Mit Lenins Theorie der revolutionären „Kette“ wollen wir den Überblick abschließen. Die in ihr enthaltenen Stratageme sind von einem bloß kriegerischen Blick auf die Revolution besonders weit entfernt. Wir werden sehen, „Kette“ und „Kettenglied“ verweisen zwar noch, ohne dass darauf hingewiesen wird, auf „Strategie“ und „Taktik“ und damit auf Kriegsbegriffe, doch ist es kein Zufall, dass diese Begriffe hier gänzlich beiseite bleiben und stattdessen nur im Bild der Kette gedacht wird. Das Bild verweist nämlich eher auf den Begriff der Methode als einer antizipierten, im wirklichen Verlauf dann umleitungsfähigen Frage-Antwort-Kette – und damit auf u n s e r Revolutionsverständnis. Letzteres soll im Folgenden deutlich werden, während ich die Erörterung des Verhältnisses der Fragespielbegriffe zur “Strategie und Taktik“ fürs vierte Kapitel aufspare. Lenins erste Äußerung zum Thema, 1902 in Was tun?, hat einen Anlass: Er verteidigt seine Zeitung Iskra gegen die Kritik des offiziellen Organs der damals noch geeinten russischen Sozialdemokratie, aus deren Spaltung wenig später die leninistischen Bolschewiki und die Menschewiki hervorgehen. Lenin wird vorgeworfen, die explizit politischen Themen der Iskra, die wie schon gesagt zum Sturz der zaristischen Autokratie aufruft, hätten in der Lebenssituation der Arbeiter, des revolutionären Subjekts, keinen Ansatzpunkt. Er bewege sich in einem „fehlerhaften Kreis“. Und dann bleibe nur übrig, dass er sich mit seiner Zeitung zum Herrscher über die Partei aufschwingen wolle. Darauf antwortet Lenin:
„J e d e Frage ‚bewegt sich in einem fehlerhaften Kreis‘, denn das ganze politische Leben ist eine endlose K e t t e aus einer endlosen Reihe von Gliedern. Die ganze Kunst des Politikers besteht eben darin, gerade jenes kleine K e t t e n glied herauszufinden und ganz fest zu packen, das ihm am wenigsten aus der Hand geschlagen werden kann, das im gegebenen Augenblick am wichtigsten ist, das dem Besitzer dieses K e t t e n gliedes den Besitz der ganzen K e t t e am besten garantiert. Hätten wir einen Trupp erfahrener Maurer, die so gut aufeinander eingearbeitet sind, dass sie auch ohne Schnur die Steine gerade dort hinlegen könnten, wo es notwendig ist (das ist, abstrakt gesprochen, durchaus nicht unmöglich), dann könnten wir vielleicht auch nach einem anderen Kettenglied greifen. Aber das ist ja eben das Malheur, dass wir noch keine erfahrenen und gut aufeinander eingearbeiteten Maurer haben, dass die Steine ganz oft nutzlos gelegt werden, dass sie nicht nach einer gemeinsamen Schnur gelegt werden, sondern so verstreut, dass der Feind sie einfach fort bläst, als wären es nicht Steine, sondern Sandkörner.“ (LW 5, S. 521 f.)
Es ist nebenbei gesagt bezeichnend, dass man solche Äußerungen in den kommunistischen Lehrbüchern völlig aus dem Zusammenhang gerissen zitiert findet, als ob man sie dann noch begreifen könnte. Die Frage, auf die Lenin antwortet, wird nicht mitgenannt; das Zitat beginnt mit „einem fehlerhaften Kreis“, es könnte ebenso gut mit den Megalithen von Stonehenge beginnen. Und dass Lenin von der Ketten- zur Maurermetapher wechselt, ist ungefähr so verständlich, als würde der Orionnebel mit einer Analogie des Gassenhauers illustriert. Aus bösem Willen kann man das nicht erklären, es fehlt vielmehr an Grundbedingungen des Verstehenkönnens. Wer aber nicht verstehen, nicht denken kann, was wollte der uns, in Lehrbüchern gar, über die Revolution beibringen und auf den „sowjetischen Weg zum Sozialismus“ verpflichten?
Wenn man Lenins Äußerung im Zusammenhang liest, wird deutlich, dass die Maurermetapher d e r A u s g a n g s p u n k t ist, womit er übrigens einen seltsamen und natürlich ganz unbeabsichtigten Bogen zur Freimaurermetaphorik schlägt. Genauer gesagt ist die „Richtschnur“ der Ausgangspunkt. Das ist die Schnur, an der entlang die Mauersteine eingesetzt werden. Sie kann naheliegenderweise für die Orientierung der Revolutionäre stehen. Würde Lenin nun beanspruchen, seine Iskra habe die Richtschnur zu bieten, so wäre es plausibel, ihm einen Herrschaftsanspruch zu unterstellen – den er natürlich auch hat. Doch will er es bestreiten und argumentiert deshalb, eine Richtschnur gebe es ja leider gar nicht. Gäbe es sie, oder gäbe es erfahrene Maurer, die ohne sie auskämen, dann könnte einer irgendwo seinen Stein setzen, ohne befürchten zu müssen, er habe am Ende zu einer schiefen Mauer beigetragen, die einstürzen muss. Weil aber, so Lenin, beides nicht der Fall sei, müsse vielmehr jeder Stein der n ä c h s t e Stein sein, der an den letztgesetzten unmittelbar anschließe. Damit kommt es zum Sprung des Bildes: Der Nächstanschluss ohne Leitschnur ist das Kettenglied, das einen schon vorhandenen Kettenteil ergänzt und zwar so, dass die Kette nicht reißen kann. Wenn man weiter Glied an Glied reiht, wird die Gesamtkette bis zum revolutionären Sieg reichen. Kurzum, dafür, dass Lenin mit seiner Iskra das nächste Kettenglied richtig gesetzt habe, will er Zustimmung, doch es zu ergreifen, was hahe das mit einem Führungsanspruch zu tun?
Das Argument hat nicht nur diese winkeladvokatorische Seite, sondern ist darin genial, dass es den Weg der Revolution als ordentlich methodischen darzustellen vermag, obwohl eingeräumt, ja davon ausgegangen wird, dass man gar nicht wissen kann, wie er weitergeht. Die Gesamtkette ist unbekannt, in diesem Sinn g i b t e s g a r k e i n e K e t t e und doch gibt sie den Revolutionären Halt, wenn man es nur richtig anstellt. Das Bild ist nicht weniger naheliegend als das von der Richtschnur der Maurer. Denn es entspricht dem Ausdruck „Bedingungskette“, und wenn es ihn, soweit ich informiert bin, im Russischen nicht gibt, m u s s Lenin geradezu ersatzweise die Metapher bilden. Ja, der revolutionäre Sieg wird erst, mit Hegel zu sprechen, in die Existenz treten, wenn all seine Bedingungen gegeben sind. Man muss also erfassen, worin sie bestehen, und sie in der Reihenfolge hervorbringen, die sich als möglich zeigt. Hier aber ergänzen wir, dass sich eine „Bedingungskette“ nicht physikalischer sondern g e s e l l s c h a f t l i c h e r A r t , die keine Wirkung determiniert, sondern ein E r e i g n i s e r m ö g l i c h t , als F r a g e – A n t w o r t – K e t t e besser denn als Kausalkette begreifen lässt. Und tatsächlich war die Gründung der Iskra ein Ereignis, dessen Folgen nicht deterministisch-kausaler Natur waren. Vielmehr hat sie einen neuen Möglichkeitsraum geschaffen, in dem es zunächst zur Trennung der Bolschewiki und Menschewiki kam. Oder eben anders gesagt, sie hatte den Wert einer Fragestellung, die im nächsten Schritt mit jener Trennung beantwortet wurde. Die Verselbständigung der Bolschewiki war das nächste Kettenglied nach dem Kettenglied Iskra. Es war unvorhersehbar gewesen, doch konnte man auf Basis des Kettenteils, der schon gebildet war, erkennen, dass man gut tat, es zu ergreifen. Und i m N a c h h i n e i n betrachtet ist klar, es durfte in der revolutionären Gesamtkette nicht fehlen.
Am Ende seines Lebens setzt Lenin das Bild immer noch in der gleichen Weise ein. Die Sowjetmacht besteht schon, als er sagt: „Die politischen Ereignisse sind stets sehr verworren und kompliziert. Will man sich an die ganze Kette festklammern, so darf man sich nicht lediglich ein einziges Kettenglied anklammern. Man kann sich n i c h t k ü n s t l i c h das Kettenglied auswählen, an das man sich klammern will.“ „Wir müssen uns stets kontrollieren durch das S t u d i u m der K e t t e der politischen Geschehnisse in ihrer Gesamtheit, in ihrem ursächlichen Zusammenhang, in ihren Ergebnissen.“ (LW 26, S. 35) Auch dies ist so gemeint, dass es die zu studierende „Kette“ in ihrer Gesamtheit noch gar nicht gibt; selbst jetzt noch, in der Anfangszeit der neuen Gesellschaft, kann keine politische Strategie bis zum Ende sicher vorausgeplant werden, sondern nur was der nächste Schritt sein sollte, kann herausgefunden werden. Es ist, wie Lenin zu sehen glaubt, die Einübung der Demokratie in den Sowjets. Auch hier noch übrigens, wo man den Eindruck hat, mit Strategie und Taktik im Sinn des Krieges habe das nun nichts mehr zu tun, gibt es einen Bezug zur Lehre von Clausewitz. Der sagt nämlich, es müssten immer a l l e Kräfte auf den nächsten Schritt, das ist bei ihm die nächste Schlacht, konzentriert werden (Vom Kriege, in: Kriegstheorie und Kriegsgeschichte [Hg. Reinhard Stumpf], Frankfurt/M. 1993, S. 226, 231).
Lenin wendet das Kettenbild auch auf die internationalen Verhältnisse an. Die russische Revolution, sagt er, kann „überhaupt nur verstanden werden als ein Glied in der Kette der sozialistischen proletarischen Revolution, die durch den imperialistischen Krieg hervorgerufen wird“ (LW 25, S. 396). Man beachte wohl, dass er auch hier von einer u n v o r h a n d e n e n Kette spricht, denn nur diese Revolution geht siegreich aus dem Weltkrieg hervor, auf andere, besonders die deutsche, hofft er vergeblich - und vergleiche es mit der heute noch bekanntesten Version der Kettenmetapher, von der man meint, sie stamme von Lenin, obwohl sie auf Stalin zurückgeht: dem s c h w ä c h s t e n G l i e d in der Kette.
