북한과 영상*

Perspektivwechsel Vor dem Start von „The Interview“: ein Spezial über die Bilder, die sich die Volksrepublik Nordkorea macht
Ausgabe 05/2015

Am 5. Februrar kommt die US-amerikanische Komödie The Interview in die deutschen Kinos – der Film, der zu Weihnachten Weltpolitik machte. Angeblich nordkoreanische Hacker hatten zum US-Kinostart mit Terrorakten gedroht, weil im Film Staatschef Kim Jong-un umgebracht werden soll.

Nun kann sich jeder im Kino selbst davon überzeugen, wie der Westen, in diesem Fall: ein in seiner Infantilität elaboriertes Genrekino, sich Bilder von Nordkorea macht. Aber welche Bilder macht sich Nordkorea – vornehmlich von sich, weil die Welt in dem abgeschotteten Land keine große Rolle spielt?

Dieser Artikel versammelt verschiedene Texte zur nordkoreanischen Bildproduktion, im Film und anderswo. Bei den Überschriften haben wir das Original etwas lockerer übersetzt: Auf der ersten Seite von Rodong Sinmun sind nämlich alle Headlines dem „Geliebten Obersten Führer, Generalsekretär der Partei der Arbeit und ersten Vorsitzenden der nationalen Verteidigungskommission der VR Korea“ gewidmet.

Matthias Dell

* Nordkorea und Film (wörtlich: Nordkorea und bewegte Bilder)

Impressionen von den Massgames in Pjöngjang

Foto: Ed Jones/AFP/Getty Images

Den Filmen gewidmet
Was das nordkoreanische Kino seinem Publikum erzählt

Wenn Kino als Ort der Projektion fungiert, so stellt das nordkoreanische Kino ein Paradebeispiel für Wunschkino dar. In ewig sich wiederholenden Szenarien werden nationaler Zusammenhalt, Größe und Prosperität beschworen. Das Ziel ist, die Menschen im Sinne der sozialistischen Ideale zu bilden und zu formen. So bleiben die Themen stets gleich, je nach politischer Agenda leicht variierend: Patriotismus, Loyalität, Stärke und nationale Einheit.

Den Sozialverbund Nation stören fremde, ausländische Einflüsse. Uriui Hyanggi (Our Fragrance, 2003) etwa, eine Heiratskomödie, handelt von zwei unterschiedlichen Familien, deren Kinder sich ineinander verlieben. Während der Bräutigam Kimchi-Forscher ist, hat sich die Braut als Touristenguide an westlichen Lifestyle gewöhnt. Am Ende kann der künftige Ehemann die Schwiegerfamilie von der Einzigartigkeit der koreanischen Kultur überzeugen.

Oft wird die Bevölkerung cineastisch zur Selbstüberprüfung angehalten. Der Film Han Nyeohaksaengeui Ilgi (The School Girl’s Diary, 2006) erzählt von den Bildungsjahren eines Mädchens. Die egoistische Protagonistin durchläuft einen Läuterungsprozess und findet schließlich ihren Platz in der Gesellschaft. In einer Schlüsselszene begehrt die junge Frau gegen ihren autoritären Vater auf: „Mein Leben gehört mir!“ Was in jedem westlichen Film als selbstverständlich gilt, klingt für nordkoreanische Ohren extrem dissonant; im Land, das sich als Großfamilie wähnt, stellt der Widerspruch zwischen Individuum und Kollektiv Konfliktpotenzial dar, dessen sich das Regime bewusst ist.

Der Film zeigt, dass Selbstreflektion nicht nur förderlich, sondern geradezu notwendig für die Kollektivbildung ist. Der Zuschauer wird durch die Tagebucheinträge der Hauptfigur dazu aufgefordert, die eigene politische Haltung zu überprüfen und zu korrigieren. Das Individuum kann erst nach ausgiebiger Selbstevaluierung zu sinnvoller Positionierung im System finden. Die rebellische Tochter kehrt an die Brust des weisen Vaters zurück und akzeptiert dankbar den ihr zugewiesenen Platz: als Happy End.

