Der Wald von gestern

Bühne Die einstige Claus-Peymann-Regieassistentin Karin Henkel inszeniert in Zürich Horvaths "Geschichten aus dem Wiener Wald" so bieder wie sonst nur der späte Claus Peymann

Das Theater eine Arena, das Theater ein Totentanz und mittendrin das gehetzte Tier Marianne. So will es die Regisseurin Karin Henkel, mit ihrem Kölner Kirschgarten zum Berliner Theatertreffen 2011 eingeladen, in der Inszenierung von Ödön von Horváths Geschichten aus dem Wiener Wald am Zürcher Schauspielhaus. Henkels Bühnen- und Kostümbildnerin Henrike Engel baut dazu aus schwarzen Brettern das Zirkusrund. „Morituri te salutant – die Todgeweihten grüßen dich“ prangt als Motto der Schauspieler-Gladiatoren über der Arenaschiebetürpforte des Einheitsbühnenbildes.

Bis auf die Protagonisten tragen die Akteure, voran die Genfer Combo Dead Brothers zur musikalischen Untermalung, schwarze Trikots mit Skelett-Applikation. Horváth calvinistisch: Hier erlaubt sich keine Walzer-Seligkeit, kein Wiener Schmäh, und im Grunde ist die Geschichte vom gefallenen Mädchen aus dem 8. Bezirk mit dem ersten Bild erzählt. „Da draußen in der Wachau, die Donau fließt so blau", singt Lilith Stangenberg als Horváths naiv-ehrgeizige Marianne, begafft, taxiert und kommentiert von einer notgeilen Männerrunde auf den Rängen, die ihr, zuerst der eigene Vater, die Ambitionen auszutreiben trachtet. Wie im Liedchen zum Auftakt endet der Konflikt in der Katastrophe.

Marianne wird am Ende des zweieinhalbstündigen Abends vom Schlachter aus der Nachbarschaft, Oskar (Matthias Bundschuh), den sie nicht liebt, heimgeholt. Ihr Vater, der Zauberkönig (Michael Neuenschwander), hatte sie am Anfang mit ihm verlobt, worauf sich Marianne mit Alfred (Aurel Manthei), Schwangerschaft und Kind der Verlobung und dem väterlichen Diktat entzieht. Von Alfred verlassen findet sie sich als Nacktmodell in einer Nachtbar wieder, wo es zum Showdown kommt – bei Henkel die überdrehte Reprise des Wachaulieds, in der Marianne vor der besoffenen Entourage des Vaters in einem Tableau vivant die nackte Fortuna geben muss. Vom Vater erneut verstoßen, gerät sie von einem Gast des Etablissements des Diebstahls bezichtigt ins Gefängnis, ihr Kind stirbt bei den Pflegeeltern und nur die Verbindung zum Fleischhauer verhindert das Ende in der Gosse.

Abonnentenpublikumsberuhigung

Ob das „Volksstück in drei Teilen“ Tragödie oder Komödie sei, ist bei Horváth nicht ausgemacht. Die einstige Claus-Peymann-Regieassistentin Henkel entscheidet sich eher für den tragischen Anteil und inszeniert mit allem Wort-Theater-Plunder so unterhaltsam bieder, wie man es sonst nur in einer späten Inszenierung von Claus Peymann zu sehen bekommt.
Lilith Stangenberg, die ihrer Marianne viele Zwischentöne abgewinnen kann, und ein spielfreudiges Ensemble machen in dem gesteckten Rahmen ihre Sache leidlich gut. Doch trotz gewollter Aktualisierungen – so sorgen Fritz Fenne und Kate Strong als postdramatisches Moderatorenduo in Deutsch und Englisch regelmäßig für den derben Spaß – bleibt Henkels Hováth derartig im Gestern, dass man ihn nur noch allegorisch auf die Verarbeitung ihres Vater-Tochter-Konflikts lesen möchte.

Oder auf den Zustand des Züricher Schauspielhauses und seines Verhältnisses zum bourgeoisen Abonnentenpublikum vom Zürichberg. Marianne, bei den Franzosen die Figur, die vor allem für die Freiheit steht, stünde hier für die bisher auch in ihrer dritten Spielzeit recht glücklos agierende Intendantin Barbara Frey. Nach Henkels Allegorie wäre dieses Versagen dem allzu konservativen Zürcher Publikum zuzuschreiben, das die Intendantin in ihren Entfaltungsmöglichkeiten obstruiert. Wie auch immer, nach diesen Geschichten aus dem Wiener Wald steht das Haus nicht besser da.

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