„Früher“, so Stalin,
„war es üblich, von der proletarischen Revolution in diesem oder jenem entwickelten Lande als von einer einzelnen sich selbst genügenden Größe zu sprechen, die der einzelnen, nationalen Front des Kapitals als ihrem Antipoden entgegengestellt wurde. Jetzt ist dieser Standpunkt bereits unzulänglich. Jetzt muss man von der proletarischen Weltrevolution sprechen, denn die einzelnen nationalen Fronten des Kapitals haben sich in Glieder einer einheitlichen Kette verwandelt, genannt die Weltfront des Imperialismus, der die allgemeine Front der revolutionären Bewegung aller Länder entgegengestellt werden muss. Früher betrachtete man die proletarische Revolution ausschließlich als Ergebnis der inneren Entwicklung des betreffenden Landes. Jetzt ist dieser Standpunkt bereits unzulänglich. Jetzt muss man die proletarische Revolution vor allem als Ergebnis der Entwicklung der Widersprüche im Weltsystem des Imperialismus betrachten, als Ergebnis dessen, dass die Kette der imperialistischen Weltfront in diesem oder jenem Lande reißt.“ (Fragen des Leninismus, Moskau 1947, S. 30)
Und dann behauptet er, diese Sicht gehe auf Lenin zurück:
„Wo wird die Revolution beginnen, wo kann am ehesten die Front des Kapitals durchbrochen werden, in welchem Lande? Dort, wo die Industrie am entwickeltsten ist, wo das Proletariat die Mehrheit bildet, wo mehr Kultur, mehr Demokratie ist – pflegte man früher zu antworten. Nein - entgegnet die Leninsche Theorie der Revolution -, nicht unbedingt dort, wo die Industrie am entwickeltsten ist usw. Die Front des Kapitals wird dort reißen, wo die Kette des Imperialismus am schwächsten ist, denn die proletarische Revolution ist das Ergebnis dessen, dass die Kette der imperialistischen Weltfront an ihrer schwächsten Stelle reißt“. (S. 30 f.)
Den Schritt zum Positivismus, der in dieser Bildverwendung liegt, hat Lenin niemals getan. Während Lenin immer von einer unvorhandenen Kette spricht, spricht Stalin nun von einer vorhandenen, der des Imperialismus. Und sofort wird das Bild falsch. Ist etwa jemals die imperialistische Kette zerstört worden, was unbedingt geschehen sein müsste, wären wirklich eins oder mehrere Glieder herausgebrochen worden? Das ist nicht der Fall. Im Gegenteil, es war das sowjetische Russland, das in die allergrößten Schwierigkeiten kam und an ihnen nach einem dreiviertel Jahrhundert zerbrach, weil es sich aus dem kapitalistischen Weltmarkt herausgenommen hatte. Ein Philosoph, der sich sehr für Bedingungsketten interessierte, Nicolai Hartmann, bringt es auf den Punkt: „Unmöglich ist im Realen schon dasjenige, an dessen Bedingungskette auch nur ein Glied fehlt; die Erkenntnis aber, dass ein Glied fehlt, ist viel einfacher als die Erkenntnis, dass alle Glieder vollzählig beisammen sind.“ (Wirklichkeit und Möglichkeit, Berlin 1938, S. 380) Sein Nachsatz ist wichtig: Woher wollte Stalin denn wissen, an w e l c h e r K e t t e Russland das schwächste Glied war? Lenin wusste, dass er die Bedingungsketten, von denen er sprach, nicht überschaute, Stalin setzt sich darüber hinweg. Heute weiß man, dass Staatszerfall an der Peripherie des Imperiums nachgerade zu dessen Kalkül gehören kann – Herfried Münkler hat es gezeigt (Imperien. Die Logik der Weltherrschaft – vom Alten Rom bis zu den Vereinigten Staaten, Berlin 2005) -, statt es, als gehöre er zu s e i n e n e i g e n e n Existenzbedingungen, zu erschüttern oder gar zu zerbrechen. Und ist es abwegig zu vermuten, dass die Existenz des „Ostblocks“ den kapitalistischen Zusammenhalt der Metropolen seinerzeit eher gestärkt als geschwächt hat?
Man könnte sich indes die vielen Worte sparen, denn weshalb Stalin das schiefe und falsche Bild bemüht, ist offensichtlich genug: Er will Trotzki widersprechen. Der hatte auf Marx‘ Ansicht beharrt, die Revolution könne nur gelingen, wenn alle wichtigsten Metropolen des Kapitals gleichzeitig von ihr erfasst würden. Den „Sozialismus in einem Lande“ hielt er für undurchführbar. Dem will Stalin entgegenhalten, dass doch auch er im Horizont der Weltrevolution denke, nur realistischer und klüger als sein Todfeind: „Deshalb“, sagt er, „haben [...] diejenigen unrecht, die den internationalen Charakter der Oktoberrevolution vergessen und den Sieg der Revolution in e i n e m Lande als eine rein nationale und ausschließlich nationale Erscheinung hinstellen.“ (S. 133) Wäre Russland aus der imperialistischen Bedingungskette herausgebrochen worden, hätte es diese ja eben wirklich weltweit in zwei lose Teile zerlegt und damit zerstört. Nur geschah dies nicht, es ist pure Phantasie. Man muss hinzufügen, dass auch Trotzkis Marxrekurs nicht weiterführt. Muss nicht gefragt werden, wie der nüchterne Marx zu seinem Postulat, das sich so offenkundig illusionär ausnimmt, überhaupt gelangen konnte? Sollte er sich Napoleons Krieg gegen ganz Europa zur Durchsetzung der Errungenschaften der Französischen Revolution zum Vorbild genommen haben, 1848 jedenfalls noch (vgl. Rolf Hosfeld, Die Geister, die er rief. Eine neue Karl-Marx-Biografie, München Zürich 2009, S. 104 f.)? Napoleon ist es in der Tat gelungen, fast gleichzeitig alle wichtigen Metropolen zu erobern, die USA zählten damals noch nicht. Solche Kriege zu führen, war aber schon wenige Jahrzehnte danach, wie Engels erkannte, ich habe es in Erinnerung gerufen, wegen der Entwicklung der Waffentechnik keine Option mehr.
4. Die Phasen der Revolution der Anderen Gesellschaft
Angeregt durch die Vorstellung der Alten denken wir von hier an unsere eigenen Gedanken. Das Erste ist, dass wir nicht anders als sie einen revolutionären Verlauf auf uns zukommen sehen, der sich sehr einfach in drei Phasen zerlegt: Die revolutionäre Gründung wird zuerst diskursiv vorbereitet, dann folgt die Zeit der „Brechung der Macht des Kapitals“, die bis zum Ereignis der Gründung reicht, und danach wird das Neue nachhaltig gemacht - aufgebaut und eingeübt, auch gegen verbleibende Gegner verteidigt. Der Sinn eines solchen Schemas, oder jedenfalls der Einzelschritte, mit denen man es ausfüllt, ist nicht, dass man deren pedantische Umsetzung erwartet, sondern sie sollen eine Folie der Erwartung sein, die beim wirklichen Handeln rasch sensibel macht für Signifikantes und gerade auch für Unerwartetes. Tritt das Unerwartete ein, ändert man den Plan. Das Schema als solches, abstrakt wie es ist, wird der Realität schon standhalten, wenn die Revolution nur überhaupt siegt. Bei Einzelschritten, die man im Voraus erwägt, ist das aber nicht sicher: Da sie aufeinander aufbauen, bilden sie eine zeitliche Kette, die nicht Befehls- sondern Frage-Antwort-Kette ist. Man kann und soll sie j e t z t entwerfen, wenn man ihr dann aber folgt, steht sie jederzeit unter dem Vorbehalt, dass eine zukünftige „Antwort des Realen“ nicht wie erwartet ausfällt, sondern die im Kettenverlauf vorausgegangene „revolutionäre Frage“ z u r ü c k w e i s t , so dass die ganze Kette an diesem Punkt, bis zu dem hin sie real geworden war, zerbricht. Es wird dann eben unvermeidlich, den Kettenentwurf zu modifizieren. Vielleicht haben Kettenglieder gefehlt, die unbedingt dazu gehören, oder die Reihenfolge ihrer Anordnung muss verändert werden.
In der ersten Phase geht es darum, die Öffentlichkeit über die Konfusionen des Kapitals und deren mögliche Auflösung aufzuklären. Im Zuge dessen verliert das Kapital seine Massenunterstützung, seine Macht ist aber noch nicht gebrochen. Dieser Prozess geht damit einher, dass sich das aufklärende Subjekt herausbildet. Ihm gilt hier das letzte Kapitel. Man kann sagen, dass die Öffentlichkeit sich selbst schrittweise aufklärt und dabei zu diesem Subjekt wird, wo man nur noch zusätzlich unterscheidet, dass ein gerade erst aufgeklärter Teil, der nun selber aufklärt, eben noch unaufgeklärt war, so dass es eines anderen Teils bedurft hatte, ihm zu helfen. Das ist die Entwicklung, die im Grunde schon begonnen hat. Wir sprachen davon. Es muss sich aber auch ein Subjekt im engeren Sinn herausbilden, das heute schon das Ziel benennen kann – eine Andere Gesellschaft, die ökonomisch auf Proportionswahlen basiert – und mögliche aufeinanderfolgende Schritte des revolutionären Prozesses bis hin zur gesellschaftlichen Neugründung und darüber hinaus entwirft.