In San neomeo Maeul (The Other Side of the Mountain, 2012), von einem US-Amerikaner koreanischen Ursprungs produziert, wird die Geschichte eines Liebespaars erzählt, das im Koreakrieg getrennt wurde. Der Krieg und die anschließende Teilung des Landes werden mit Archivmaterial in Erinnerung gerufen. Während der Mann, ein südkoreanischer Kriegsdeserteur, mit einem Missionsarzt in die Niederlande emigriert und dort ein berühmter Chirurg wird, bleibt sie in Nordkorea und widmet sich dem Wiederaufbau. Als sich die beiden nach mehr als 40 Jahren in Nordkorea wiedertreffen, ist sie schwer krank und stirbt in seinen Armen. Aus Gram stirbt er bald darauf. Höhepunkt des Films ist ein Lied, das – gemeinsam von Crew und Cast gesungen – die fremd herbeigeführte Teilung anklagt und die Wiedervereinigung herbeisehnt. Derlei Filme mit historischen Referenzen sind an die jüngere Generation adressiert, die weder Kolonial- noch Kriegserfahrungen hat und kapitalistischen Einflüssen aus China und Südkorea ausgesetzt ist.

In nordkoreanischen Filmen wird häufig der Zusammenhalt der Gruppe betont, von dem das Wohlergehen aller abhängt. Etwa in Pyongyang eseoui Yaksok (Meet in Pyongyang, 2012), einer chinesisch-nordkoreanischen Koproduktion, in der eine chinesische Tänzerin zur Vervollkommnung ihres koreanischen Tanzstils nach Pjöngjang reist. Dort lernt sie eine koreanische Tänzerin kennen, die ihr die Essenz des koreanischen Tanzes erklärt: Der Tanz gehört nicht dem Tänzer, sondern der Gruppe, folglich muss sie sich deren Dynamik anschmiegen. Als logischer Anschluss wird die Arirang-Performance im Stadion des 1. Mai gezeigt (siehe „Den Massen gewidmet). Nebenher stellt sich heraus, dass die Lehrerinnen der beiden Tänzerinnen im Koreakrieg gemeinsam gegen den US-amerikanischen Feind gekämpft haben, womit eine Kontinuität der sinokoreanischen Freundschaft konstruiert wird.

Zweifelsohne enthält das nordkoreanische Kino Wunschdenken und Phantasmen, produziert Legenden und geschichtliche Fiktionen. Aber es war und ist nicht Abbildung dessen, was im Land passiert, sondern wie Nordkorea sich selbst vor lokalem Publikum vor- und darstellt. Der Blick von außen wird nicht gänzlich ignoriert, aber er ist wenig relevant – es ist ein Kino der Selbstversicherung und -vergewisserung, dass es trotz Beschwerlichkeiten ein besseres, gerechtes Morgen für alle geben kann. Zugleich ist dieses Kino auch international, da es bereits Antworten und Reaktionen auf die spürbare Globalisierung enthält.

Die hier erwähnten Filme waren alle auf dem Filmfestival in Pjöngjang zu sehen (siehe „Dem Fest gewidmet“); ausländische Einflüsse und die Ängste vor ihnen werden sichtbar. Je marginaler Nordkorea von der Außenwelt dargestellt wird, desto entschlossener pocht das Land auf bisher erbrachte Leistungen und seine feste nationale Identität. Es besteht auf seinem Recht, eine eigene Version der Geschichte zu erzählen – die Perspektive einer postkolonialen Nation ist bekanntlich eine andere als die der Großmächte. So betrachtet, kann das nordkoreanische Kino durchaus als Kontrast zur westlichen Geschichtsschreibung gesehen werden.

Sun-ju Choi

Impressionen von den Massgames in Pjöngjang

Foto: Ed Jones/AFP/Getty Images

Der Straße gewidmet
Wohin die Passanten schauen

Zu den speziellen Erfahrungen des Mitteleuropäers, der selten seine Privilegien hinterfragen muss, gehören die wenigen Momente, die sich in Pjöngjang zu Fuß ergeben. Die Stadt ist sauber, die Farben sind blass, es gibt kaum Schrift und sieht also aus wie in einem DEFA-Film mit der jungen Jutta Hoffmann. Die Menschen haben ihre Wege, sie schlendern nicht. Oder sie warten geduldig an den O-Bus- und Straßenbahnhaltestellen. Es gibt zu wenig Handys, als dass das Checken des Screens schon kulturelle Praxis sein könnte. Manche lesen beim Laufen Texte für die kommenden Parteischulungen. Der Mitteleuropäer wird angeschaut mit einer Mischung aus Scheu und Interesse. Richtig zurückzublicken, ist eine Kunst.

