Individualismus macht einsam

Film Die Geschichte der "Solo Sunny": Alexandra Czok versucht sich an einem Portrait Sanije Torkas, die für Konrad Wolfs bekannten Film Vorbild war. "Solo für Sanije"

Frage an die Ästhetik als geisteswissenschaftliche Disziplin: Kann es das geben, einen schlechten Film über eine gute Geschichte? Und was überwiegt dann beim Rat, dem man einem potentiellen Zuschauer geben soll: der schlechte Film oder die gute Geschichte?

Gegeben hat es in jüngerer Vergangenheit einige Dokumentarfilme, die künstlerisch an den guten Geschichten gescheitert sind, die sie erzählt haben. Anna Ditges hat in ihrer Nahaufnahme der Dichterin Hilde Domin (Ich will Dich) die Grenzen des Privaten mitunter übertreten, Marcus Welsch fehlte Geld und Geschick, sein Portrait einer an ihrer Dopingvergangenheit leidenden Sportlerin (Katharina Bullin – Ich dachte, ich wäre die Größte) nicht wie ein Heimvideo aussehen zu lassen.

Das Problem in den Fällen ist die Nähe zur Protagonistin, und ohne die wäre Alexandra Czoks Dokumentation wohl auch nicht machbar gewesen. Solo für Sanije heißt Czoks Film, der eine wahre Geschichte erzählt, die als Film bekannt geworden ist: Solo Sunny von Konrad Wolf aus dem Jahre 1980 ist ein Klassiker – ein Sittenbild der in die Jahre gekommenen DDR, in der das Warten kein Ende nimmt, und zugleich Unterhaltungskino, dessen trotzig-lakonische Dialoge (Drehbuch: Wolfgang Kohlhaase) Zuschauer bis heute zum Schmunzeln bringen. Die Geschichte der Sängerin Sunny siedelt zwischen deren tollkühnen Ansprüchen an ihren Individualismus und der trostlosen Realität des Tingeltangel durch die Provinz.

Abgelauscht war diese Geschichte, in der sich Künstlerbiografie und Alltagsbeschreibung treffen, dem Leben von Sanije Torka. Einem Leben, das sich zur Zeit der Dreharbeiten von Czoks Film im Offenen Strafvollzug abspielt. Zu Beginn erzählt Sanije, wie sie sich zum Arbeiten zurecht gemacht habe, und erst ein wenig später begreift man, dass dieses Arbeiten professionelles Klauen meint. Das ist der vorläufige Endpunkt eines so haltlosen wie stolzen Lebens, das zufälligerweise gut dokumentiert ist. Solo für Sanije zeigt nicht nur zahlreiche Ausschnitte aus Konrad Wolfs Film, sondern auch Szenen aus einem frühen Film des Dokumentaristen Jürgen Böttcher, der in einem Film über Heimkinder (Notwendige Lehrjahre) eben auch Sanije als junges Mädchen vor der Kamera hatte.

Ihre Eltern hat sie nicht kennen gelernt, ihren richtigen Namen erst spät erfahren, ein Fluchtversuch in den Westen führte ins Gefängnis, als Ausweg blieb die Stasi-Zusammenarbeit. Vieles in der Biografie der Sanije Torka bleibt offen, vielleicht auch deshalb, weil diese Biografie, dieses Ringen um die eigene Geschichte, sich nicht chronologisch fassen lässt und in der Fiktion besser aufgehoben ist. Alexandra Czok gelingt es nicht, ihre Protagonisten zum Erzählen zu bekommen, auch wenn hier und da interessante Sätze fallen („Die Freiheit im Westen finde ich besser als die in der DDR“): zu einem Erzählen, das nicht Jahreszahlen aufarbeitet, sondern Erfahrung in Geschichten verwandelt. Statt den Kreis weiter zu ziehen und aus Solo für Sanije auch einen Film über Sanije zu machen, verengt Czok den Fokus: Die Gespräche mit der Frau, deren sanft berlinernde Stimme bodenständiger klingt als ihr traumverlorenes Naturell zu sein scheint, werden zusammengeschnitten wie Politiker-Äußerungen in der Tagesschau.

Reduziert auf den Informationsgehalt lässt sich über Solo für Sanije zumindest sagen: Was im Film Individualismus heißt, äußert sich im Leben als Einsamkeit.


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Geschrieben von

Matthias Dell

Filmverantwortlicher

Matthias Dell

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