Das rechnet sich

Art Basel Ursprünglich attackierten Performances den Warencharakter der Kunst. Heute sind sie verkäuflich
Ausgabe 24/2019

Die Schlange brach alle Rekorde. Am frühen Mittag stand das geduldige Kunstpublikum über zwei Stunden auf dem kleinen Campo Celestia, um in das Magazzino No. 42, den Place-to-be der 58. Kunstbiennale in Venedig zu gelangen. Kurz zuvor war der Goldene Löwe an den Litauischen Pavillon gegangen, der dort untergebracht war. Eine Überraschung? Das geduldige Publikum erwartete eine performative Extravaganz, eine „opera-performance“ mit dem Titel Sun & Sea (Marina) für 13 Stimmen. Gut zwei Duzend Darsteller und Sänger mimten acht Stunden ohne Unterbrechung eine illustre Strandgesellschaft, lagen auf Decken, rieben sich mit Sonnencreme ein, Kinder buddelten im Sand oder spielten Ball. Aus Lautsprechern drang eine minimalistische Elektro-Soundkulisse und in regelmäßigen Abständen setzten Gesangssolisten ein, um ein scheinbar harmloses, doch beim genaueren Zuhören umso makabreres Lied anzustimmen. Die Lieder bauten ein unheimliches Bedrohungsszenario auf: Ein Vulkanausbruch, ein explodierter Tanker, ein Flugzeugabsturz gefährdeten die Idylle gespenstisch. Dem litauischen Künstlerinnentrio, das für den Pavillon verantwortlich, gelang ein gültiges Tableau einer selbstvergessenen und glückshungrigen Gesellschaft. Ein starker Beitrag, der Maßstäbe setzte.

Doch nicht allein die Qualität erklärt die Auszeichnung. Sun & Sea markiert vielmehr einen Höhepunkt einer langen Entwicklung, mit der die Performance und eine Vielzahl von Aufführungspraktiken im Verein mit veränderten Betrachterhaltungen ihren Platz im Kunstfeld behauptet haben. Will man Gemeinsamkeiten der vielen Performance-Formen und Aufführungspraktiken seit ihren Anfängen in den 1950er-Jahren finden, so ist dies eine: Ihr antikapitalistischer Impuls. Zeitbasierte, ephemere Ereignisse, Happenings lehnten sich zuerst gegen die Kunst als Ware auf. Diesen Impuls haben sie bewahrt und sie zeigen sich heute so erfolgreich, gerade indem sie den Fetischcharakter der Kunst untergraben.

Ihre Präsenz ist auf Großausstellungen wie der Venedig Biennale unübersehbar. Kunstschauen erhalten durch Performances gegenüber dem kapitalgesteuerten Kunstmarkt ein Alleinstellungsmerkmal und vermitteln ihrem Publikum eine einmalige, exklusive Erfahrung. Ein posthumer Goldener Löwe für Christoph Schlingensiefs Deutschen Pavillon machte 2011 in Venedig den Anfang und verblüffte damals noch viele. Es folgte 2013 ein Löwe für die performativen Interventionen des Deutsch-Iraners Tino Sehgal. 2015 wurde das Werk der New Yorkerin Joan Jonas mit Special Mentions bedacht und schließlich erhielt Anne Imhof 2017 einen Goldenen Löwen für die Bespielung des Deutschen Pavillons mit ihrer Arbeit Faust. Performance zählt.

Und das auch im ökonomischen Sinn, wie ein Blick auf die kommende Art Basel zeigt. Die Kunstmesse öffnet am Montag für die VIP-Gäste. Dazu hat die rumänische Performancekünstlerin Alexandra Pirici schon einmal ihr monumentales Mitmach-Environment Aggregate (2017-2019) aufgebaut. Auch die Sonderschau Unlimited wartet in einer eigenen Sektion mit Performancekunst von Daniel Knorr bis Rivane Neuenschwander auf. Das rechnet sich.

Drei Geschäftsmodelle

Der Markt hält dazu drei grundlegende Geschäftsmodelle bereit. Erstens die Performance als quasi mäzenatisches Spektakel. Dieses Modell darf man getrost als Marketingmaßnahme verstehen. Sie unterstreicht den exklusiven Standort ebenso, wie sie der Publikumsbindung dient. Schon 2014 leistete sich die Art Basel 14 Rooms, ein Reenactment historischer Performancepositionen in 14 Zimmern. Die kleinere Schwestermesse Liste hat eine eigene Performancereihe, die in diesem Jahr zum ersten mal von den teilnehmenden Galerien getragen wird.

Längst vertreten etablierte Galerien Künstler, die aus der Performance Kunst oder dem Tanz kommen, wie die Galerie Chantal Crousel, die in Basel mit den Performern Jennifer Allora & Guillermo Calzadilla anreist. Sie vertreten das zweite Modell, das versucht aus dem Ereignis, der Performance Objekte in die Warenwelt einzuführen. Videos zum Beispiel, von der einfachen Dokumentation bis hin zu elaborierten Epen – bei Joan Jonas und Eve Sussman zum Beispiel. Die andere Möglichkeit: Das Theaterrequisit wird zum Kunstrelikt erklärt. Der US-Amerikaner Paul McCarthy machte es mit Objekten aus seinen Trashvideos vor. Seit den frühen 1990er-Jahren ist Christoph Schlingensief und Erben bei der Zürcher Galerie Hauser & Wirth unter Vertrag, einem der weltweit umsatzstärksten Kunstvermarkter.

Die dritte Möglichkeit besteht nun freilich darin Choreografien oder Handlungsanweisungen anzubieten – Bruce Nauman stand hier unter anderem Pate. Das geht auf einem Poster, schriftlich, grafisch, mit oder ohne Video und Fotografie. Oder rein mündlich: Tino Sehgal hat als Tänzer und ausgebildeter Ökonom den Gedanken der Performance am Markt bisher am konsequentesten ausgearbeitet: Ausschließlich mündlich gibt der Künstler eine Handlungsanweisung an den Käufer. Bei einer Auflage von in der Regel fünf erwirbt sich der neue Besitzer das Recht die Performance aufführen zu lassen. Sie bleibt im Spiel und ist ihm zugleich entzogen.

Info

Art Basel, Messe Basel, 13. bis 16. Juni

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