Die Heimerl-Variante

Bahnhof In der Ablehnung von Geißlers Kompromissvorschlag ist wieder die Absicht zu erkennen, das Publikum konfus zu machen. Heute muss man stur sein um als „politikfähig“ zu gelten

Heiner Geißlers Kompromissvorschlag im Stuttgarter Bahnhofsstreit ist von Unionspolitikern, an­gefangen mit Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU), sogleich zurückgewiesen worden. Wieder ist die Absicht erkennbar, das Publikum konfus zu machen: Geißlers über- wie unterirdischer Kombibahnhof sei ja ein uralter Hut, heißt es, die „Heimerl-Variante“, der man doch seinerzeit nicht zu­gestimmt habe.

Ja, der Verkehrswissenschaftler Gerhard Heimerl war der Mann, der zuerst auf die Idee kam, der Bahnhof müsse umgebaut werden, und zwar in der Form einer zusätzlichen Untertunnelung des Kopfbahnhofs. Das war keine „Variante“, das war die Sache selbst. Der ausschließliche Tunnelbahnhof tauchte dann, als eine von vier Möglichkeiten der Verwirklichung der Heimerl-Idee, im Planungsverlauf mit der Begründung auf, das leergeräumte Bahngelände könne städtebaulich genutzt werden. Hierfür hat man sich entschieden, aber man hätte sich natürlich auch anders entscheiden können und könnte es noch heute an­gesichts des Widerstands in der Bevölkerung. Aber nein, es wird wieder TINA suggeriert: There Is No Alternative.

Tatsächlich pfeifen es die Spatzen von den Dächern, dass die Bahn ohnehin entschlossen war, ihr Projekt durchzuziehen, egal wie der Stresstest ausge­fallen wäre. Aber immer noch könnte die Bundesregierung umdenken. Wenn man Herrn Ramsauer einmal beiseite lässt, stellt sich doch die Frage, warum die Kanzlerin die Chance nicht nutzt, ihr eigenes Projekt, das schwarz-grüne Bündnis, der Verwirklichung näherzubringen. Geißler jedenfalls dürfte das im Auge gehabt haben. Er hatte Angela Merkel von seinem Vorschlag vorab informiert. Niemand weiß, was dabei beredet wurde.

Stünde die Kanzlerin nicht gut da, wenn sie eine neue Entscheidung träfe, zur Be­friedung Stuttgarts? Was hat sie denn den Grünen zu bieten, wenn das nicht einmal möglich ist? Es gab einmal eine Zeit, da warf man den Grünen vor, sie seien „politikunfähig“, weil kompromissunfähig. Inzwischen scheint es, dass man stur sein muss, um als „politikfähig“ zu gelten.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur (FM)

studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. an der Universität Innsbruck für poststrukturalistische Philosophie inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

Michael Jäger

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