Bei den Mitgliedstaaten der Europäischen Union liegt die Verantwortung für das Steuersystem auf der nationalen Ebene. Das ist ihr finanzpolitischer Gestaltungsspielraum. Das nationale Steuersystem eines EU-Mitgliedsstaates ist damit auch Ausdruck des jeweiligen Staatsverständnisses. Der europäische Vergleich zeigt: In Bezug auf die Steuersysteme unterscheiden sich die einzelnen Mitgliedsstaaten der EU erheblich.
Ein Blick nach Deutschland zeigt zuallererst die Komplexität des hiesigen Steuersystems. Nach den Daten des Statistische Bundesamt lagen die gesamten Steuereinnahmen 2018 bei 776,3 Milliarden Euro – das entspricht einem Anteil am Bruttoinlandsprodukt von knapp 23 Prozent. Dabei fielen 234,8 Milliarden Euro auf die Umsatzsteuer, 208,2 Milliarden Euro auf die Lohnsteuer. Diese Steuern sind sogenannte Gemeinschaftssteuern, ihr Aufkommen wird auf die unterschiedlichen föderalen und staatlichen Ebenen nach einem vereinbarten Schlüssel verteilt. Die Energiesteuer brachte dem Bund 40,9 Milliarden Euro und die den Gemeinden zufallende Gewerbesteuer 55,9 Milliarden Euro. Für die Bundesländer war die Grunderwerbsteuer eine wichtige Einnahmequelle, die immerhin14,1 Milliarden Euro einspielte.
In Deutschland werden vor allem Konsum und Arbeit besteuert. Und obwohl das deutsche Umsatzsteuersystem an manchen Stellen verwirrend wird, so ist der reguläre Umsatzsteuersatz von 19 Prozent in Deutschland im EU-Vergleich eher gering. Allerdings trifft die Konsumbesteuerung vor allem diejenigen, die einen großen Teil ihres Einkommens für Konsumgüter ausgeben müssen. Das sind vor allem die Haushalte mit geringen Einkommen, von dem kaum etwas gespart werden kann. Gemessen am Einkommen ist die Belastung aus der Umsatzsteuer dieser Haushalte relativ hoch.
Kommen wir aber zu der zweiten wichtigen Steuerart: Lohnsteuer. Einkommen aus Arbeit wird in Deutschland wesentlich stärker besteuert als etwa Einkommen aus Kapital. Das ist nicht nur ungerecht, sondern auch kaum nachvollziehbar. Hier ließen sich die deutlichen Gerechtigkeitslücken relativ leicht durch entsprechende Anpassungen der rechtlichen Rahmenbedingungen ändern.
Wichtig wäre es aber auch, die sogenannte kalte Progression abzuschaffen. Gerade bei den mittleren Lohn-Einkommensgruppen werden Gehaltssteigerungen weitgehend durch den dann anzuwendenden steigenden Grenzsteuersatz und die Abgaben zur Sozialversicherung verschlungen. Das macht keinen Sinn und schürt Unmut. Mit traditioneller Arbeit kann kaum jemand reich werden.
In diesem Umfeld werden die Reichen immer reicher
Und wie ist das mit den Unternehmen? Formal liegt der Körperschaftssteuersatz in Deutschland bei 15 Prozent plus Solidaritätszuschlag, was mit dem Hinweis auf den internationalen Wettbewerb gerechtfertigt wird. Aber offenbar reichen die Abschreibungs- und Verrechnungsmöglichkeiten den Unternehmenszentralen vielfach nicht: Immerhin 29 Prozent der eigentlich anfallenden Körperschaftssteuer werden nicht bezahlt, weil Gewinne in Steueroasen verlagert werden.
Dieses Steuersystem mag komplex und kaum nachvollziehbar sein. Es ist aber nicht zu unterschätzen. Dieses Steuersystem lenkt. Kapitaleinkommen werden vor allem von Vermögenden generiert. Eine Vermögensbesteuerung findet nahezu kaum Anwendung. Die Erbschaftsteuer ist in wesentlichen Punkten ausgesetzt.
Die jetzt reformierte Grundsteuer ist eine Vermögensteuer. Hier soll demnächst auch der Wert des Vermögens in die Berechnung eingehen. Eine schöne Idee. Aber wer zahlt? Auch hier lohnt sich der Blick in die Überwälzungspraxis: Die Grundsteuerlast kann als Nebenkosten auf die Mietverhältnisse übergewälzt werden. Damit begleichen letztendlich diejenigen die Rechnung aus der Vermögensteuer, die gar kein Immobilienvermögen haben. Klasse! In diesem Umfeld werden die Reichen immer reicher.
Dieses Steuersystem ist Ausdruck eines antiquierten Gesellschaftsverständnisses. Die Zukunft muss von Kapital und Arbeit gemeinsam gemeistert werden. Denn es gibt einen Zusammenhang zwischen der Besteuerung und wachsenden Ungleichheit im Land. Das hat weitreichende Konsequenzen für das gesellschaftliche Klima. Tatsächlich wird von der Politik alljährlich beklagt, dass die ungleiche Verteilung von Vermögen und Einkommen zugenommen hat. Diese Betulichkeit kann sich die Politik ersparen, denn es liegt in ihrer Hand steuernd einzugreifen.
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