Die Schrullen sind geblieben – hier begibt sich Karen (Bodil Jørgensen) auf die Spuren einer Spiritistin aus der 1. Staffel
Foto: Christina Geisnaes/Zentropa
Hospital der Geister wurde 1994 gezeigt und hat uns sofort begeistert. Warum? Einfach gesagt, handelt es sich um eine Krankenhaus-Serie, die mit den Regeln des Genres bricht (vor allem der, dass der Chefarzt ein Frauenschwarm sein muss). Wir kamen gerade aus unserer Begeisterung für Twin Peaks von David Lynch. Mit der Geschichte von der Aufklärung des Mordes an der 17-jährigen Laura Palmer durch den FBI-Agenten Dale Cooper gelang Lynch zwar eine großartige Kombination aus Krimi und Mystery, aber Lars von Trier, der die Serie bewunderte, ging weiter. Er wolle die Handlung noch stärker fragmentieren als Lynch, sagte er. Stimmt, aber ich denke, es kam etwas anderes dazu.
1992 erschien nicht nur Twin Peaks – Der Film, sondern auch das kaum beachtete Buch eines Phi
uch das kaum beachtete Buch eines Philosophieprofessors aus Florenz: L’età neobarocca von Omar Calabrese. Der neobarocke Zustand: Das meint, dass das Triviale und das Raffinierte, das Erhabene und das Komische, das Sinnliche und das Transzendente genau wie in der Barockzeit nebeneinander existieren. Es brachte unser Lebensgefühl auf einen Begriff (komisch, dass das Buch nicht einmal ins Deutsche übersetzt wurde). Der neobarocke Zustand trifft auch Hospital der Geister gut. Lars von Trier brachte zwei sich ausschließende Weltwahrnehmungsweisen an einem Ort, dem Reichskrankenhaus in Kopenhagen, und in einer Serie zusammen: das Lächerliche und das Ergriffensein.Zum Lachen war das Personal des Krankenhauses; die Ärzte waren überfordert, sie hatten komische Angewohnheiten, die sie uns nicht sympathisch machten. Ich erinnere mich an die bescheuerte „Aktion Morgenluft“ mit der der Oberarzt Moesgaard das Betriebsklima verbessern wollte, oder an den schwedischen Oberarzt Helmer, der jeden Tag mit Radkappen unter dem Arm ins Krankenhausgebäude lief und einen grotesken Hass auf alles Dänische pflegte. Wenn es in dieser Sphäre irgendeinen Bezug zum Transzendenten gab, dann nur in Schrullen; kannte Lars von Trier Freuds Satz von der Religion als kollektiver Neurose?Einen direkten Draht zur Transzendenz hatte die Hauptfigur, Frau Drusse, eine Spiritistin. Aber sie war auch eine Simulantin und außerdem eine Detektivin, die einer Verschwörung von Spiritisten im Krankenhaus auf die Spur kam. Allerdings spielte der Plot, der in der Geburt eines von Udo Kier gespielten monströsen Babys mündete, keine so große Rolle, war Trash.Im Werk von Lars von Trier gibt es eine produktive Spannung von Form und Inhalt, auf die Slavoj Žižek anhand von Breaking the Waves, dem Film, der auf Hospital der Geister folgte, hingewiesen hat. Die Geschichte um Bess (Emily Watson), das einfache, tiefgläubige Mädchen von der kargen schottischen Küste, das sich für seinen nach einem Unfall querschnittsgelähmten Ehemann (Stellan Skarsgård) prostituiert, um ihn glücklich zu machen, wäre ein schlechtes Melodram, arbeitete die nervöse Handkamera nicht so gegen das Pathos an, dass einem die Geschichte wirklich nahe kommt.Im Auftritt von Udo Kier kulminieren Pathos, Komik und SelbstreferenzIn Hospital der Geister erzeugten eine nervöse Kamera und die grobkörnigen, senfgelben Bilder ebenfalls einen Kontrapunkt. Auch wenn die transzendente Spur also weniger durch den Inhalt als durch den Stil gelegt wird, gab es doch zwei Figuren, die tief in dieser Spur gingen: die