S21 - Scheindemokratisches Lifting

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Falsche Entscheidung

Um es vorweg zu nehmen: Das war eine falsche Entscheidung. Selbst noch beim Vortragen des Schlichterspruchs wurde das deutlich. Geißler hob hervor, dass es sich bei K21 um ein technisch machbares, also sinnvolles Projekt handele. Gleichzeitig zeigt die Art und Zahl der von ihm geforderten Nachbesserungen an S21, wie fehler- und problembehaftet jenes wiederum ist. Immerhin das „bestgeplante und bestgerechnete Projekt“, wie die S21-Befürworter nie müde wurden zu behaupten (den Beweis freilich blieben sie bis zum Ende der Schlichtung schuldig).

Warum Geißler dann aber so eindeutig sagte, dass er S21 weiter zu bauen für richtig halte, bleibt sein Geheimnis. Die angeführten verfahrensrechtlichen Begründungen (Planfeststellung, Finanzierung, Verhalten der DB etc.) sind zu schwach für ein Projekt dieser Größenordnung, zu schwach, um eine an und in sich falsche Sache weiter zu betreiben. Die Art der Begründungen verweist auch eindeutig darauf, dass es sich hierbei nicht um etwa rein sachlich-technische Dinge handelt, sondern es um politische Kategorien geht. Diese aber sind zunächst dem menschlichen Willen unterworfen, nicht den Naturgesetzen.

Willkür

Insofern und angesichts des breiten, vernünftigen Protests gegen S21 kann man hier auch von einem Akt der politischen Willkür, mindestens aber der Unvernunft sprechen. Und es ist im Weiteren auch politisch sehr unklug, möglicherweise sogar gefährlich -nach all den Lügen, Täuschungen und Tricksereien gegenüber Bürgern und Parlamenten, nach all den mafiaähnlichen Verflechtungen, die ans Licht kamen.

Das ist es, was die Menschen spüren. Und zwar alle Beteiligten. Warum sonst hätte die Berliner Regierungskoalition gestern eine aktuelle Stunde zum Schlichterspruch anberaumen sollen? (Protokoll ab S. 58)

Bürgerbefragung verhindern

Indes und kaum bemerkt, wies Heiner Geißler aber doch noch einen Ausweg, der, als er ihn erwähnte, Oberbürgermeister Schuster die Gesichtszüge entgleiten ließ: Er sagte, dass wenn sich herausstelle, dass das Projekt für die Stadt Stuttgart teurer würde als geplant, eine Bürgerbefragung durchaus möglich sei. (Phoenix, 30.11., um 17:06, timecode 16:20)

Diese Gefahr hat Bahnvorstand Kefer natürlich umgehend erkannt -und inzwischen angekündigt, dass der sogenannte Stresstest für S21 sich bis Mitte nächsten Jahres hinziehen würde. Bis zu einem Zeitpunkt also, wo die Landtagswahl gelaufen ist und wo man baulich so viele Fakten geschaffen hat (sprich: verschwendet und zerstört), dass eine Umkehr tatsächlich nicht mehr möglich oder vermittelbar wäre (aber selbst dann wäre sie noch sinnvoll, wäre nicht der homo oeconomicus allein das menschliche Maß aller Dinge).

Hinzu kommt, dass die Bahn und das Land nicht die Ergebnisse dieses Tests abwarten, wie das eigentlich normal und vernünftig wäre, sondern sich mit Händen und Füßen gegen einen Baustopp, ein Moratorium wehren. Das alles ist sehr durchsichtig.

Die Party geht weiter

Geißlers Entscheidung ist falsch. In mehrlei Hinsicht. Vor allem aber auch wird sie die Situation in Stuttgart nicht befrieden. Die Schlichtung hat den Protest vielleicht teilweise etwas anästhesiert. Von Befriedung aber keine Spur. Das Attac-Mitglied Geißler hat mit seinem Schlichterspruch genau die ins Wanken geratene politische Klasse wieder in den Sattel gehoben, die seine Organisation verantwortlich macht für neoliberalen Global-Unbill.

Das Große Lügen und Betrügen, die kriminelle Vorteilsnahme auf Kosten der Allgemeinheit soll also -scheindemokratisch geliftet- weiter gehen. Bereits gestern, nicht einmal 24 Stunden nach diesem Spruch, begannen die Protagonisten der CDU (die angeblich so viel gelernt hätten in diesem Prozess der Schlichtung) wieder damit. Allen voran Mappus und Gönner und in Berlin der sich widerwärtig gerierende Thomas Strobl (bei dem man gar nicht weiß, ob man zuerst erwähnen sollte, dass er Schäubles Schwiegersohn ist, oder dass seine Frau gerade einen entscheidenden Posten beim SWR besetzt hat, oder er derjenige ist, der jüngst Walter Sittler mit einem Nazivergleich versuchte in den Schmutz zu ziehen, oder ob man einfach sagt: er ist MdB, Vorsitzender des Vermittlungsausschusses und vor allem der Generalsekretär der B/W-CDU).

Der Widerstand gegen S21 wird weiter gehen. Trotz Bilderbuchwinter keine weihnachtlichen Gefühle in Stuttgart.

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