Matthias Dell

Impressionen von den Massgames in Pjöngjang

Foto: Ed Jones/AFP/Getty Images

Den Massen gewidmet
Wie in den „Arirang“-Shows 100.000 Tänzer den nationalen Bilderkanon performen

Als Nordkorea-Reisender wird man auf Schritt und Tritt mit absurden Superlativen konfrontiert: Der Triumphbogen erinnert zwar an denjenigen in Paris, ist aber um zehn Meter höher als das Original. Die U-Bahn hat zwar nur 17 Stationen, liegt aber 110 Meter unter der Erde, im Technikmuseum erfährt man, dass Kim Il-sung zu seinen Lebzeiten 10.820 Bücher geschrieben habe und der pyramidenförmige Riesenbau des „Ryugyong“ wäre bei termingerechter Fertigstellung im Jahre 1989 mit seinen 105 Etagen und 5 Drehrestaurants natürlich das höchste Hotel der Welt gewesen, hätte man den Bau wegen Materialmangels nicht um wiederum rekordverdächtige 20 Jahre unterbrechen müssen.

Abseits solcher Spiegelfechtereien gibt es einen wirklich beeindruckenden Superlativ in Nordkorea: die Massgames – eine in jeder Hinsicht gewaltige Tanz und Gymnastik-Show mit bis zu 100.000 Teilnehmern, die in perfekter Synchronität lebendige Bilder formen. Eine Show dieser Größenordnung ist ein organisatorischer und logistischer Kraftakt ohnegleichen, den das Regime auf sich nimmt, ist er doch perfekter Ausdruck des Systems: der Einzelne funktioniert nur als Teil des Kollektivs, und das Kollektiv ist nur perfekt, wenn jeder Einzelne es ist.

Wer die Bilderwelten Nordkoreas verstehen will, muss die Massgames gesehen haben. In der Show Arirang, benannt nach einer Volksweise, wird in etwa 20 lebenden Bildern die Geschichte Nordkoreas nachgezeichnet. Von der mythologischen Gründung am Paektusan, dem heiligen Berg im Norden des Landes, bis zur Entwicklung der „starken, wohlhabenden und mächtigen Nation“, die das Land in seinem Selbstverständnis heute ist.

Es wäre ein Missverständnis, zu glauben, dass die Show aufgeführt würde, um westliche Besucher anzulocken. Dafür ist die Tourismus-Industrie zu unbedeutend und die Show politisch zu stark aufgeladen. Das Geheimnis der Massgames liegt in der Bestätigung eines gelernten Bilderkanons für die Nordkoreaner selbst. Das Bild vom Geburtshaus Kim Jong-ils im Schnee am Fuße des Paektusan hat eine ganz bestimmte ikonografische Form, in der es ständig wiederholt wird – vom Modell im Kindergarten über die allgegenwärtigen Propagandaposter bis zur Szene in den Massgames.

Natürlich ist es beeindruckend, dieses Bild in einem Meer von 10.000 lebenden Schneeflocken und einer Armee bildhübscher weiblicher Soldaten-Darstellerinnen zu erleben. Doch seinen Platz in der Show hat es, damit der nordkoreanische Zuschauer seiner staatlich verordneten Bilderwelt versichert wird. Das Spektakel richtet sich somit nach innen und nicht nach außen. Die Massgames ermöglichen eine direkte Teilnahme an dieser Inszenierung, sie stellen ein gewaltiges Reenactment der kanonischen Bilder dar, geformt aus den Körpern der Teilnehmer. Nimmt man die Backup-Tänzer dazu und all diejenigen, die in monatelangen Trainingssessions aussortiert wurden, die Trainerstäbe, die Schneider für die Kostüme und die Familien der Beteiligten, wird klar, dass große Teile der Bevölkerung in dieses gewaltige Menschendaumenkino einbezogen sind – und soweit ich das durch mein Teleobjektiv gesehen habe – voller Begeisterung.

Werner Kranwetvogel

Impressionen von den Massgames in Pjöngjang

Foto: Ed Jones/AFP/Getty Images

Dem Fest gewidmet
Warum bei der Abschlussgala des Filmfestivals alle so glücklich aussehen

Nordkoreaner sprechen koreanisch, Chinesen sprechen chinesisch, Russen sprechen russisch und alle anderen englisch. Das ist die Erfahrung auf der Abschlussgala des Internationalen Filmfestivals von Pjöngjang im Herbst 2014. Das Festival lockt zwar (und auch nur in bescheidenem Ausmaß) ausländische Gäste an, aber es spricht vor allem zu sich selbst und den Landsleuten. Was die überschaubar versammelte Welt hier sieht, ist nicht so wichtig wie das, was sich mit der Welt über Nordkorea sagen lässt. Also läuft der Gewinnerfilm Die Brücke am Ibar (deutsche Produktion in serbischer Sprache) nur mit koreanischen Untertiteln, und also wird bei den Moderationen vom Chinesischen oder Russischen ebenfalls nur ins Koreanische übersetzt und nicht noch einmal ins Englische.