beiden Tellerwäscher im Keller des Reichskrankenhauses. Gespielt wurden sie von Morten Rotne Leffers (1968 – 1998) und Vita Jensen, beide mit Downsyndrom. Wenn sie bei ihrer Arbeit die beunruhigenden Geschehnisse in den oberen Etagen, aber auch jenseits des Krankenhauses besprachen, dann übertrug sich ihre Beunruhigung unmittelbar auf uns. Sie sprachen in einem ironiefreien Raum. Wenn Leffers sagte „Det er uhyggeligt“, dann war es ungemütlich. Man musste sie auf Dänisch hören. Der Reiz der ganzen Serie lag für uns Nicht-Dänen nicht zuletzt in der dänischen Sprache, die, egal ob aus dem Mund der Tellerwäscherin oder des Oberarztes, immer etwas kindlich klingt (Gleiches wird man vermutlich vom Schweizerdeutschen sagen).Anders als viele Künstler der 1970er Jahre scheint Lars von Trier am klassischen „Außenseiter“ nicht interessiert, das macht ihn politisch suspekt. Sein Interesse gilt dem „Idioten“. Und zwar im etymologischen Wortsinn, dem „Eigenen“, dem Unverdorbenen, der mit Konventionen nichts anfangen kann und anderen zu nahe rückt. Darin hat sich Lars von Trier bestimmt nicht ohne Koketterie als Künstler gespiegelt. In seinem Beitrag Idioten zur Dogma-Reihe hat er seine Faszination reflektiert, auch das Unlautere, Problematische daran. Opfer und Rache (Antichrist, Dogville) vervollständigen seine Obsessionen.In seinen öffentlichen Auftritten legte Lars von Trier öfter ein eher linkisches als souveränes Verhalten an den Tag. Legendär ist seine Pressekonferenz zu Melancholia, als er sich neben seiner Hauptdarstellerin Kirsten Dunst mit Ich-verstehe-Hitler-Phrasen und ihrer ironischen Brechung bei erneuter Bejahung um Kopf und Kragen geredet hat. Aber da war auch das Bekenntnis zu Albert Speer, dem Architekten des Größenwahns. Das war nicht nur kokett. Ich glaube, er wäre gerne Speer und Ernst Lubitsch zugleich; To Be or Not to Be ist sein Lieblingsfilm. Auch hier: Was sich ausschließt, zusammenbringen. Der neobarocke Zustand.Seit einigen Jahren leidet Lars von Trier unter Parkinson. Seine kurzen, zittrigen Auftritte berühren nun. Mit der dritten Staffel von Hospital der Geister, die nun als Geister – Exodus in ausgewählten Kinos gezeigt wird, endet wohl sein Werk. Der Anfang ist herrlich: Karen Svensson (Bodil Jørgensen) schaut die beiden ersten Staffeln zu Hause auf VHS und regt sich über das Ende auf. So kann es nicht enden. Sie lässt sich ins Reichskrankenhaus einweisen und schreibt die Geschichte in den Spuren der Drusse fort. Vieles wird fortgeschrieben. Helmer Junior (Mikael Persbrandt) ist genauso ein Dänenfresser, wie sein Vater es war, und er ist ein heimlicher Verehrer der Nationalsozialisten, wie sein Schöpfer Lars von Trier es vorgegeben hat, auf dessen Spuren wiederum eine Gruppe von japanischen Trier-Fans durchs Krankenhaus geführt wird.Selbstreferenzialität, Pathos und Komik kulminieren schließlich im neuerlichen Auftritt von Udo Kier, der als Riese im Sumpf steckt, der einmal an der Stelle war, wo nun das Krankenhaus steht, und im eigenen Tränenmeer zu ertrinken droht. Einen Tumor hat er außerdem, der operiert werden muss, denn es ist ja eine Krankenhaus-Serie, und ja, sogar der Chefarzt als Frauenschwarm findet eine ziemlich komische Parodie. Auch die Tellerwäscher gehen noch ihrer Arbeit nach. Jesper Sørensen spielt den Mann, die Frau ist jetzt ein Roboter. Ist das gut oder schlecht? Nun, es ist Lars von Trier.Eingebetteter MedieninhaltPlaceholder infobox-1
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