Ich hab' gerade alles gegeben

Tatort Fertigwerden ist auch eine Qualität: Mit einer für Konstanzer Verhältnisse womöglich sogar ambitionierteren Folge "Letzte Tage" geht die Tatort-Saison unspannend zu Ende

Manche Sätze muss man sich auf der Zunge zergehen lassen, weil sie so lange nachschmecken ob ihrer, äh, dichten Textur: "Die Entsprechung der musikalischen Überdeterminierung ist die Verweisstruktur der Erzählung." Mit anderen Worten: Der Tatort will doch immer sehr viel auf einmal, vermutlich besteht aber genau darin seine Schickung (um im Wagner-Jahr for once hinabzusteigen in den Keller der deutschen Sprache).

Die definitorische Melancholie angesichts von Letzte Tage befällt auch, weil Saison-Finale ist. Konschtanz hinten raus – das spricht schon von der Ansetzung her für den unspannenden Ausgang der Spielzeit; früh/sehr früh/so früh wie noch nie stand München als Meister fest. Auf den Plätzen: Boro mit dem Eidinger-Postboten, Wien in Kärnten mit Gedächtnisschwächen, der Abschied der feschen Conny aus Bankfurt und Berlin, eh' das Überraschungsteam der Saison (wenn das mal was hieße in diesem Tagesformgeschäft Tatort!). Wie im richtigen Leben finden sich auf den Abstiegsplätzen this time die Aufsteiger aka Debütanten: Dortmund und Sarrebruck – Hin- und Rückspiel.

Um das Rennen um die angeblich gemessene und für die Zwecke der ARD als relevant ja immer unbedingt doubtable Zuschauergunst müsste man mit den Analogien wohl in den Radsport umziehen (passt wegen des dort verbreiteten Dopingbewusstseins auch viel besser zu den Quoten): mit der roten Rückennummer des aktivsten Fahrers lange Zeit Münster, attackiert vom neureichen Newcomer Stil Schweiger von der Hamburger NDR-Mannschaft, Münster allerdings mit guten Beinen und Rolli "Die singende Doppelhaushälfte" Kaiser als Edeldomestiken, der den Sprint anfahren konnte und seine Teamkapitäne in aussichtsreiche Position brachte.

Ein Happen Dilemma

Genug der Abkündigungen, auf zum letzten Spiel, das Glanz und Elend des Tatort vor Augen führt. Es beginnt für Konstanzer Verhältnisse nämlich fast elegant, wenn nicht witzig (Buch: Stefan Dähnert, Regie: Elmar Fischer): "Perle" Perlmann (Sebastian Bezzel) erzählt Klarablum (Eva Mattes) von den Prism-Sorgen seiner Beamtenlaufbahn, dass alles prädestiniert ist in so einer Kommissarskarriere bis hin zur Verrentung. Das ist komisch, weil nebenher der Einsatz an- und abgepfiffen wird, small talk unter Kollegen bei der Routine. Ärzte reden bei der OP ja auch übers Wetter, was die Kinder machen und wie das Fernsehprogramm gestern war.

Und wenn dann mit Jochen Heigle (Ralf Beckord) als ermittlungtreibendem Opfer ein Mann tot auf der Fähre aus der Schweiz gefunden wird, der dem Tod durch Leukämie schon geweiht war, scheint für einen Moment ein hübsches kriminalethisches Dilemma auf: dass nämlich der gewaltsame Tod an Brisanz verlieren könnte, wenn der natürliche Tod sowieso ante portas stand. Mit so was ein wenig rumzuspielen hätte man der Folge nach dem Auftakt zugetraut.

Aber der Tatort ist eine Maschine, die reibungslos funktioniert. Sie spult ein Programm runter, das Verdächtigkeit immer hübsch verteilen muss, weil das Stille-Post-Spiel mit möglichst vielen suspects angeblich attraktiver erscheint. Ein richtiger Schocker über die Ruchlosigkeit des Pharmabiz wird Letzte Tage folglich im Leben nicht, er drückt nur den Allgemeinplatzknopf und dann dampft und ächzt es ein bisschen: Das Unternehmen steht unter Erfolgsdruck, heißt ("Sanortis") so ähnlich wie das richtige Leben ("Novartis"), will aber dann nicht mehr wissen vom Geschäft, als das global operierende Pharmabuden mitunter wohl nicht ganz koschere Geschäfte machen.

