Voyeurismus ohne Reue

Hegelplatz 1 Im „Sommerhaus der Stars“ dürfen auch seriöse Zeitungsmacher ihre niederen Instinkte befriedigen, weil die Akteure der Show sie offenkundig selbst haben
Ausgabe 32/2018
Die „Stars“ von RTL: Shawne Fielding mit Patrick Schöpf
Die „Stars“ von RTL: Shawne Fielding mit Patrick Schöpf

Foto: Future Image/Imago

Wir machen eine seriöse Zeitung. Niedrige Instinkte müssen woanders bedient werden. Allerdings ist niedriger Instinkt nicht gleich niedriger Instinkt. Sich über ökonomisch Schwächere lustig zu machen, geht gar nicht. In unserem Medientagebuch wurde zu Recht die Reality-Soap Zahltag! Ein Koffer voller Chancen kritisiert: „Unbedarfte Menschen werden hier vorgeführt.“ Etwas anders stellt es sich aktuell bei Das Sommerhaus der Stars (montags auf RTL) dar. Hier werden zwar auch Menschen vorgeführt, im allgemeinen Verständnis sind sie aber nicht „unbedarft“. Es handelt sich nämlich um „C-Promis“, das heißt, um Menschen, die für Geld mutmaßlich alles tun. Niedere Instinkte dürfen die Zuschauer hier ohne Reue befriedigen, weil die Akteure der Show sie offenkundig selbst haben.

Acht Paare kämpfen um den Gewinn von 50.000 Euro. Man ist in sehr einfachen Verhältnissen in Portugal untergebracht, muss Challenges bestehen und kann von den anderen rausgewählt werden. Eine Schlangenbrut! Das geht gleich beim Einzug los, als Patricia Blanco, zuerst angekommen, sich das vergleichsweise komfortabelste der Schlafzimmer mit Mehrpaarbelegung sichert. Das wird ihr bald als niederträchtig ausgelegt. Und so geht es weiter bis zu Verbalinjurien unter den Männern.

Man schaut nicht ohne wohligen Schauer zu, kann aber auch Erkenntnisse gewinnen. Interessanterweise halten die Paare immer nur andere Paare für niederträchtig, so gelten nur die anderen als „geldgeil“. Die Intrige wird nie als solche, sondern als legitimer Akt der Notwehr empfunden. Manchmal agiert man gemeinsam und ekelt ein Paar heraus, so geschehen mit Jens Büchner und seiner Frau Daniela aus dem Ballermann-Milieu. Zu ihnen hielt nur Frank Fussbroich, der sich als ehrliche Kölner Haut sieht, und den anderen die Wahrheit „ins Gesicht“ sagt. Die Wahrheit ist aber: Fussbroich ist ein besonders penetranter Charakter, was wiederum Patrick Schöpf durchschaut, der aber selbst in seiner Rolle als kühler Checker nervt. Schöpf ist mit Shawne Fielding liiert, die eine geradezu menschliche Figur macht, paradoxerweise weil sie die Show einfach als Show versteht. Eine weitere Beobachtung: Die Paare agieren ziemlich gleichberechtigt. Sie bilden verschworene Gemeinschaften und sind kleine Unternehmen. Das trifft besonders auf Stephanie Schmitz und Julian Evangelos zu, zwei Influencer, die sich in einer RTL-Kuppelshow kennengelernt haben. Aber es gibt ein richtiges Leben im künstlichen: Evangelos studiert Ethik und Sport auf Lehramt. Das muss erwähnt werden, denn er rastet bei den Challenges rasch aus. So gesehen weiß man nicht, ob man seine Studienwahl begrüßen oder schrecklich finden soll.

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Geschrieben von

Michael Angele

Ressortleiter „Debatte“

Michael Angele, geb. 1964 in der Schweiz, ist promovierter Literaturwissenschaftler. Via FAZ stolperte er mit einem Bein in den Journalismus, mit dem anderen hing er lange noch als akademischer Mitarbeiter in der Uni. Angele war unter anderem Chefredakteur der netzeitung.de und beim Freitag, für den er seit 2010 arbeitet, auch schon vieles: Kulturchef, stellvertretender Chefredakteur, Chefredakteur. Seit Anfang 2020 verantwortet er das neue Debattenressort. Seine Leidenschaft gilt dem Streit, dem Fußball und der Natur, sowohl der menschlichen als auch der natürlichen.

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