Fügen wir gleich hinzu, der Prozess wird lange dauern. Dafür spricht jedenfalls die historische Erfahrung. Denn von einer Revolution ist die Rede, die es an Bedeutsamkeit mit der Französischen und russischen aufnimmt. Beide haben einen Vorlauf von nahezu einem Jahrhundert gebraucht. Indem ich von der „Aufklärung der Öffentlichkeit“ sprach, habe ich darauf schon angespielt: Die Französische Revolution wurzelt in einem ganzen „Zeitalter der Aufklärung“, das bald nach 1700 begann. Ebenso die in Russland: Der Prozess der Selbstaufklärung eines Teils der Öffentlichkeit, der zu ihr führte, beginnt mit den Frühsozialisten, ja selbst wenn man ihn mit dem Kommunistischen Manifest, also erst 1848 beginnen lässt, ist es bis 1917 noch weit. Die historische Erfahrung lehrt auch, dass es mit e i n e r Generation nicht getan ist, das revolutionäre Subjekt herauszubilden. In Russland mussten es erst die Narodniki versuchen, deren einer Lenins älterer Bruder gewesen war, bevor die Sozialdemokraten und ihre Abspaltung, die Bolschewiki, zum Zuge kamen. In Frankreich sind viele führende Revolutionäre aus der Freimaurer-Bewegung hervorgegangen: Da ist es bezeichnend, dass sich in ihr die demokratische Tendenz erst allmählich durchgesetzt hatte. Man sah sich ja, nachdem in den 1730er Jahren erste Logen entstanden waren, zunächst in der Nachfolge des Templer-Ordens und schwärmte für Ritter. Erst ab 1756 hörte das allmählich auf. „Nun fanden es die wahrhaft bedeutenden Persönlichkeiten an der Zeit, Logen beizutreten“ – Montesquieu, Helvetius, Concordet, Benjamin Franklin, Voltaire, Lafayette, d’Alembert, der Abbé Sieyès... (Alexander Giese, Die Freimaurer. Eine Einführung, Wien Köln Weimar 4. Aufl. 2005, S. 62)
Ohne bedeutende Persönlichkeiten kann eine große Revolution, kann auch die Revolution der Anderen Gesellschaft nicht gedacht werden. Sie kommen nicht über Nacht. Es kann lange dauern, man weiß es aber wiederum nicht, denn die Prozesse auf der Subjektseite, von denen bisher nur die Rede war, werden vom objektiven Geschehen mitbestimmt und vielleicht abgekürzt. Besonders weil wir von einer ökologischen Revolution sprechen, kann das der Fall sein. Denn darin unterscheidet sich diese Revolution von den vorausgegangenen: Nicht nur ihr Subjekt wird sich in einer Bedingungs- (und zwar Frage-Antwort-) –Kette der Herbeiführung bewegen, sondern die Gesellschaft und darunter dieses Subjekt wird auch permanent auf eine Kette sich steigernder Katastrophen, ökologischer nämlich, auf der Objektseite zu reagieren haben.
Über die ersten Inhalte der Aufklärung, die in dieser Phase die Öffentlichkeit ergreift, haben wir schon gesprochen. Ich wiederhole, was ich in der 138. Notiz schrieb: „Wir prangern zunächst die Ziellosigkeit an, mit der das Kapital auf die vermeintliche Naturnotwendigkeit seiner Evolution reagiert, konfrontieren ihr die Ziele, die in Teilen der Gesellschaft bewusst verfolgt werden, und wenden uns gegen das TINA-Prinzip, das der Naturnotwendigkeitsvorstellung zugrunde liegt. All das geschieht in Spuren schon heute, es bahnt sich aber eine erste große Entscheidungsschlacht an: auf dem Feld der neuen Giga-Generation von Autos, die man uns andient mit dem Geschmacksverstärker, es seien selbststeuernde, und die dem ökologischen Erfordernis, Privatautos eher drastisch zu reduzieren, direkt ins Gesicht schlägt. Dass dieser Plan von der Politik einfach durchgewunken wird, ist der beste Beweis seines antidemokratischen Charakters. Wenn wir das laut sagen, haben wir schon den Schritt getan, zu den unbewussten Kapitalzielen überzuleiten. Denn dass s i e es sind, die den Prozess leiten, setzen wir gegen das TINA-Prinzip. Und dann stehen Ziele gegen Ziele.“ Und hier haben wir schon den Fall, dass es anders kommen kann als erwartet, denn ob es wirklich schon in der Zeit, wo die neue Auto-Generation von der kapitalhörigen Politik durchgesetzt wird, ein Subjekt gibt, das wenigstens schon einmal den Zweifel daran weit zu verbreiten imstande ist, ist mehr als fraglich. Doch der Schritt taugt zum Modell: Kommt es hier noch nicht zur produktiven Auseinandersetzung, dann eben beim nächsten analogen Fall. Wann auch immer: Sobald es gelingt, eine Auseinandersetzung zu initiieren, von der sich die Öffentlichkeit packen lässt, wird damit eine neue Stufe der Verallgemeinerung in deren Problembewusstsein erreicht.
Der revolutionäre Möglichkeitsraum ist dann weit größer geworden. Das muss er auch werden, denn der Prozess der Selbstaufklärung der Gesellschaft geht weiter. Zuletzt ist das Bewusstsein erlangt, dass sich das Kapital, seit es überhaupt existiert, in der Konfusion des Un-Endes verheddert, was aber erst in seiner Endzeit hervortreten konnte: Es stand anfangs für Dynamik statt Stillstand - für Veränderungsmut - und war darin progressiv, doch zunehmend stellte sich dann heraus, dass vernünftige dynamische Prozesse nur die Oberfläche eines unendlichen Umwälzungsautomaten ohne Sinn und Verstand bildeten, vergleichbar dem Besen des Zauberlehrlings bei Goethe. Eine neue Produktionsweise muss solche „schlechte Unendlichkeit“, den Begriff hat schon Hegel gebraucht, ins Museum verbannen, um selbst nur das Un-Ende als solches zu behalten, es aber neu zu interpretieren: als Fähigkeit und Bereitschaft, Grenzen zu überschreiten – niemals freilich die Grenzen des Umweltraums -, verbunden mit dem Willen, es dann und nur dann zu tun, wenn vernünftig scheinende Gründe dafür sprechen.
Man halte es nicht für einen Mangel meiner Erörterung, dass ich das letzte Aufklärungsziel so überabstrakt formuliere, als könnte dergleichen jemals die Öffentlichkeit interessieren. Diese Abstraktheit zeigt nur an, wie weit wir noch entfernt sind von der Zeit, in der sich „die Massen“ vom Kapital abwenden, was sie dann natürlich in ihrer eigenen Sprache tun werden – in der sie, wie ich es weiter oben formuliert habe, „die Hauptstadt des Kapitals“ zu besetzen in der Lage sind. Im Übrigen werden dann auch gewisse praktische Dinge, über die man schon heute konkret sprechen kann, der Öffentlichkeit bewusst, so vor allem dass zur „Brechung der Macht des Kapitals“ das Prinzip der Unverborgenheit aller Geschäftsvorgänge durchgesetzt werden muss. Wenn das geschieht, befinden wir uns schon in der „zweiten Phase“ des revolutionären Prozesses. Dass alles im Kampf gegen Medien geschieht, die heute noch Leitmedien sind, braucht nicht zu schrecken: nicht nur weil es auch kleinere progressive Medien gibt, sondern vor allem wegen der Möglichkeiten, die das Internet bietet.
E i n konkreter Zug lässt sich absehen, nämlich zu welchem Fluchtpunkt d e r m o d e r n e F a s c h i s m u s hinstreben wird, wenn wir nicht vor dem Kampf um die „Hauptstadt“ seine Entstehung haben verhindern können: Er wird die Abstraktheit der Kapitallogik in die Bilder des KI-Übermenschen, der wie gesagt den Menschen abschafft, und des Verlassens der Erde übersetzen. Man wird sagen, die Erde lasse sich ja nicht retten und also müsse auf Raumfahrt gesetzt werden. Die Behauptung gibt es übrigens schon lange. Das öffentliche Bewusstsein der Ökologiekrise ist jüngeren Ursprungs, sie muss nun neuerdings herhalten, die „Notwendigkeit“ des Verlassens der Erde zu begründen (nachdem man vorher mit dem angeblich unvermeidlichen atomaren Weltkrieg argumentiert hatte), in sehr kleinen aber schon einflussreichen Kreisen vorerst noch. Die beiden Bilder bedingen einander, denn so wie die „Eroberung des Weltalls“ weitergedacht wird – ein US-Professor, der bei Piper verlegt wurde, entwarf dessen Totalvernichtung und –ersetzung durch einen Computer, in dem wir alle „auferstehen“ sollen, in Simulation freilich nur -, können nur tote Maschinen ihre „Subjekte“ sein.
Der Zusammenhang der faschistischen Wahnphantasien mit der Kapitallogik liegt auf der Hand, wenn wir nur jenes schon zitierte Mittelglied beifügen, auf das Walter Benjamin aufmerksam gemacht hat: dass die Kapitallogik ein unbewusst gewordener Weg zur Selbstvergottung ist. Dabei geht die Kapitallogik als solche vom neuzeitlichen Begriff eines Gottes aus, der das Unendliche sei, und übersetzt es in ihr Streben nach dem unendlichen Mehrwert, während die faschistische Variante auf die biblischen Bilder regrediert, indem sie die Apokalypse erwartet: den Neuen Menschen (= KI-Übermenschen) und die Himmelfahrt (= Raumfahrt zwecks Verlassen der Erde, weil diese, wie in der Bibel angekündigt, in Flammen aufgeht). Mit ihren Bildern bewaffnet können Faschisten glauben, sie seien Antikapitalisten, in Wahrheit ist ihnen die normale alltägliche Verwirklichung der Kapitallogik nicht regressiv genug.
Indem ich das sage, korrigiere ich in einem Punkt, der entscheidend ist, das eben gebrachte Zitat aus der 138. Notiz: Die Ziele Abschaffung des Menschen und Verlassen einer Erde, die man verfallen lässt, sind keine „unbewussten Kapitalziele“, wie ich dort schrieb. Es sind faschistische Ziele. Marx hatte recht: Die Kapitallogik als solche kann kein Ziel haben außer der Unendlichkeit. (Vgl. auch meine Überlegungen in Probleme und Perspektiven der Berliner Republik, Münster 1999, S. 147 f., wo ich die säkularisierten Versionen des Neuen Menschen und der Himmelfahrt noch als „de[n] embryonale[n] Kern“ deutete, „den die kapitalistische Produktionsweise von sich aus hat und auch hervorbringt“.)