Troublemakerin der Gefühle

Im drögen Tatort-Parlamentarismus darf jede Partei ihre Meinung sagen, ohne dass daraus ein wirklicher Streit der Standpunkte würde; bezeichnenderweise ruft Null-Null-Lüthi (Roland Koch), der wieder mit von der Partie ist, am Ende mal durch, um zu verkünden, dass die Pharmabude ihr umstrittenes Medikament vom Markt nimmt. Träumt weiter, Kinder, sagt die Mutti, die das Spielzeug zurück an seinen Platz packt, und diese Mutti ist der Tatort: Sie tut so, als ließe sich die Welt aufräumen wie ein Kinderzimmer.

Also Troublemakerin der Gefühle agiert die nasenblutende Medizinstudentin Mia Hennig (Natalia Rudziewicz), die auch Leukämie hat und daher keen on Rettung ist – durch Medikament und/oder Studium. Die "Blöd-Zeitung" (Kommissar Stoever) kann dann morgen fragen, wer die gut aussehende Kopfverdreherin war oder gleich vom "Kripo-Luder" sprechen, so wie Mia-ist-Mia anklampfert bei den Ermittlern ("Heute ist mein Geburtstag"). Borderlining mit gesteigertem Sexualtrieb mag es in der Wirklichkeit auch geben, aber so erzählt, als eine Schublade im Kinderzimmer, aus der Schneewittchen steigt, ist das letztlich herzlos wie nichts Gutes.

Der Tatort, diese Wundertüte, bastelt sich in Letzte Tage also was zurecht. Die Entsprechung dieser spannungsdramaturgischen Überdeterminierung, bei der Mutti Heigle am Ende mal so nebenher erpresst, wie unsereiner sonst abwäscht, ist das Foto der Chinesen. Das wurde dankbarerweise so aufgenommen, dass das eigentlich fotografierte Touristenpaar am Rand klemmt, damit der Zuschauer, die hohle Nuss, sofort merkt, was eigentlich Phase ist: Schneewittchen auf der Fähre. Hätte Michaelangelo Antonioni seinerzeit so gearbeitet, Blow up wäre ein Kurzfilm geworden.

Es interessieren "am Ende des Tages" (Karl-Heinz Rummenigge) einzig die Details. Etwa dass in Konstanzer Programmkinos Männerherzen 2 (wenn wir das richtig gecheckt haben, die Musik schien nicht original zu sein) läuft, dessen Wahl einen schon zum Filmkenner stempelt. Dass nach Stefan Raabs Hier kommt die Maus-Cover (ab 10:18, live) jemand nach "Stefan Rattke" fragt. Dass die armen, von Krankheit bedrohten Kinder schlichterweise an charlesdickensierenden Schiebermützen zu erkennen sind in ihrem Bedrohtsein, während "Perle" Perlmann nach der gescheiterten Love Affair fast konsulbuddenbrookhaft auf der Konstanzer Fußgängerzonenbank einem harten Winter entgegenblickt. Und dass das Anwanzen bei der Jugend aus dem Sattel gefahren wird. Sagt Null-Null-Lüthi, wenn er sich auskennen will: "Cooles Schlagzeug! Hi-Hat, Snare, alles dran." Den kann man sich merken, um mit den jungen Leuten ins Gespräch zu kommen: Hey, coole Gitarre, Griffbrett, Saiten, alles dran.

Tatort will return am 18. August mit Flücki aus Luzern und der Folge Geburtstagskind.

Ein Zeichen, das man nicht übersehen kann: "MIMI 1994"

Ein Satz, den man in diesem Zusammenhang gerne hört: "Du bleibst einer von uns"

Ein Satz, den man über sich nicht gesagt kriegen will: "Ich wusste gar nicht, dass du auch Cineast bist"

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Matthias Dell

Filmverantwortlicher

Matthias Dell

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