Ami go home (Gewissenskonflikte 1)

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Vorbemerkung:

Ich habe neulich ein paar Zeilen geschrieben zu den nervenden Amis in Berlin-Mitte, politisch nicht ganz korrekte Zeilen, die mich zögerlich machten. Ich ließ sie liegen und dachte: Perdu! - bis nun Thilo Sarrazin der Zeitschrift Lettre International ein Interview gab, in dem er sich um Kopf und Kragen redet, siehe aktuelle Ausgabe. Verkürzt gesagt, behauptet der ehemalige Berliner Finanzdirektor, dass siebzig Prozent der Türken und neunzig Prozent der Araber in Berlin sich keinen Deut um Integration und Prosperität scheren und diese wunderbare, aber doch schon sehr heruntergewirtschaftete Stadt vollends in den Abgrund reißen.

Ich, Verfasser einiger zweifelhafter Zeilen über die Amerikaner von Berlin-Mitte, war Sarrazin für dieses Interview dankbar. Warum eigentlich nur die Türken und Araber? Fragte ich mich. Sind es nicht auch die Amis, die unsere Stadt zerstören? Sie tun es natürlich nicht durch exzessives Kinderkriegen, ausgebufftes Sozialhilfebeantragen und Grillfleischrestebergemachen, sondern durch ihre eigene Art der Bildungsferne: durch penetrantes Latte-Macciato trinken also und und die Kastanienallee genannt Castingallee so lange rauf und runter laufen, bis der letzte Einheimische entnervt in die Aussenbezirke emigriert, nach Pankow oder noch weiter nördlich nach Berlin-Buch.

Hier nun meine Zeilen, mögen Sie dem unbestechlichen Urteil der Geschichte standhalten oder noch viel besser: von ihm widerlegt werden:

Karlsruhe

Ich bin kein Berliner. Ich kam vor zwanzig Jahren aus der Schweiz in die Stadt, meine erste Station war Kreuzberg. In Kreuzberg gab es keine Amerikaner, sondern Türken, die leckeren Döner feilboten und Schwaben, die in den besetzten Häusern wohnten. Die Schwaben waren nicht besonders beliebt, es wurde ihnen vorgeworfen, dass sie den Mythos Berlin kaputt machten (wenn man die Vorwürfe mal unter diesen abstrakten Begriff fallen lassen darf). Einer meiner ersten Bekannten war ein Badenser aus der Nähe von Karlsruhe. Er betonte, kein Schwabe zu sein, bei den meisten Bewohnern galt er trotzdem als Schwabe. Die meisten Schwaben in Kreuzberg waren ja in Wahrheit Badenser aus der Gegend von Karlsruhe.

Zu jener Zeit lernte ich meinen ersten Amerikaner in Berlin kennen. Er hieß Christopher und besetzte eine Wohnung in der Ackerstraße in Mitte. Christopher studierte Soziologie, las das alternative Stadtmagazin Scheinschlag und fuhr nach Rumänien, wo ein betrunkener Pfarrer in halsbrecherischer Fahrt mit ihm durch die Karpaten raste. Ich mochte Christopher und seine Erzählungen. Ich dachte, dass Menschen wie er der Stadt gut tun.

Dann hatte ich über 18 Jahre kaum Berührung mit den Amerikanern, wenn man von sporadischen Besuchen in der Amercian Academy im beutlichen alten Westen absieht.

Im Vergleich zu Paris

Obwohl ich lieber meinem alten Westen treu geblieben wäre, bin ich vor ein paar Monaten in den nördlichen Prenzlauer Berg gezogen, in einen Stadtteil, der gerade im Begriff ist, sich zu gentrifizieren, unter anderem durch Menschen wie mich (leider). Wenn ich in eine Kneipe etwas weiter südlich gehe, kann es vorkommen, dass ich nicht nur von Amis umgeben bin, die es wahnsinnig aufregend finden, auf irgendwelchen Z-Stühlen zu sitzen, sondern auch von einem jungen Menschen mit dem Akzent der Ostküste bedient werde.

Natürlich gibt es Amerikaner, die sich für mehr als nur die Kastanienallee interessieren und dafür, dass Berlin so cool und so unglaublich preisgünstig ist im Vergleich zu Paris. Diese Amis werden Fremdenführer und führen ihre Landsleute auf Leihfahrrädern durch Mitte, wo sie …, aber lassen wir das.

Vor ein paar Wochen nun hatte ich ein Begegnung mit einer Amerikanerin sozusagen im innersten Kern meines neuen Zuhauses. „Nun sind sie schon im Keller“ dachte ich, und schäme mich sofort für diesen wirklich hässlichen Gedanken. Die Amerikanerin, sie mochte um die Vierzig sein und hatte bestimmt mit Kunst zu tun, verlangte auf Englisch sofortigen Durchmarsch für sich und ihre Kisten, ihr Flieger gehe in vier Stunden. Ihr Getue machte mich wütend, ich wurde laut, sie herrschte mich an: „Who the fuck are you?“

In der Tucholskystraße

In diesem Moment hätte ich gerne gesagt: „Ich wohne seit meiner Kindheit in diesem Haus, hier habe ich nach der Jugendweihe ins Kopfkissen gekotzt, hier habe ich Depeche-Mode-Parties veranstaltet, bis die Vopo kam, hier habe ich meine Großmutter, die übrigens noch mit der Kutsche zur Arbeit gefahren war, in ihren letzten Stunden begleitet, und nun lassen sie mich sofort in Ruhe“. Aber leider konnte ich das nicht sagen, ich war ja selbst ein Zugezogener, der mit einer gewissen Skepsis von den älteren Einwohnern beguckt wurde.

Ich war schon drauf und dran, den Vorfall aus dem Keller zu vergessen, als ich vor ein paar Tagen auf dem Weg zur Arbeit an einer Kinderschar in der Tucholskystraße vorbeiging. Die Kinder sprachen deutsch, manche jedenfalls, – allein, die beide Betreuer unterhielten sich deutlich vernehmbar im schrillen Akzent der Ostküste. "Die Kinder, sie haben die Kinder!", schoss es mir durch den Kopf, und: "Armes Berlin, es ist zu spät." Und nein, anders als Thilo Sarrazin mag ich meine Zeilen nicht nachträglich entschärfen, von wegen missverständlich ausgedrückt und mein Bedauern ausdrücken: ich meine es genau so, wie es da steht.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Michael Angele

Ressortleiter „Debatte“

Michael Angele, geb. 1964 in der Schweiz, ist promovierter Literaturwissenschaftler. Via FAZ stolperte er mit einem Bein in den Journalismus, mit dem anderen hing er lange noch als akademischer Mitarbeiter in der Uni. Angele war unter anderem Chefredakteur der netzeitung.de und beim Freitag, für den er seit 2010 arbeitet, auch schon vieles: Kulturchef, stellvertretender Chefredakteur, Chefredakteur. Seit Anfang 2020 verantwortet er das neue Debattenressort. Seine Leidenschaft gilt dem Streit, dem Fußball und der Natur, sowohl der menschlichen als auch der natürlichen.

Michael Angele

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