen Organisation der Netze in der Minderheit. 2018 waren drei Viertel der Stromnetzbetreiber in Europa komplett oder überwiegend in staatlicher Hand. Die Vorteile von öffentlichen Strom- und Gasnetzen liegen dabei auf der Hand: Netze, die nicht mehr auf private Gewinne getrimmt sind, können endlich gemeinwohlorientierte Interessen in den Mittelpunkt rücken: eine möglichst günstige Bereitstellung von Energie für Menschen und Unternehmen sowie den Ausbau der Infrastruktur im Einklang mit der Klimapolitik.Doch wie könnte eine Vergesellschaftung konkret ausgestaltet werden? Schätzungen über die Kosten für eine Vergesellschaftung des Strom- und Gasnetzes gibt es kaum. Ralf Marquard geht in einem 2019 erschienenen Artikel allein für das Stromnetz von Kosten in Höhe von zwölf bis 15 Milliarden Euro aus. Ein ähnlicher Betrag käme für das Gasnetz hinzu. Kosten von circa 30 Milliarden Euro für die Vergesellschaftung stünden aber Kosteneinsparungen von jährlich mindestens zwei Milliarden Euro gegenüber, schon nach 15 Jahren würde sich eine Vergesellschaftung also rechnen. Die notwendige Finanzierung könnte im Rahmen eines Sondervermögens für Klimagerechtigkeit erfolgen.Derzeit fördern Arme über ihre Stromrechnung KonzerneWichtig ist, dass nicht eine Verstaatlichung, sondern eine Vergesellschaftung der Netze angestrebt werden muss. Schon jetzt befinden sich Teile des Strom- und Gasnetzes in staatlicher Kontrolle. Der Mutterkonzern des Stromnetzbetreibers Tennet ist zum Beispiel komplett im Eigentum des niederländischen Staates, der Netzbetreiber TransnetBW gehört über den EnBW-Konzern zu 46,75 Prozent dem Land Baden-Württemberg. Damit ist noch nichts gewonnen. Und auch bei einer Komplettverstaatlichung ließen sich die Netze nicht ohne politischen Einfluss betreiben. Um dies anhand aktueller Debatten zu illustrieren: Sollte in der aktuellen Regierungskonstellation im Bund die Zukunft der Gasnetze zur Debatte stehen, wäre das Resultat wahrscheinlich ein auf Wasserstoffmärchen beruhender milliardenschwerer Zubau. Anstatt einer unter Lobbyeinflüssen stehenden politischen Elite die Verfügungsgewalt über die Netze zu geben, braucht es also gesellschaftliche Kontrolle.Auf lokaler Ebene gibt es bereits zahlreiche Erfahrungen, wo sich Menschen zusammengeschlossen und für eine Rekommunalisierung von Netzen gestritten haben. In Hamburg beispielsweise wurde 2013 gegen den Willen des damaligen Oberbürgermeisters Olaf Scholz (SPD) ein Volksentscheid für die Rekommunalisierung der Energienetze angenommen und in den Folgejahren umgesetzt. Im Münsterland gelang es im Jahr 2016 insgesamt acht Kommunen, die Strom- und Gasnetze zurückzuerwerben. Diese regionalen Beispiele dienen als gute Vorbilder. Jedoch ist es in Zeiten von sich verschärfender sozialer Krise und fortschreitender Klimakatastrophe an der Zeit, die großen Räder zu drehen und für die Vergesellschaftung der überregionalen Netze zu streiten. Die sozial-ökologische Transformation kann nur gelingen, wenn die kapitalistische Verwertungslogik zurückgedrängt wird. In wenigen Fällen liegen die Fakten so eindeutig auf dem Tisch wie bei der Organisierung unserer Strom- und Gasnetze: Die aktuelle Form ist in vielerlei Hinsicht schlechter als die Alternative der Vergesellschaftung.