Zur „ersten Phase“ gehört noch, dass ineins mit den ideellen Prozessen, von denen bisher die Rede war, auch die materiellen anlaufen, die zur Revolution führen. Im Zuge der Bewusstwerdung entstehen in allen gesellschaftlichen Gruppen revolutionäre Fraktionen. So in den ökonomischen Gruppen: Ein Teil der Arbeiterklasse wird aufhören, sich von der SPD-CDU-CSU auf ihr „ökonomisches Interesse“ und die Ideologie der „Arbeitsgesellschaft“ reduzieren zu lassen, wird vielmehr das menschheitlich Notwendige, das mit den Zukunftsaussichten der eigenen Kinder anfängt, einzufordern beginnen, und wird daher der Kapitallogik zwar immer noch folgen müssen, ihr aber nicht mehr zustimmen. Übrigens können wir dies durchaus auch in der älteren Redeweise formulieren, wo man sagte, die Arbeiterklasse höre auf, sich ihre „Ausbeutung“ gefallen zu lassen. Denn was ist Ausbeutung? Dass sich die Kapitalisten das von den Arbeitern geschaffene Mehrprodukt aneignen. Dies hatte und hat noch heute in den peripheren Gesellschaften den Effekt der Unterernährung und schwieriger, würdeloser Wohnverhältnisse bis hin zu Slums aufseiten der Arbeiter. In einer reichen Gesellschaft wie der deutschen ist das aber nicht mehr oder weit weniger der Fall. Jetzt tritt die Hauptsache ins Licht, die Frage nämlich, wer über die Verwendung des Mehrprodukts entscheidet: die Arbeiter oder die Kapitalisten, die ihn gar nicht produziert haben, nun aber in dubiose Finanzgeschäfte stecken oder in Produkte investieren, über die nicht demokratisch entschieden worden ist. Im hier vertretenen Modell der Anderen Gesellschaft entscheiden die Konsumenten, das sind die fungierenden und nichtfungierenden Arbeiter nach der Seite, dass sie ihr Tageswerk getan haben und nun ihre Bedürfnisse kundtun. Wenn die Kapitalisten entscheiden, ist es Ausbeutung.
Ebenso wird ein Teil des Unternehmerlagers einsehen, dass es auch ohne Kapitallogik existieren kann und sogar besser existieren kann. Bei Unternehmern wie Arbeitern geht es vorerst nur darum, die Zustimmung zu verweigern, nicht auch schon darum, aus der Kapitallogik praktisch auszusteigen. Denn das ist unmöglich, bevor die Macht des Kapitals im Ganzen gebrochen ist. Die Zustimmung wird aber „laut“ verweigert und das hat Folgen. Wenn ein Teil der Arbeiterklasse „laut“ anstrebt, die Aktiengesellschaften in Eigenregie zu übernehmen, und auch ganz generell, dass es auf dem Arbeitsmarkt keine Zwangsrekrutierung mehr geben soll, was durch die Einführung des Grundeinkommens erreicht werden kann; wenn ein sei’s auch kleiner Teil der Unternehmerschaft „laut“ erklärt, man wolle sich lieber den Regeln der Anderen Gesellschaft beugen; ein Teil der Naturwissenschaftler, man arbeite daran, die wissenschaftlichen Prozesse neu zu fokussieren; ein Teil a l l e r Parteien des Verfassungsbogens, man stelle sich auf Proportionswahlen ein – dann gerät viel in Bewegung. Vergessen wir auch nicht, dass die ökonomische Struktur der Anderen Gesellschaft viel mehr ausgearbeitet und zu viel größerer Kohärenz gebracht werden muss, als ich und mein Kollege Jörg-Michael Vogl, die wir nur zwei Einzelne sind, das leisten konnten. Ein ganzer Wissenschaftszweig muss sich des Themas annehmen.
Kommentare 33
"Das Schema als solches, abstrakt wie es ist, wird der Realität schon standhalten, wenn die Revolution nur überhaupt siegt."
Ich sehe es eher so: die intellektuelle Kreativität steht wieder mal in hartem Kontrast zum Realitätssinn.
Es ist ja heutzutage chic, sich auf Marx zu beziehen, doch dessen wichtigste Erkenntnis war, dass es geschichtliche Muster gibt. Und die zeigen, dass nicht Aufklärung zu Revolution geführt hat, wenn es so etwas wie Revolution überhaupt gibt. Es war stets die konkrete (nicht abstrakte) Verschärfung nicht hinnehmbarer Lebensumstände einer gesellschaftlichen Fraktion, die zum Umbruch führte.
"In der ersten Phase geht es darum, die Öffentlichkeit über die Konfusionen des Kapitals und deren mögliche Auflösung aufzuklären. Im Zuge dessen verliert das Kapital seine Massenunterstützung"
Was berechtigt zu einer solchen Erwartung? Als würde es an Wissen und Aufklärung über die Konfusionen des Kapitals mangeln. Seit Jahrzehnten wird massiv und auf allen Ebenen der Gesellschaft darüber diskutiert. Jeder weiß um die Perversionen der Kapitalherrschaft. Aber einen Verlust an "Massenunterstützung" kann man doch wohl kaum konstatieren. Tut mir leid, aber da macht mir auch der schöne Satz keine Hoffnung, "dass ein gerade erst aufgeklärter Teil, der nun selber aufklärt, eben noch unaufgeklärt war..."
Rudi Dutschke sprach vom langen Weg der Revolution, wo der Mensch anders werden muss. Aber wie lang ist dieser Weg? In den fünfzig Jahren seither ist ja nichts passiert.
Generell scheint mir die Notwendigkeit einer revolutionären Situation nicht oder zumindest unter falschen Prämissen berücksichtigt. Sie entsteht nur, wenn die Menschen in tatsächliche Zwangslagen geraten, nicht etwa in progonstizierte. Man kann die Revolution also nicht herbeireden. Wie Hannah Arendt sagte: Die Revolutionäre machen nicht die Revolution! Die Revolutionäre sind diejenigen, die wissen, wann die Macht auf der Straße liegt und wann sie sie aufheben können!
Bisher ist es dem Kapital noch immer gelungen, die Entstehung einer revolutionären Situation zu verhindern. Das von Ihnen gebrachte Beispiel Auto spricht dafür. Sie schreiben von einem "ökologischen Erfordernis, Privatautos eher drastisch zu reduzieren", aber genau mit der neuen Generation Auto wird an der Beseitigung dieses Erfordernisses gearbeitet. Denn mit dem E-Auto werden sich die ökologischen Schäden auf den psychischen Bereich reduzieren, und das wird die Masse zunächst bereitwillig in Kauf nehmen.
Und dann wankt da eine tragende Säule Ihres Gebäudes ganz beträchtlich: die Proportionswahlen, die die ökonomischen Grundstrukturen festlegen sollen. Das birgt so viel Zündstoff und ungeklärte Verfahrensfragen, dass niemals eine befriedete Gesellschaft unter diesem Modell entstehen könnte. Im Übrigen verhindert die Kombination "Grundeinkommen + Zensuswahlrecht" das Entstehen einer revolutionären Situation: die vormals Unzufriedenen werden ruhig gestellt. Die wohlhabenden Konsumisten entscheiden über die Ausrichtung der Wirtschaft, und das nicht nach ethischen oder ökologischen Gesichtspunkten, sondern nach der Interessenlage, die sie auch heute haben: Konsum, Konsum, Konsum. Auf Grund des Zensus können sie das gegen die Stimmen der ärmeren, bewusst subsistent lebenden Bürger durchsetzen.
Ein sehr kuger Kommentar.
Ja, das lese ich auch so, denn diese "unendliche Geschichte" ist zwar ein Bildungsprogramm für Leser mit Zeit und Geduld, aber gleichzeit mit vielen Annahmen unterlegt, die mir recht praxisfern erscheinen.
"Sie entsteht nur (die Revolution), wenn die Menschen in tatsächliche Zwangslagen geraten, nicht etwa in progonstizierte." Kurz und bündig beschrieben, wie auch hier in meinem Kommentar in den zwei letzten Absätzen zu lesen.
Das Beispiel mit dem Elektroauto und Grundeinkommen lässt sich leicht auf weiter, "revolutionshemmende" Faktoren ausdehnen, dazu gehört zweifellos die Tafelbewegung und auch die Arbeit vieler Ehrenamtlicher, die Aufgaben übernehmen, die vom Staat nicht mehr wahrgenommen wird.
Ich füge mal zwei Zitate hinzu, die ich auf die letzten beiden Artikel der Reihe und auf meine vorherigen Kommentare zu den letzten Artikeln bezogen sehen möchte.
"Giogio Agamben said in an interview that 'thought is the courage of hoplessness' - an insight which is espacially pertinant for our historical moment, when even the most pessemistic diagnosis as a rule finishes with an uplifting hint at some vision of the proverbial light at the end of the tunnel. The true courage is not to imagine an alternative, but to accept the consequences of the fact that there is no clearly discernible alternative: the dream of an alternative is a sign of theoretical cowardice, functioning as a fetisch that prevents us from grasping the deadlock of our predicament. In short, the true courage is to admit that the light at the end of the tunnel is probably the headlight of another train approaching us from the oppoite direction." (Slavoj Žižek : Trouble in Paradiese, Piguin paperback , S. 248)
... und John Pilger hat mal in einer Rede ( July 5, 2009
At Socialism 2009, San Francisco) folgendes gesagt:
"I suggest that we take Woody Allen’s advice and give up on hope and listen, instead, to voices from below. What Obama and the bankers and the generals and the IMF and the CIA and CNN and BBC fear is ordinary people coming together and acting together. It’s a fear as old as democracy, a fear that suddenly people convert their anger to action as they’ve done so often throughout history."
Das führt zu der Konklusion, dass wir keine postkapitalistische Agenda brauchen, sondern Zorn und Aktion in der Gegewart. Die Einsicht, dass sich alles ändern muss ist in einer Situation, die , wenn diese erhalten werden könnt, zur unausweichlichen, gloablen Katastrophe der Gesellschaften, des Lebens selbst führte, ist gegegeben. Nur das Maß des Zorns über die Ursachen und Folgen der bedrohlichen Situation und vor allem deren Verteidiger ist noch nicht ganz erreicht. Daran sollte gerbeitet werden. Was danach kommen wird, wird sich nicht antizipieren lassen, denn es wird anders sein, und sich nicht auf Vergangenheit beziehen ( wie hier in dieser Artikelserie alles) , sondern auf Zukunft.
