Seltenes Vergnügen

Konfliktstoff Ein kleines Berliner Theater nimmt sich Bertold Brechts „Die Tage der Commune“ an
Ausgabe 09/2018

Nach wie vor werden Stücke von Bert Brecht aufgeführt, doch um sein dezidiert kommunistisches Theater macht man einen Bogen. Selbst in der DDR kamen Die Tage der Commune nur zweimal auf die Bühne. Dass das 1949 geschriebene Stück dort keinen Erfolg hatte, ist verständlich, da die beginnende Realisierung des kommunistischen Traums hinter Brechts Verheißung einer klassenlosen Gesellschaft weit zurückfiel. Wenn er etwa über die freie Meinungsäußerung schreibt, sie könne nicht dem Lügner eingeräumt werden, erfuhren die Bürger der damals gegründeten DDR bald genug, dass auch die Wahrheit nicht immer geäußert werden durfte. Umso wunderbarer, dass sich Regisseur Peter Wittig und das kleine Ensemble SiDat! Simon Dach Projekttheater in Berlin des Stücks nun annehmen. Denn es ist aktuell.

Die Pariser Commune konstituierte sich 1871, als Frankreich den Krieg gegen Preußen verlor. Sie war der Versuch der Nationalgarde, der Hauptstadt eine Räteverfassung zu geben und diese aufs ganze Land auszuweiten. Obwohl die Commune nur zweieinhalb Monate bestand, hat Karl Marx – und übrigens auch August Bebel, wie Brecht zitiert – sie zum Vorbild der proletarischen Revolution erhoben. Sie zeige, so Friedrich Engels, was mit der „Diktatur des Proletariats“ gemeint sei. Keineswegs ist das Verbot der Pressefreiheit oder freier Wahlen gemeint. Sondern dass die Mehrheit jeder Bevölkerung aus arbeitenden Menschen bestehe und sich als solche in Wahlen erweisen könne.

Das sah Brecht etwas anders, doch wie die Commune in manchem irrte und trotzdem Marx’ Solidarität nicht verlor, so darf auch Brecht irren. Im Übrigen ist der Irrtum, den Marx hervorhebt, auch für Brecht der Hauptirrtum: dass die Commune es versäumte, gegen ihre bürgerlichen Gegner vor den Toren der Stadt militärisch vorzugehen, als sie noch schwach waren. Bald war es zu spät, weil Bismarck sie unterstützte. Zwar scheint Brecht, anders als Marx, nur den Nutzen zu erwägen und Gewalt zu predigen. In Wahrheit zeigt er aber, dass die Kommunarden ihr Recht wie ihre Entschlossenheit daraus, sich als legitime Staatsgewalt zu sehen, hätten ziehen sollen. Das konnten sie als Anarchisten nicht.

Politik, Geschäft, Eros

Brechts „episches Theater“ sorgt dafür, dass solcher Stoff nicht trocken herüberkommt. Es ist im Gegenteil höchst lustig, den Schauspielern zuzusehen, wie sie das ganze Vokabular der menschlichen Gestik entfalten, sei’s in politischen, geschäftlichen oder erotischen Szenen. Und gerade daraus, dass diese Gestik bekannt ist, entspringt der Spaß. Brecht zeigt gleichsam, dass wir uns selbst unterhalten könnten, ganz ohne „Show“ und „Event“. Zugleich ist es politisches Theater im besten Sinn, in dem ein Standpunkt nicht aufoktroyiert, sondern in der offenen Debatte mit dem Gegenstandpunkt vorgeführt wird. Obwohl nämlich Brecht aus dem, was er selbst für richtig hält, keinen Hehl macht, gelingt ihm die Umsetzung seines ästhetischen Programms, die Zuschauer entscheiden zu lassen. So wird die Debatte zum echten dramatischen Konflikt.

Gewiss lässt er seine Rhetorik spielen! Doch bleibt auch diese durchschaubar rational. Das wunderbare Ensemble legt auch das offen. Zwei Schauspielerinnen tragen eine Stelle rhythmisch betont vor und lassen sie die Zuschauerinnen nachsprechen. Da hören alle, Brechts Prosa ist pure Lyrik.

Info

Die Tage der Commune Regie: Peter Wittig SiDat! Simon Dach Projekttheater; Spielort: Theater unterm Dach, Berlin. Weitere Termine am 17. und 18. März

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Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur „Politik“ (Freier Mitarbeiter)

Michael Jäger studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. für poststrukturalistische Philosophie an der Universität Innsbruck inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

Michael Jäger

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