Iamus scheitert am Turing-Test

Lauschangriff Ein Computer komponiert so gut, dass das London Symphony Orchestra seine Werke spielen wird. Manche sagen, sie klängen gar menschengemacht. Unser Rezensent ist skeptisch

Am Montag wurde im andalusischen Malaga ein Konzertabend mit Kammermusik des Computers „Iamus“ veranstaltet. Die britische Zeitung The Guardian wies vorab auf die Liveübertragung im Internet hin und verschaffte damit dem Ereignis ungewöhnlich viel Publizität. Anlass der Aufführung an der Universität von Malaga, die Iamus entwickelt hat, war, dass sich Ende Juni der Geburtstag des britischen Computer-Pioniers Alan Turing zum hundertsten Mal jährte. Der Autor des Guardian-Artikels diskutiert die Musik denn auch unter der Frage, ob Iamus mit ihr den „Turing-Test“ bestehe: ob Testpersonen also heraushören können, dass es keine menschengemachte, sondern Computermusik ist. Sie können es nicht mehr, so das Fazit des Artikels. Diese These sieht er auch dadurch bestätigt, dass sich das London Symphony Orchestra der Musik annehmen wird, weil sie so gut sei.

Der Rezensent kann die Begeisterung nicht teilen. Ja, es waren schöne Klänge aus Malaga zu hören. Die Kompositionsweise ist atonal und erinnert an Alban Berg. Das ist gewiss beachtlich für einen Computer. Aber zum einen klingen alle Stücke von Iamus recht ähnlich, zum zweiten sind sie nicht intentional, laufen auf nichts hinaus. Manche werden sagen, es sei gerade befreiend, wenn jemand oder etwas nicht intentional „sein muss“. Doch um den Turing-Test zu bestehen, müsste Iamus Intentionalität, die nun einmal zum Menschen gehört, mindestens vortäuschen können.

Turing selbst hat die Testbedingung so formuliert: Der Computer muss die Testperson in einem Gespräch überzeugen können, dass er ein Mensch ist. Diese Intention wenigstens hätte er also immer im Programm. Im Fall von Musik würde man aber misstrauisch, wenn jedes Stück auf dasselbe hinausliefe. Da macht es Iamus tatsächlich noch am geschicktesten, indem er auf Absichten gleich ganz verzichtet.

Einer wie Berg, Boulez und Cage?

Nun gibt es nichtintentionale Musik durchaus, und gerade bei Alban Berg. Aber man hört natürlich heraus, dass Berg, statt ziellos zu komponieren, Ziellosigkeit komponiert hat. Besonders seine Oper Lulu zeigt Menschen, die nur noch fallen und gar nichts mehr anstreben außer Geld, und bettet sie musikalisch entsprechend ein. Aber das ist selbst wieder eine auskomponierte Absicht. Was wäre denn die Schlussfolgerung, wenn das arme Geschöpf Lulu die Iamus-Musik hörte und für menschengemachte Musik hielte? Doch nicht, dass Iamus wie ein Mensch komponiert. Sondern dass Lulu im Nihilismus wie eine bloße Maschine lebt.

Zwei Fälle menschengemachter Musik gibt es, die ähnlich wie die Iamus-Musik entstanden zu sein scheinen. Zum einen das erste Stück der Structures pour deux pianos von Pierre Boulez, Inauguralwerk der sogenannten seriellen Musik. Es ist das einzige Stück des Komponisten, das sich aus von ihm festgelegten Axiomen absolut zwingend entwickelt.

Warum kann es begeistern? Weil die Axiome neu und einmalig sind. Boulez komponiert nicht wie Berg, sondern wie Boulez. Dass Iamus einmalige, neuartige Iamus-Musik komponiert, kann man sich aber nicht vorstellen. Der andere Fall ist das Werk von John Cage. Dessen Musik ist insofern intentionslos, als er Zufälle hervorlockt, um sich von ihnen das klingende Resultat seiner kompositorischen Anordnungen vorschreiben zu lassen. Diese Anordnungen selber sind aber seine Handschrift, und er betont auch immer wieder, dass er derjenige ist, der „die Fragen stellt“. Von Menschenhand geschrieben sind auch die Axiome von Iamus. Man hört eben leider heraus, dass sie epigonal sind.

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Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur (FM)

studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. an der Universität Innsbruck für poststrukturalistische Philosophie inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

Michael Jäger

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