Es war stets die konkrete (nicht abstrakte) Verschärfung nicht hinnehmbarer Lebensumstände einer gesellschaftlichen Fraktion, die zum Umbruch führte. Das habe auch ich in (141) gesagt, es ist aber nur im Zusammenhang mit der anderen Seite, der Aufklärung, richtig. Das ist selbstverständlich auch Marx‘ Auffassung und die Auffassung aller Revolutionäre gewesen. Wenn jene „Verschärfung“ kommt und zur unmittelbaren revolutionären Situation führt und dann auf nichts zurückgegriffen werden kann, dann entsteht aus der Situation nichts Produktives, dann würde unter heutigen Umständen allenfalls Faschismus entstehen. Was ich sage, ist genau den „historischen Mustern“ abgelesen, denn zur französischen Revolution wäre es nicht ohne ein Jahrhundert der Aufklärung, zur russischen nicht ohne ein Jahrhundert sozialistischer Lehren gekommen. Hätte es in Frankreich nur die staatliche Finanzkrise infolge des vorausgegangenen Krieges und Hungersnot infolge der Kleinen Eiszeit, in Rußland nur den Weltkrieg gegeben, es wäre in beiden Fällen allein deshalb zu keiner Umwälzung gekommen, obgleich diese „Verschärfungen“ wiederum auch nicht fehlen durften. Daraus ist für die Revolution der Anderen Gesellschaft selbstverständlich die Schlußfolgerung Aufklären, Aufklären, Aufklären zu ziehen, denn das ist das, was sofort und immer getan werden kann, während man doch die „Verschärfung“ nicht herbeiredet – Sie sagen es selber, ziehen aber nicht die Konsequenz! - oder gar herbeiführt (auch dieses Konzept hat es schon gegeben), deshalb aber auch nicht die Hände in den Schoß legt, das ist ja wohl klar.
Wenn ich schreibe „Im Zuge dessen verliert das Kapital seine Massenunterstützung“, heißt das, es geht entweder so oder gar nicht. Bewiesen aber ist in diesem Zusammenhang historisch noch gar nichts, denn es stimmt nicht, daß es „an Wissen und Aufklärung über die Konfusionen des Kapitals nicht mangelt“. Doch, genau daran mangelt es. Es ist nicht bekannt, daß das kapitalistische „Wachstum“ automatisch und auf Unendlichkeit angelegt ist und daß das nicht sein müßte, es kein Kapital zu geben bräuchte. Nur die Symptome sind bekannt, das sind die „Perversionen“, von denen Sie sprechen. Genau deshalb gibt es die Massenunterstützung: Wenn Sie sich über Symptome an Ihrem Körper ärgern, weeden Sie deshalb nicht Ihren Körper abschaffen wollen. Bisher ist es dem Kapital noch immer gelungen, die Entstehung einer revolutionären Situation zu verhindern. Das spricht für überhaupt nichts. Das konnte der französische König sich 1788, der russische Zar 1904 sagen, na und?
Die Proportionswahlen sind nicht „eine“ tragende Säule meines Konzepts, als wollte ich jedenfalls eine Revolution und fragte mich dann anschließend, wohin sie denn führen sollte, sondern umgekehrt, Proportionswahlen sind die Alternative zum kapitalistischen Unendlichkeitsautomaten und deshalb – um sie durchzusetzen – bedarf es der Revolution. Die Proportionswahlen sind mein einziges Thema. Im Übrigen verhindert die Kombination "Grundeinkommen + Zensuswahlrecht" das Entstehen einer revolutionären Situation: die vormals Unzufriedenen werden ruhig gestellt: Das ist selbstverständlich nicht der Fall, denn das Grundeinkommen ist eine Folge der Revolution und kann sie also logischerweise nicht verhindern. Wenn Sie dagegen sind, daß nach Kaufkraft abgestimmt wird, da kann ich mich nur wiederholen: Schlagen Sie doch vor, daß alle Menschen gleich viel Geld haben, das wäre mit Proportionswahlen ebenso gut verträglich, das würde an diesem Konzept überhaupt nichts ändern.
Ich persönlich würde das nicht vorschlagen, sondern nur für mehr Geld unten und weniger oben sorgen. Dann wäre der „Zündstoff“, von dem Sie sprechen, verglichen mit heute - wo ja auch „nach Kaufkraft gewählt“ wird, wobei die kleinen Leute allerdings nur am Ladentisch wählen dürfen, die Ausrichtung der Ökonomie aber nicht -, ganz wesentlich reduziert. Die wohlhabenden Konsumisten entscheiden über die Ausrichtung der Wirtschaft, ja, das ist eben heute der Fall, weil diese Wohlhabenden nicht nur Konsumisten sondern auch Unternehmer usw. sind. Bei Proportionswahlen, „mehr Geld unten und weniger oben“ ist es nicht mehr der Fall.
Ja, lieber Paul, das trifft zu. Ich habe jetzt erst deinen Kommentar gelesen. Danke für den Hinweis dazu. (Ich war in den letzten Tagen mit einer Leiche beschäftigt, weshalb ich nicht alles an einem Strang gelesen habe, sondern nur sporadisch hier und dort.)
Dein abschließender Satz dort: „Die alternative Motivation gilt wohl nur für eine kleine idealistische Minderheit.“ sagt etwas sehr Wesentliches aus und rührt an den Kern dessen, was im umfassenden Sinn eine ethische Kategorie ist.
Denn die Frage ist ja, was ist es, was diese „alternative Motivation“ erst möglich macht, was als Voraussetzung(en), als Bedingungen jeweils vorliegen müssen, die entsprechende Anregung zu dieser zu geben, ja, sogar nicht nur Anregung geben, sondern Bedürfnis sein muß, Motive zu entwickeln. Und das sind eben, so wie Klaus Fürst dies hier aufzeigt, ganz individuelle Lebenslagen, denen als Beschaffenheit, als Eigenschaft, eines gegeben sein muß, nämlich die Verunmöglichung von Sublimierung und von Kompensierung; die Ausfluchtsmöglichkeit, das Wähnen(!) muß versperrt sein, ganz konkret als Leiderfahrung, nicht theoretisch und nicht prognostiziert.
Und dann, das ist ein Entwicklungsprinzip der geistigen Welt, ist keine Revolution mehr qua Strategie von Nöten, da das Wandeln aus Liebe sich friedvoll entwickelt. - "Wahrhaft Schweres zeugt wahrhaft Leichtes." (Laotse - Tao te king) Und diese Wahrheit ist nur individuell erfahrbar, niemals aber eine Zutat zu einer Revolution.
Leiche?
Liest sich ja wie Anatomisches Allerlei von Helmut Wicht auf SciLogs ...
"zur französischen Revolution wäre es nicht ohne ein Jahrhundert der Aufklärung, zur russischen nicht ohne ein Jahrhundert sozialistischer Lehren gekommen"
Ich bin nicht sicher, ob diese Kausalität tatsächlich besteht. Welche Aufklärung ging etwa dem Bauernkrieg voran? Den Leuten ging es dreckig, und da haben sie sich aufwiegeln lassen.
Doch wie dem auch sei - wie soll eigentlich eine Revolution in der Demokratie aussehen? Letztendlich wäre das doch nichts anderes als ein Putsch, denn sie würde sich gegen eine legitimierte Regierung richten, wie immer man das ideologisch auch bemänteln möchte. Statt eines Umsturzes sehe ich eher die - soll ich es Gefahr oder Chance nennen? - Herausbildung von parallelen Gesellschaften. Nicht in der Form, wie wir sie schon heute haben, geboren aus Not und Diskriminierung, sondern als bewusst eingegegangene Gemeinschaft aus Menschen, die sich einen anderen Lebensentwurf geben möchten als die Mehrheit. Das kann weit über die gegenwärtigen Ansätze in Form von Kommunen hinausgehen, bis hin zum Staat im Staate, einem Staat ohne Gebiet. Warum soll es nur das eine oder das andere geben? Klingt verrückt, erscheint mir aber immer noch praktikabler als eine Revolution.
Parallelgesellschaften – da befinden wir uns auf der richtigen Diskussionsebene. Es gibt sie ja in Ansätzen, etwa Tauschringe. Ich finde das gut, glaube aber nicht, daß der Kapitalismus so überwunden werden kann, weil er ein komplexes Gesamtsystem ist und alle Einzelalternativen aufsaugt. Ihm muß schon ein ebensolches Gesamtsystem entgegentreten. Daß sich Gemeinschaften von Menschen ausdehnen und ausbreiten, ist auch mein Konzept, aber der Zweck wäre in meinen Augen, daß sie dann die große Mehrheit überzeugen und diese die Gesamtwende vollzieht.
Ich stelle mir keine Revolution vor, die sich gegen eine legitimierte Regierung richtet. Also keine gegen die Mehrheit, sondern mit der überwältigenden Mehrheit. Das ist der Punkt, den manche nicht begreifen wollen. Es geht nur so oder gar nicht. Und ich lege hier weiter nichts vor als den Versuch zu begründen, daß man es nicht von vornherein für unmöglich erklären kann. Das zu tun wäre irrational.
Die Aufklärung, die dem Bauernkrieg vorausging, war Martin Luthers Reformation. Das ist in der Literatur eindeutig so aufgearbeitet. Die Bauern haben zuerst mit dem „Alten Recht“ argumentiert, das sie wiederhergestellt sehen wollten, dann gingen sie aber im Sinne Luthers, wie sie glaubten, sich aber täuschten, dazu über, sich auf das „Neue Recht“ zu stützen, das sie religiös begründeten, und damit erst kam es zum Aufstand. Den Bauernkrieg kann man sogar mehr hieraus als aus einer zugespitzten Verelendung erklären, denn es waren eher die wohlhabenderen Bauernschichten, von denen er ausging. Günther Franz und Peter Blickle habe ich dazu gelesen.
Wenn ich innerhalb einer Demokratie eine Revolution brauche, um den Willen der Mehrheit durchzusetzen, dann muss der Revolutionsbegriff sicher neu definiert werden.
Aufklärung besteht aus 2 Elementen: die, die aufklären und die, sie aufgeklärt werden wollen. An ersterem mangelt es nicht. Aber wie kriegen wir auch nur die elementarsten Ideen der letzten hundert Jahre in die Köpfe der Menschen? Denen wird die Auklärung doch nicht vorenthalten, sie legen keinen Wert darauf. Was soll die Antwort sein? Bildungszwang? Monosophie? Das alles kann sich nur evolutionär vollziehen, und an bestimmten Knackpunkten der Geschichte, wo, wie GEBE oben schreibt, "die Ausfluchtsmöglichkeit, das Wähnen(!) versperrt sein muß , ganz konkret als Leiderfahrung" wird nach neuen Ideen, nach Aufklärung verlangt. Ob man das dann als Revolution bezeichnet, ist eine müßige Diskussion. Schließlich ist jeder Neubeginn nach einem Kriegsende auch eine Art Revolution. Der ganze Begriff ist ein Mythos, eine Metapher.
