Urlaub in Night City

Games Ein ausgedehnter Städtetrip trotz Corona, ohne Maskenpflicht und Abstandsregeln, mit Keanu Reeves als ständigem Begleiter – diese Woche erschien „Cyberpunk 2077“

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Keanu Reeves bei einem Promo-Event für das Spiel „Cyberpunk 2077“ im vergangenen Jahr. Reeves war die Vorlage für eine der Hauptrollen im Spiel
Keanu Reeves bei einem Promo-Event für das Spiel „Cyberpunk 2077“ im vergangenen Jahr. Reeves war die Vorlage für eine der Hauptrollen im Spiel

Foto: Christian Petersen/Getty Images

Kurz vor Ende des Jahres 2020 steht noch das Spiele-Ereignis des Jahres an, und es kommt passend zum Corona-Lockdown: Da erscheint Cyberpunk 2077 der polnischen Entwickler CD Projekt RED, die für ihre überaus erfolgreiche Witcher-Reihe bekannt sind. Millionen Spieler*innen weltweit werden für Tage oder Wochen in das retro-futuristische Open-World-Spiel versinken, jeden Winkel der Spielwelt erkunden und gegen den Konzernkapitalismus antreten, der so typisch für das Science-Fiction-Subgenre „Cyberpunk“ ist. Ich auch. Und in diesem und in folgenden Blogartikeln werde ich die Eindrücke von dieser Reise teilen

In Cyberpunk-Spielen treten Spieler*innen aktiv in die Fußstapfen der Protagonist*innen genreprägender Literatur der 1980er wie Neuromancer (William Gibson), Snow Crash (Neal Stephenson) oder Mirrorshades (Bruce Sterling) – dystopische Szenarien, in denen Hacker*innensich transhumanistisch mit technischen Implantaten aufrüstenund in gesicherte Netzwerke eindringen. Wer zu den teils sperrig geschriebenen Texten und recht maskulinen Szenarien keinen Zugang fand, konnte in Filmen wie Blade Runner oder Matrix zumindest atmosphärisch und visuell in typische Cyberpunk-Motive reinschnuppern – auch wenn1999, als Matrix herauskam, Cyberpunk als Genretrend fast schon wieder vorbei war. Das reale Internet hatte die ziemlich rückständig wirkenden Visionen der 1980er und frühen 1990er überholt.

Eingebetteter Medieninhalt

Heute ist der Unterschied noch deutlicher: Unsere Computertechnik wird von Unsichtbarkeit und Glätte dominiert. Die Realität ist nicht mehr so haptisch wie früher, was den Philosophen Byung-Chul Han vor einigen Jahren zu einer deutlichen Kritik der „Transparenzgesellschaft“ veranlasst hatte. Unsere technische Umwelt dreht sich um WiFi, 5G, Cloud und Touchscreen; dagegen wirken Netzwerkkabel, Festnetz-Telefon, Diskette und sogar Tastatur wie Relikte einer vergangenen Ära. Digitale Vernetzung war damals neu und aufregend, heute ist sie für viele Leute zur Trivialität geworden. Nur Künstliche Intelligenz war damals wie heute Thema (zuletzt in Gibsons neuem Roman Agency).

Aber genau die zumindest teilweise noch handfeste Technik ist ein Grund, warum Cyberpunk-Motive jetzt wieder an Reiz gewinnen. Ein Spiel wie Cyberpunk 2077 ist nicht nur mit einem Kino-Blockbuster vergleichbar – und dürfte allein deshalb erfolgreich werden –, sondern führt uns auch zurück in die „gute alte Zeit“. Es zeigt uns nicht nur eine fiktive Zukunft, sondern erinnert uns daran, wie wir uns früher die Zukunft vorgestellt hatten – damals, als wir selbst noch jünger waren und vielleicht den ersten eigenen Heimcomputer ausprobierten – und was seitdem verloren ging.

Und das im Cyberpunk-Genre neben der Hardware, der „harten“ Technik, vor allem das Versprechen: über sie Kontrolle erlangen zu können.

Info

Diese Artikel-Reihe erscheint zeitgleich bei ueberstrom.net. Weitere Reisen durch Computerspiele unternimmt der Autor in seinem Buch Let's Play! Was wir aus Computerspielen über das Leben lernen können, das im November 2020 erschien. Im nächsten Teil: Cyberpunk als Weg zurück in die „irgendwie doch sichereren“ 1980er und -90er

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Mario Donick

Autor und Teilzeit-Kommunikationsforscher

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