Die Dynamik des Wunders

Kino Jessica Hausners Film über die Pilgerstätte Lourdes hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck. Den Glauben an Wunder kann er so nicht erschüttern

Lourdes ist der Film der Stunde. Zumindest für die katholische Kirche, die sich pünktlich zu Ostern über die Austritte im Zuge der öffentlich gewordenen Missbrauchsfälle an ihrem Kerngeschäft erfreuen kann: dem Wunder. Die österreichische Regisseurin Jessica Hausner, die vor zehn Jahren mit ihrem Debüt Lovely Rita für Aufsehen sorgte, erzählt eine sich selbst erfüllende Geschichte von der Hoffnung auf Heilung im titelgebenden Wallfahrtsort. Der Auftakt ist fulminant. Wir sehen einen von sehr viel Grün durchflorten Speisesaal, den eine Reisegesellschaft zum Ave Maria wie eine Bühne in Besitz nimmt. Die Kamera fokussiert schließlich Christine (Sylvie Testud), die querschnittsgelähmte Hauptfigur, die auf Ernährung durch eine der die Reise organisierenden Malteser-Schwestern angewiesen ist.

Das restliche Personal scheint aus Kinofilmen entlehnt und säkularisiert zu sein, die sich vor Lourdes um parareligiöse Phänomene gekümmert haben. So erinnert die strenge und abgründige Oberin Cécile (Elina Löwensohn) an jenen Frauentyp voller egoistischer Fürsorge, der in Rosemary’s Baby Mia Farrow das Leben schwer macht. Ein verschlossen-tratschendes Damenpaar gemahnt an die beiden Frauen, die in Wenn die Gondeln Trauer tragen Donald Sutherland auf schaurige-zugeneigte Weise mit ihren Geschichten helfen wollen. Überhaupt führen hier vor allem Frauen das Wort. Oder schweigen: Die alte Dame, die sich der von ihrer an Selbstverwirklichung interessierten Pflegerin verlassenen Christine annimmt, sagt kein Wort.

Geheilte auf dem Amt

Lourdes ist ein zwiespältiger Film, dem jeder Schauder fremd ist. Zwar nimmt er mit kühlem Blick die eindrucksvolle Touristenkulisse von Lourdes in den Blick: Immerfort sieht man Schlangen von Menschen, die Devotionalienläden und Souvenirshops passieren, die sich Steine berührend in die Grotte begeben oder in der Massenmesse ihren Platz suchen. Die Aussicht auf Heilung ist bei Hausner vor allem wiederkehrende Reisegruppenlogistik. Für eine Demaskierung der Wallfahrts­industrie ist Lourdes zugleich aber zu wohl erzogen: Die Momente, in denen Malteser-Verantwortliche dem Pfarrer Witze erzählen („Der Heilige Geist, Maria und Jesus wollen in den Urlaub fahren“) oder jugendliche Pflegekräfte ihre profanen Nachtlebenerlebnisse diskutieren, wirken trotz aller Zurückgenommenheit zu billig, um den Glauben, der das Geschäft des Wallfahrtorts befeuert, erschüttern zu können.

So passiert, was hinter vorgehaltener Hand jeder schon einmal gehört hat: Christine kann erst ihre Hände bewegen und dann aus dem Bett aufstehen, und am komischsten ist die Szene, bei der sich Pfarrer und Geheilte hernach bei einem Amt erkundigen, inwieweit das offiziell anerkannt werden kann. Beim abschließenden Ball, den ein eindrucksvoller Crooner mit italienischen Diskohits bestreitet, stürzt Christine und landet wieder im Rollstuhl.

Das Wunder entpuppt sich in Lourdes derart als Metapher für einen konservativen Gesellschaftsentwurf, in den jeder am besten den Platz behält, dem das Leben ihm schon immer zugewiesen hat – und seine Träume, und betreffen sie auch nur das Flirten mit einem gutaussehenden Malteser-Abgeordneten, gar nicht erst träumt. Das Wunder der Heilung, das Lourdes, allem Rationalismus entgegen, erst trocken wagt und sich schließlich doch nicht traut, wird so zur Hypothek für die Kirche: Ein bisschen Katholizismus geht nicht.


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