Wenn ich innerhalb einer Demokratie eine Revolution brauche, um den Willen der Mehrheit durchzusetzen, dann muss der Revolutionsbegriff sicher neu definiert werden.
Ich habe jedenfalls die Notwendigkeit gesehen, am Anfang dieses Kapitels, also von (141), ausdrücklich zu begründen, weshalb ich den Begriff gebrauche, und wiederhole es hier noch einmal: „Vorab sei in Erinnerung gerufen, weshalb ich mein Thema unter die Rubrik ‚Revolution‘ überhaupt stelle, statt wie andere anzunehmen, eine allmähliche ‚Transformation‘ oder ein Weg der Reformen könne ebenso gut zum Ziel führen. Mein Ansatz rührt nicht etwa daher, dass ich Revolution mit Gewalt assoziiere. Es ist im Gegenteil meine Hauptfrage, ob und wie man Gewalt a u s s c h l i e ß e n kann. Was aber die Gründung der Anderen Gesellschaft mit vergangenen Revolutionen unleugbar verbindet, ist dass sie nicht umhin kommt, gewisse undemokratische Privilegien zu beseitigen, und dass es sicher einen harten Kern von Privilegierten geben wird, die zum ihnen zugemuteten Verzicht unter keinen Umständen bereit sein werden. „Gründung der Anderen Gesellschaft“ bedeutet dann, sie wird t r o t z d e m gegründet, und das darf man wohl eine Revolution nennen.“
Zu Ihren weiteren Fragen, ich habe sie mir in den letzten beiden Folgen, (147) und (148), auch gestellt. Es ist doch gut und richtig, sich das zu fragen, statt daß man etwa denkt, wenn da überhaupt gefragt werden müsse, statt daß schon ohnehin die Antwort da sei, dann stimme etwas nicht. Zweierlei aber jetzt schon: Das alles kann sich nur evolutionär vollziehen, schreiben Sie. Na klar, aber Evolution heißt nicht, daß nichts getan wird. Können Sie mir irgendeine Evolution von Lebewesen nennen, die nicht durch deren Aktivität mitbestimmt wurde? In meinen Texten geht es nun eben um unsere Aktionen. Das andere ist Ihr GEBE-Zitat, daß an bestimmten Knackpunkten der Geschichte, wo, wie GEBE oben schreibt, "die Ausfluchtsmöglichkeit, das Wähnen(!) versperrt sein muß, ganz konkret als Leiderfahrung". GEBE wiederholt die übliche und natürlich sehr respektable Auffassung, ich erlaube mir trotzdem, sie so nicht zu teilen. Diesen Punkt erörtere ich noch ausführlich, will aber jetzt schon sagen, was der Clou ist: Man kann diese von GEBE wiederholte Auffassung auch so ausdrücken, daß gesagt wird, eine Revolution sei etwas, wozu man gezwungen werde, sie könne also nur von unfreien Menschen getan werden. Je nun, die Revolution, von der ich spreche, kann nur von freien Menschen getan werden.
Sie möchten eigentlich sämtliche gebräuchlichen Termini über den Haufen werfen. Das steht Ihnen frei. Doch dann bekommen Sie nur einen Dialog mit jenen zustande, die Ihr neues Definitionsgebäude übernehmen.
Die Revolution als Kopfgeburt (der Kopf erblickt zuerst das Licht der Welt) scheint von vielen für unmöglich gehalten zu werden. Ich habe im Grunde die gleiche Antwort wie Michael Jäger, versuche es aber mal mit eigenen Worten.
Und die zeigen, dass nicht Aufklärung zu Revolution geführt hat, wenn es so etwas wie Revolution überhaupt gibt. Es war stets die konkrete (nicht abstrakte) Verschärfung nicht hinnehmbarer Lebensumstände einer gesellschaftlichen Fraktion, die zum Umbruch führte.
Am Grunde der Moldau wandern die Steine
es liegen drei Kaiser begraben in Prag.
Das Große bleibt groß nicht und klein nicht das Kleine.
Die Nacht hat zwölf Stunden, dann kommt schon der Tag.
Freilich dreht das Rad sich immer weiter
dass, was oben ist, nicht oben bleibt.
Aber für das Wasser unten heißt das leider
nur: Dass es das Rad halt ewig treibt.
„Die Geschichte ist eine Geschichte der Klassenkämpfe.“
Die bisherige Geschichte hat Marx bekanntlich Vorgeschichte genannt, weil ihre Akteure Getriebene, keine autonomen Subjekte waren. Und zwar nicht nur die Geknechteten, Manipulierten, Mißbrauchten, sondern auch die Herrschenden, die, wenn schon etwas mehr Subjekt, Getriebene ihrer Macht- und Besitzgier sind, oder heute eben wie es so schön heißt: Charaktermasken des Kapitals. Wenn es die Herrschenden zu bunt getrieben haben, wurde es für die Beherrschten unerträglich und es kam zum blutigen Aufruhr, manchmal zur das Rad der Geschichte weiterdrehenden Revolution. Gegen solche Revolution, die ich Notwehrrevolution nennen würde, ist absolut nichts einzuwenden. Nur darf man nicht erwarten, daß sich am großen Spiel etwas ändert, es gibt eine Verschnaufpause, die Herrschenden wechseln, Herrschaft bleibt, es sind dann nur andere, die oben sitzen. Hier setzt Marxens Überlegung an, daß die Revolution zur Beendigung des Kapitalismus mehr sein kann als eine Fortsetzung der ewigen Klassenkämpfe, weil in ihm die Produktivkräfte so entwickelt sind, daß niemand mehr im Elend leben müßte, wenn der Mehrwert nicht von einer kleinen Herrscherklasse allen anderen entzogen würde, und weil die Menschen sich in diesem den Raum der Handlungsmöglichkeiten weit öffnenden Überfluß als Gestalter ihrer eigenen Lebensbedingungen begreifen, ins Reich der Freiheit eintreten können. So wird eine Revolution denkbar, die nicht bloß Reflex, sondern ein kommunikativ geplantes und verabredetes Abenteuer in etwas Neues ist, die in der Vorstellung kontrafaktisch schon im Kopf der großen Mehrheit stattgefunden haben, als bewußter Gestaltungsanspruch vorliegen muß, gegen deren Einlösung in den materiellen Lebensbedingungen der Widerstand der Herrschenden für sie selbst so wenig legitimierbar ist, daß er sich auflöst. Das sehe ich von Michael Jäger richtig beschrieben. Die Bewußtseinsrevolution vor der eigentlichen kann nur das Ergebnis von Selbstaufklärung sein, die von Intellektuellen durchaus unterstützt, aber nicht erzwungen werden kann.
Solch ein Konzept kann man belächeln. Vielleicht ist es illusionär. Dann muß man aber die Konsequenz akzeptieren, daß sich nichts an der ewigen Abfolge von Herrschaftssystemen ändert, daß die Menschen nie der (unterstellten) sozialdarwinistischen Natur entrinnen können, daß von gelegentlicher Rache der Entrechteten abgesehen selbst eine stümperhafte menschliche Gerechtigkeit unerreichbar ist, usw. Dann kann man im engsten Kreis versuchen, ein anständiges Leben zu leben, die Kommunikation darüber, zB in diesem Forum, ist schon völlig für die Katz. Wenn die Geschichte etwas lehrt, dann doch wohl, daß die bisherigen Revolutionen der Empörten nicht zur grundsätzlichen Beseitigung der Empörungsgründe geführt, der Aufstand der Elenden nicht das Elend beendet hat. Der Revolution zu einer emanzipierten Gesellschaft am nächsten gekommen sind wir in der Studenten- und Jugendrevolte, in der die Gedanken an und die Hoffnungen auf eine andere Gesellschaft omnipräsent waren, die kurzfristig die Meinungshoheit erlangt hatte, die vieles verändert hat, aber doch insgesamt zu schwach war, zu wenig Resonanz hatte und sich schließlich selbst demontiert, das eigene statt das gesellschaftlich herrschende Denken dekonstruiert hat.
Die Idee der Parallelgesellschaft ist nicht ganz falsch. Nur halte ich ein paralleles Sein für unmöglich, allenfalls ein vereinzeltes nicht verallgemeinerbares paralleles Nischensein ist möglich und gibt es bereits. Notwendig ist aber die Parallelität der Vorstellung des Anderen, eine vorrevolutionäre Schizophrenie. Das revolutionäre Denken funktioniert weiter im System, hat aber immer das Gegenbild vor Augen. Nach erfolgreicher Revolution haben sich dieses Gegenbild und die neue Realität kritisch aneinander zu messen. Solange aber die Massen noch mit beiden Beinen und dem einen Kopf in der alten Realität und der Ideologie stehen, kann es nichts werden mit der Revolution.
Daraus ist für die Revolution der Anderen Gesellschaft selbstverständlich die Schlußfolgerung Aufklären, Aufklären, Aufklären zu ziehen,
Hier möchte ich etwas präzisieren. Es mangelt nicht nur an Wissen, sondern es ist die falsche ideologische Perspektive, in der nicht richtig gewußt werden kann. Daher wird man weniger durch Anhäufung von fortgesetzten Beispielen der Gemeinheiten im Kapitalismus kritisch, sondern eher durch eine Änderung der Sichtweise, einen Paradigmenwechsel im Denken. Dieser Groschen muß fallen. Das kann eine Urerfahrung mit achselzuckend hingenommener Ungerechtigkeit sein, das kann die Einsicht in die Unmöglichkeit sein, mit den unglaublich mächtigen Mitteln der Gesellschaft den gesellschaftlichen Frieden herstellen zu können.
Zum BGE möchte ich bemerken, daß es dann eine revolutionäre Bedeutung hat, wenn mit ihm der Paradigmenwechsel verbunden ist, daß eine humane Gesellschaft vor aller Verteilung von Reichtum verpflichtet ist, Sorge zu tragen für die Möglichkeit eines menschenwürdigen Lebens für alle seine Mitglieder, eine Pflicht der Gemeinschaft, keine Gnade. Dazu muß eine Gesellschaft reich genug sein, die Einwände dagegen bei uns sind lächerlich, verraten die Ideologie.
„Man kann diese von GEBE wiederholte Auffassung auch so ausdrücken, daß gesagt wird, eine Revolution sei etwas, wozu man gezwungen werde, sie könne also nur von unfreien Menschen getan werden.“
Das kann man, wenn man will. Nur ist die Frage, warum man das so wollen kann. Denn es wäre eine solche Interpretation nun mal nur eine Position, die dem entspricht, was man aus pietistischen Kasteiungsideologien her kennt. (So etwa auch im Sinn des Theorie des sozialen Abwärts-Vergleichs.)
Durch künstlich herbeigeführte Unterdrückung entsteht niemals eine fruchtbringende Wandlung hin zur Freiheitsbegabung!
Es wäre das eine vollkommene Verkennung dessen, was ich zusammengefaßt mit dem Wort des Laotse king: "Wahrhaft Schweres zeugt wahrhaft Leichtes." oben angesprochen habe.
Ihre Interpretation verwechselt Lebensgesetze mit utilitaristischer resp. teleologischer Strategie.
Außerdem ist die Interpretation kein Syllogismus, und ist absolut nicht vollziehbar als solcher; und er ist von mir auch nicht ansatzweise angedeutet worden.
Ihre Interpretation ist marxistischer Ideologie gemäß sehr nachvollziehbar, mißversteht jedoch seelisch-geistige Entwicklungsgesetzmäßigkeiten als utilitaristische resp. teleologische (Manipulations)-Strategien.
ganz individuelle Lebenslagen, denen als Beschaffenheit, als Eigenschaft, eines gegeben sein muß, nämlich die Verunmöglichung von Sublimierung und von Kompensierung
Das mag schon sein, daß der normale Weg zur Distanzierung von der gegebenen Welt die persönliche Erfahrung ist. Entscheidend ist aber, daß die Erfahrung verallgemeinert und auf ein Allgemeines, das System, bezogen wird, sonst bleibt sie unpolitisch, wie die Zusammenrottung der Unzufriedenen in rechten Bewegungen.
Übrigens: im Politischen möchte ich lieber von Solidarität als von Liebe sprechen. Und die ist nur kollektiv erfahrbar.
Voll einverstanden.
Menschheitsentwicklung ist unpolitisch. Gemeinsamkeit ist das Erkennen des Anderen in der eigenen Seele - das ist eine seelisch-geistige Kategorie und keine ordnungsrechtliche. Das Erkennen des Anderen in der eigenen Seelund Liebe und nicht exoterisch-utilitaristische Solidarität. Dort wo Entwicklung als politisch angesehen wird, ist nur Regel-Organisation gegeben, niemals aber Einsicht in das Menschentum.
Seelund ist Liebe
Vielleicht noch eine kleine Verdeutlichung:
Daß die Eisenbahn durch ihren Betrieb mit der Zeit Gleise zerstört, ist eine Tatsache. Dies korreliert in materialistischer Ansicht sogar kausal damit. Daraus aber den Schluß ziehen zu wollen, Sinn der Eisenbahn sei es, Gleise zu zerstören, wäre ein äußerst sinnverdrehender Unfug. Die Zerstörung von Gleisen ist ein sinnferner Nebeneffekt des Betriebs von Eisenbahnen.
Innerhalb der menschlichen Entwicklung ist Politik ebenso ein Nebeneffekt aus dem Miteinander, welcher ebenso kausal mit menschlicher Gemeinschaftsbildung kausal korreliert. Aber zu meinen, Politik führe als Mittel einer Hauptsächlichkeit zu menschlicher Entwicklung, ist ein ebensolcher Unfug, als man eben meinen könnte, die Zerstörung von Gleisen sei der Grund zur Fortbewegung von A nach B.
Das Lebenspraktische sind nun mal nicht die Nebeneffekte und seien sie noch so evident. Daß aber die Neigung besteht, solche, wie hier charakterisierte Nebeneffekte als Haupttatsachen angesehen werden, ist begründet in materialistischer (u.a. insbesondere durch Marx befeuerten) Weltanschauung, durch welche geradezu eine Umstülpung der Lebenstatsachen hergestellt wird.
"Je nun, die Revolution, von der ich spreche, kann nur von freien Menschen getan werden."
Dann wird es wohl nichts mit der Revolution, denn wenn es nicht der Leidensdruck unfreier (geknechteter) Menschen ist, bewegt sich nichts, außer im Theoriengebäude Intellektueller.
Wenn es aber aus dieser "Unfreiheit" heraus geschieht, da selbst in dieser Unfreiheit noch ein Wille zur Veränderung (Freiheit, Gerechtigkeit usw.) vorhanden ist, kann auch der Intellektuelle seinen Beitrag leisten. Wenn es gut läuft, kann er oder sie bereits als Katalysator mitgewirkt haben, was aber verständliche Sprache und in die Praxis eintauchen bedeutet.
Richtig, hier und jetzt ist unsere Wirkungsstätte.
Ich möchte ja niemandem sein Weltbild rauben, aber widersprechen muß ich doch heftig. Ich teile nicht die Ansicht, die nicht nur von Ihnen, lieber Gebe, sondern von vielen Communarden vertreten wird, daß der Mensch von Natur ein Individuum ist, seine Sozialität, Geselligkeit nur der unvermeidliche Abrieb der Gleise. Was mich dabei wundert, ist, daß Ihnen allen nicht auffällt, wie sehr das der bürgerlichen Ideologie entspricht. Für mich ist der Mensch gleichursprünglich Individual- wie Sozialwesen. Beides gehört zu seiner angeborenen Natur. Und beides entwickelt er, weil er auch ein Kulturwesen ist, lernfähig und modifizierbar, oder wie Sie schreiben: er sublimiert und kompensiert. Die Kulturgeschichte ist die Geschichte der Selbstbildung des Menschen. Es gibt bspw Untersuchungen, die zeigen (oder meinetwegen vorsichtiger formuliert, die zu zeigen scheinen), daß die moderne persönliche Liebe ein Produkt des ausgehenden Mittelalters oder der beginnenden Neuzeit ist, das die Ausbildung sehr viel strikterer Formen der Individualität voraussetzt, abhängig von der Autarkie individueller Subsistenz (Abelard und Heloise gelten als das romantische Urpaar). Kulturgeschichtlich differenzieren sich Privat- und öffentliche Sphäre aus. Politik ist das auf die Polis gerichtete zielorientierte, kollektivgeprägte Denken und das Handeln der Menschen in der öffentlichen Sphäre, in Bezug zur gesellschaftlichen Organisation und Repräsentation. Daß Pleifel Ihnen bei Ihrer Abwertung des Politischen folgen kann, wage ich zu bezweifeln. Gegen Liebe als Leitidee (ich erinnere an das Wunderhornlied Liebst du um Schönheit) des Privaten habe ich überhaupt nichts einzuwenden. Aber zur Fernen-, Fremden-, allgemeinen Menschenliebe gehört Solidarität, ich befürchte, wer diesen Unterschied nicht machen kann, ist zu beidem nicht fähig.
"Daß Pleifel Ihnen bei Ihrer Abwertung des Politischen folgen kann, wage ich zu bezweifeln."
Dat stimmt wohl, auf dem Niveau. :-)
Ich lese aus Ihrer Erwiderung eine ziemlich verschrobene und dekadente Interpretation des Begriffs 'Liebe' heraus, die es einer weiteren Erörterung nicht lohnt.
Ich sehe es nicht so, daß ich eine Definition durch eine andere ersetzt hätte, vielmehr meine ich, auf eine Konfusion hingewiesen zu haben, wo man sich einfach entscheiden muß, wo auch Sie sich entscheiden müssen, ob nun so wie ich oder entgegengesetzt. „Revolution“ bedeutet primär Neugründung oder –geschehen, außerdem hat der geschichtliche Verlauf dem Moment der Gewaltsamkeit eine große Bedeutung gegeben, was aber nichts daran ändert, daß man z.B. von der „neolithischen Revolution“ spricht, ohne da von irgendwelchen Umwälzungs-Gewaltsamkeiten zu wissen oder sie hypothetisch anzunehmen. Jedenfalls haben die Momente „Neugründung“ und „Gewaltsamkeit“ per se überhaupt nichts miteinander zu tun und deshalb sage ich, es ist eine Konfusion, anzunehmen, sie müßten überhistorisch und in alle Zukunft hinein – aus igendeinem ontologischen Grund, der nicht ersichtlich ist – im Begriff der Revolution immer zusammentreffen. Also muß man sich entscheiden, und ich entscheide mich so, daß ich sage, eine politische Revolution ist immer eine Neugründung, und zwar gegen Widerstand, und wirft (deshalb) auf absehbare Zeit immer die Frage der Gewaltsamkeit auf, wie sie aber beantwortet wird, hängt wie bisher so auch weiterhin von den realen historischen Umständen ab.
Das Ganze ist eigentlich nur eine Frage der Terminologie, in der können Sie sich ja anders entscheiden als ich und da wir uns nun darüber austauschen, würde ich Äußerungen von Ihnen auch verstehen, wenn Sie andere Termini gebrauchen. Worum es wirklich geht, ist doch jedenfalls klar: Ob die Andere Gesellschaft, in der es kein Kapital mehr gibt, ohne Gewalt herbeigeführt werden kann. Ich selbst habe meine Gründe, das eine Revolution zu nennen, denn ich will ja diejenigen widerlegen, die sagen, „wir sind revolutionär und (a) wollen deshalb den Bürgerkrieg vorbereiten oder (b) müssen trotzdem immer im Kapitalismus bleiben, weil man ihm nur per Bürgerkrieg entkommen könnte und das nicht geht“. Ich finde das alles falsch und will es sagen können, ohne daß mir dann entgegengehalten werden kann, „naja, du sagst ja selbst, daß du nicht von der Revolution sprichst, wir aber sprechen von ihr und d.h. wir sprechen vom Blutbad“. Nein, diese Leute und ich haben dasselbe Thema und ich bleibe dabei, es so wie sie auch zu nennen. Nennen Sie das Kind anders, wenn Sie den Dialog anders nicht weiterführen können, für mich ist und bleibt es die Revolution.
"Das führt zu der Konklusion, dass wir keine postkapitalistische Agenda brauchen, sondern Zorn und Aktion in der Gegewart. Die Einsicht, dass sich alles ändern muss ist in einer Situation, die , wenn diese erhalten werden könnt, zur unausweichlichen, gloablen Katastrophe der Gesellschaften, des Lebens selbst führte, ist gegegeben."