Zum Rahmenprogramm gehört der Auftritt der Sandmalerin Kim Myong, die wie alle auftretenden Künstlerinnen eine Nationalpreisträgerin ist. Ihre Fertigkeiten sind eindrucksvoll, virtuos malt sie Bilder in den Sand auf einem Tisch, über dem eine Kamera angebracht ist. Die Geschichte ist die immer gleiche koreanische Geschichte, deren Dramatik der eingespielte Soundtrack besorgt: Die Erzählung im Sand beginnt in friedlicher Vorzeit, ehe Bombengedröhn US-amerikanische Zerstörung untermalt, das bedrohte koreanische Kind wird von koreanischen Soldaten verteidigt, schließlich Aufhellung und dauerhaftes Glücklichsein. Großer Kitsch, weil die Kunstfertigkeit von Kim Myong in krassem Gegensatz zu der standardisierten Propaganda steht.

Das überschaubare Personal der Festivalbesucher wird permanent begleitet nicht nur von Führern und Aufpassern, sondern auch von einem Kamerateam. So entsteht eine Art offizieller Reisefilm, der das Ende der Passage markiert und Footage für Fernsehberichte liefert: Die Ausländer sehen glücklich und interessiert aus.

Zu den Gepflogenheiten gehört der Dank der Delegationen, der in einer Sitzung am vorletzten Tag als spontane Idee inszeniert wird. Einem schwedischen Dauergast kommt die Ehre zuteil, im Namen aller internationalen Gäste einen Brief an den „Geliebten Führer“ zu verfassen.

Der Schwede verfasst selbst einen Entwurf, dessen Bearbeitung hinausgezögert wird, sodass er schließlich den ihm ausgehändigten Text liest. Als Zeichen seines Nichteinverstandenseins korrigiert er das fehlerhafte Englisch, was man für eine merkwürdige Form der Dissidenz halten kann. Im Brief heißt es, die Delegationen bezeugten „the brilliant reality“ des Landes. Man hätte das „brilliant“ beim Vorlesen weglassen können aus Subversion, aber das wäre vermutlich eh keinem aufgefallen von denen, für die es eine koreanische Version gibt. Weil die wenigsten Nordkoreaner rauskönnen, um zu gucken, wie es in der Welt aussieht, müssen die Weltvertreter, die reinkommen, bestätigen, dass es so aussieht wie bei ihnen. So trägt man als Gast zur Propaganda bei.

Matthias Dell

Er, sie und wir

Tourismus in Nordkorea findet ausschließlich in geführten Gruppen statt. Kontakte zur Bevölkerung sind nicht vorgesehen. Dennoch habe ich auf meiner zweiten Fotoreise zu den Massgames versucht, möglichst viele nordkoreanische Portraits zu machen. Etwa von den „local guides“ im U-Bahn-Museum.

Eine gestalterische Grundregel der zahllosen Wandgemälde in Nordkorea ist, dass der „Ewige Präsident“ Kim Il-sung immer einen halben Kopf größer ist als die ihn umgebenden Figuren. Ich habe also bei der ersten Aufnahme penibel darauf geachtet, dass die Guides Kim Il-sung nicht verdecken und schon gar nicht überragen.

Sun-ju Choi promovierte zur Geschichte des nordkoreanischen Films und arbeitet zur Zeit als Leiterin des Tuebingen Center for Korean Studies at Korea University (TUCKU) in Seoul.

Werner Kranwetvogel ist Regisseur und Drehbuchautor. Sein Fotoband A Night in Pyongyang (Nicolaische Verlagsbuchhandlung 2007) ist der einzige zu den Massgames in Pjöngjang (www.massgames-pictures.de). Bilder gibt es auch über die Lumas-Galerien

Als die beiden Frauen jedoch mein Foto sahen, waren sie sehr erschrocken – in ihrer Wahrnehmung sind sie als Figuren immer noch deutlich größer als der „Große Führer“. Daher haben sie mich angewiesen, ein weiteres Bild zu machen und sich so aufgestellt, wie sie sich selbst in Bezug auf Kim Il-sung sehen. Mit dem Ergebnis waren die beiden dann rundum zufrieden: zwei kleine Arbeiterinnen im Dienste des Volkes, überstrahlt von der Figur des freundlichen Übervaters.

Werner Kranwetvogel

PDF

Die Seite der Printausgabe ist nach dem Vorbild einer nordekoreanischen Zeitung gestaltet. Hier gibt es das PDF zum Download

Jetzt schnell sein!

der Freitag digital im Probeabo - für kurze Zeit nur € 2 für 2 Monate!

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen