Die imaginäre Mauer der Distanz

Interaktion Die Inszenierung "Balthazar" auf Kampnagel begibt sich auf die Suche nach dem Zusammenleben mit Tieren. Was sind wir mit ihnen und durch sie geworden?

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Die imaginäre Mauer der Distanz

Foto: MHMK

Die Beziehung zwischen Mensch und Tier ist angespannt. Als intelligenteste Spezies ist der Mensch seit jeher übergeordnet und jagt seit Beginn seiner Zeit Tiere um zu überleben. Albert Schweizer nannte diesen Prozess eine mangelnde Ehrfurcht vor dem Leben und appellierte für mehr „Liebe zur Schöpfung als solche“. Mittlerweile hat sich bei Tieren eine fast schon natürliche Scheu vor der Spezies Mensch entwickelt.

Doch wenn wir ehrlich sind, wer kann sich von dieser Scheu vor dem Menschen freisprechen? Innerhalb unserer Gattung, die ebenso intelligent wie grausam sein kann, liegt es ebenfalls in der Natur, zunächst Abstand von unseresgleichen zu halten. Hier scheinen wir dem Tier also sehr zu ähneln.

Die Ins­­zenierung von Regisseur David Weber-Krebs und Dramaturg Maximilian Haas widmet sich genau diesem Thema der Mensch-Tier-Beziehung. In ihrem Stück läuft der Esel „Balthazar“ auf der Bühne umher. Er ist nicht allein, das Darstellerduo Tabea Magyar und Renen Itzhaki versucht durch wechselnde interaktive Bewegung die Aufmerksamkeit des Tieres zu gewinnen. Das Publikum wird an diesem Abend nicht nur Zeuge und sondern auch aktiver Part eines Forschungsprojekts. Bei jeder kleinen Bewegung dreht der Esel Ohren und Kopf. Dramatische Reaktionen bleiben aus. Die Atmosphäre ist ruhig, die Zuschauer schweigen und so öffnet sich die Wahrnehmung für die kleinsten Veränderungen im Raum. Während der Vorführung läuft jegliche Verständigung nonverbal ab – Körpersprache ist die Kommunikation der Sinne. Als die Darsteller dem Esel näher kommen und ihre Köpfe auf seinem Rücken ablegen, läuft dieser davon.

Und plötzlich beginnt der Prozess, mit dem die beiden Macher dieser Inszenierung gerechnet haben: Die Zuschauer beginnen sich mit dem Esel zu identifizieren. Situationen, in denen Nähe unangenehm ist, sind bekannt. Fremde Personen treten in die Intimzone ein und durchdringen somit eine imaginäre Mauer der Distanz. Leider ist es den meisten Menschen unmöglich Reißaus zu nehmen, wie es der Esel instinktiv tut.

Wir Menschen nehmen unser Umfeld bewusst wahr, haben Interesse an dem Leben anderer. Auch wir drehen unsere Ohren in die Richtung des Geschehens und möchten möglichst viel mitbekommen, von dem was um uns herum geschieht. Wenn wir jemandem den Rücken zukehren überkommt uns nicht selten ein unwohles Gefühl. Wir versuchen alles im Blick zu haben, zu kontrollieren. Wie der Esel.

Im Grunde sind wir nicht so verschieden wie wir zunächst anzunehmen. So wurde der Zuschauer des Stückes „Balthazar“ auf kontroverse Weise daran erinnert, dass eine Reaktionsprovokation nicht von Nöten ist, um mit Tieren in Kontakt zu treten. Vielmehr sind es die kleinen, feinen Gesten oder Laute, die Aufmerksamkeit auf sich ziehen und Interesse an seinem Gegenüber wecken. Eine bessere Kommunikation gelingt ohne laute Worte und grobe Taten. Eine Message, die angekommen ist: Sensibilität spielt im Umgang mit dem Menschen eine ebenso große Rolle wie mit anderen Lebewesen.

Dieser Beitrag entstand im Rahmen eines Studentenprojektes derMacromedia Hochschule für Medien und Kommunikation unter der Leitung von Dozentin Simone Jung. Sechs Studentinnen des Studiengangs Kulturjournalismus bloggen noch bis zum 15. Juni über das Live Art Festival"ZOO 3000: Occupy Species" auf Kampnagel aufliveartfestival.wordpres

Christina Libuda
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Geschrieben von

MHMK Kulturjournalismus

Macromedia Hochschule für Medien und Kommunikation (MHMK) Studiengang Kulturjournalismus, Seminarleitung Simone Jung

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