Das bezweifle ich aber stark. Zorn über sichtbare Schädigungen ist vielfach da, aber kaum Einsicht in die Ursachen. Handeln wird gegen Nachdenken ins Feld geführt, statt Handeln aus Nachdenken abzuleiten.
Auch die Massen in der Weimarer Republik hatten kein Interesse an "nachkapitalistischer Agenda". Das rächt sich.
Im übrigen haben diese ganzen Theorie-feindlichen Zorn-Aufstände noch nirgendwo zu einer echten Alternative geführt. Das ist alles heiße Luft, mit denen allerdings die Rechten dann ihre Ballons füllen können.
"Sie entsteht nur (die Revolution), wenn die Menschen in tatsächliche Zwangslagen geraten, nicht etwa in prognostizierte." Kurz und bündig beschrieben (...)
Und der Beleg dafür? Gibt es also auf der Welt momentan keine "tatsächlichen Zwangslagen"?
Wenn sich im Kopf der lieben Staatsbürger nichts geändert hat, reagieren diese Menschen auch in Zwangslagen nicht mit einem Kampf gegen die Ursachen, sondern rennen höchstens oberflächlichen Pseudolösungen hinterher, die nur eine neue Variation des Kapitalismus darstellen (z.B. ohne EU statt mit, oder ohne Flüchtlinge statt mit etc.). Vor allem viel Nationalismus - der noch nie ein Segen für die Lohnabhängigen war! - und anti-demokratische Wutausbrüche. Alles, bloß keine nach-kapitalistischen Absichten.
Ich empfehle ihnen mal rumzufragen bei durchschnittlichen Mittbürgeren, was diese zB. von der Gesamtsituation in Bezug auf den sich anbahnenden ökologischen Gau so halten. Sie werden feststellen, dass die meisten sich durchaus der Situation bewusst sind. Es werden nicht alle die Ursachen komplett durchleuchtete haben, obwohl das wesentlich einfacher ist, als die Meisten glauben, aber es ist definitif nicht so, dass eine Einsicht in die Ursachen des Problems auch ein Voraussetzung dafür ist auf das Problem zu reagieren. Die Reaktion selbst ist meist mit einer Erweiterung der Einsichten verbunden - fast zwangsläufig lernt man im aktiven Engagement dazu, was man noch nicht weiß , entweder durch eigenen Bemühungen oder durch Kommunikation mit anderen Aktivisten.
Wen Sie meinen ich stellte Denken Handeln gegeenüber , dann haben sie in Bezug auf das Zitat zwar Recht, aber sie haben möglicherweise die implizite Bedeutung nicht erfasst. Das Denken ist längst geschehen und wird alllenfalls zum Nachdenken, wie sie ja bezeichnenderweise sagen. Wenn wir aber im Nachdenken verharren kommt kein Wandel , keine Revolution. In sofern hat Angamben schon eine Punk berührt. Denen, die immer nur weiter denken, theoretisieren, nie zur Aktion vordringen, fehlt vielleicht die Hoffung und damit dier Mut. Hoffnung ist den Defiziten an der Realität geschuldet, wie Ernst Bloch meint.
Aber beachten Sie vor allem den Zusammenhang mit dem 2. Zitat, in dem wir aufgefordert werden , wir die Denkenden, alle Hoffung fahren zu lassen und auf das zu hören was von unten kommt. Von da kommt was?
Das ist alles heiße Luft, mit denen allerdings die Rechten dann ihre Ballons füllen können. Sehr richtig.
"aber es ist definitif nicht so, dass eine Einsicht in die Ursachen des Problems auch ein Voraussetzung dafür ist auf das Problem zu reagieren. Die Reaktion selbst ist meist mit einer Erweiterung der Einsichten verbunden - fast zwangsläufig lernt man im aktiven Engagement dazu, was man noch nicht weiß , entweder durch eigenen Bemühungen oder durch Kommunikation mit anderen Aktivisten."
Wenn es gut läuft, ja. Aber auch diese Vorstellung ist eine Theorie. Man muss das aber auch so handhaben.
Die angesprochene "Erweiterung der Einsichten" finde ich aber nicht vor. Fast jede neue Bewegung verbleibt gedanklich (und das bedeutet ja: was die Theorie betrifft!) in dem Rahmen, in dem sie gestartet ist. Was ist aus den ökologischen Aktivisten geworden? Was aus den Grünen? Was aus attac? Was aus den berühmten 99% (die nicht mal 9% sind)? Was aus "Empört Euch"?
Findet also keinerlei Lernen statt. Doch, aber sehr wenig. Vor allem: Die wenigen, die beim Engagement wirklich weiter gekommen sind mit den Einsichten, haben meistens Streß bekommen mit der übrigen Mannschaft und sind schließlich aus diesem Umfeld frustriert ausgestiegen. Von den übrigen Protestlern werden sie dann regelmäßig als Theoretiker beschimpft, die sich von der Basis entfernt hätten, nur weil sie es gewagt haben, über den Tellerrand hinaus zu denken.
Richtig , wir sehen wie Bewegung nacheinander und systematisch assimiliert werden - zB die Ökobewegung heisst jetzt "Grünes Wachstum" und ist selbstverständlich ein Oxymeron. Viele NGOs werden unterwandert, missbraucht, umgedreht sogar oder durch Staatspolitik und neoliberale Propaganda ideologisiert. Andere wie Occupy und zum Teil auch Attac sind einfach mit viel Gewalt hinweggefegt worden oder durch Unterwanderungen diskreditiert worden. Kurz: die Abwehr des Widerstandes ist gewalttätig und übermächtig.
Aber was in diesem Zusammenhang all den Aufständen und Revolten, dem Widerstand der letzten Jahre gemeinsam war: Sie sind nicht wegen irgendwelchen Theorien zur Realität geworden, vor allem nicht die anarchistischeren, welche sich auf ein anderes Vorgehen geeinigt haben, während sie bestanden Da hätte auch keiner mit einem Fahrplan ankommen können. Man kann eine politische Agenda nicht mit einer anderen absetzen. Nicht in dieser Situation. Man kann sie höchstens ausschließlich absetzen. Und ich sag das hier unter dem Gesichtspunkt, das zB Occupy von sehr vielen Intellektuellen aktiv unterstützt wurde, denen es sicher nicht an Theorien gefehlt hat.
Mit anderen Worten und was ich auch in meine Antwort auf ihren Kommentar im anderen Thread schrieb. die Theorien helfen nicht die Solidarität und Motivation hervorzurufen, die für einen wirksamen Widerstand notwendig ist, zur Schaffung eines nennen politischen Raums und dem entsprechende anders gearteten Machtraum, der notwendig wird, um Einfluss zu gewinnen, um dringende soziale Problem zB lösen zu können.
Man schaue sich nur an wie der Kampf der Syriza an der totalitären Politik der EU und Schäuble gescheitert ist. Dies als Beispiel für die Gesamtsituation. Man lese die Berichte von Varoufakis zu den Verhandlungen ... Auch über die traditionellen "demokratischen" Ebene also keine Möglichkeiten. mehr. Gerade hier wurde alles über die monetäre Ebene abgewickelt, die an Absurdität kaum noch zu überbieten ist, selbst nach kapitalistischen Maßstäben. Man findet also in dieser Affäere zB die Auffassung Graebers zum Sinn und Zweck des Schudlgeldsystem vollständig bestätigt, und zwar in der Reaqlpolitik und ganz praktisch. Was soll ich mir da weiter Gedanken über Marx, Lenin, Mao und die theoretischen Regelmäßigkeit einer revolutionären Situation machen? Die Zeiten haben sich geändert. Der revolutionäre Moment ist und war seit Jahren gegeben, und es wird jeder Aufstand abgewehrt durch entsprechende, geopolitische Destabilisierungsmaßnahmen oder punktuelle Staatsgewalt.
Es fehlt nicht an Theorien für ein danach, es fehlt an Mut, an Durchsetzungsvermögen, an praktischer Organisiation und an Solidarität für ein Jetzt.
"Andere wie Occupy und zum Teil auch Attac sind einfach mit viel Gewalt hinweggefegt worden oder durch Unterwanderungen diskreditiert worden."
"Der revolutionäre Moment ist und war seit Jahren gegeben, und es wird jeder Aufstand abgewehrt durch entsprechende, geopolitische Destabilisierungsmaßnahmen oder punktuelle Staatsgewalt."
Das sehe ich nicht so. Diese Widerstände sind nie grundsätzlich genug angelegt gewesen, und das hat durchaus was mit Theorie zu tun. Fast immer sind sie mit vielen Illusionen, und das bedeutet: mit falschen Theorien, durchsetzt - und deshalb kommen sie nicht weiter, sondern werden ein paar Jahre später durch einen neuen, ähnlich illusionären Ansatz re-inkarniert.
Attac z.B.: keine Form der Banken-Regulierung könnte die Krisen vermeiden - entweder, bei streng regulierten Banken, bekommt das industrielle Kapital (die Kunden der Großbanken!) keine passenden Kredite mehr, d.h. es gibt eine Dauerkrise statt einem Auf und Ab der Konjunktur, oder die Krise wird einfach nur vorgezogen, weil man keine Blasenbildung mehr zulassen will und deshalb extrem restriktiv vorgeht.
In beiden Fällen kommt immer der Staat als Helfer vor, obwohl der ganz andere Zwecksetzungen hat, aus seinen national-ökonomischen Gründen.
Ein ausgebremstes Bankensystem ist, wenn tatsächlich Bremsen eingebaut werden, auch eine Bremse des produzierenden Kapitals. Wenn man das weiß (das ist ein Stück Theorie!), dann ruft man nicht nach Transaktionssteuern und ähnlichem, sondern will eine nachkapitalistische Perspektive und kümmert sich erstmal um die Grundlagen dafür.
Aber das wollten die genannten Bewegungen alle nicht, und deshalb sind sie auch nicht unterwandert oder durch Abwehrkampf geschwächt worden, sondern haben sich selbst in eine Sackgasse manövriert.
Weil das nicht verstanden wird, herrscht Enttäuschung vor, leider aber nicht als Ent-Täuschung; die einen resignieren, die anderen landen, gemäß ihrem Standpunkt der Verbesserung des Kapitalismus, in irgendwelchen Institutionen der NGOs oder konforme Parteien.