Zur Lage der Linkspartei, Teil II

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(Beginnen mit Teil I: hier.)

Bartsch (Forts.)

Was man sah, war die Posten-Politik der "Reformer" auf dem Geraer Parteitag. Sie weigerten sich strikt, an der Parteiführung unter Zimmer beteiligt zu sein. So wie sich Bartsch 2012 weigert, unter Lafontaine Vizevorsitzender zu werden, weigert sich Petra Pau 2002, Vizevorsitzende unter Gabi Zimmer zu werden. Bartsch selbst kandidiert 2002 nicht für seine Wiederwahl als Bundesgeschäftsführer. Aber auch Roland Claus, ein anderer "Reformer", will es nicht werden. Zimmer bittet um solche Mitarbeit, umsonst. Nun steht sie allein da mit dem Flügel, der sie gewählt hat. Kommentar des erwähnten taz-Kollegen: "Gabi Zimmer könnte Verhaftungen veranlassen. Die Macht dazu hat sie jetzt."

Auf jenem Parteitag wird Diether Dehm in seinem Amt als Stellvertretender Vorsitzender bestätigt, das er 1999 überraschend errungen hatte. Er gehörte nicht zu denen, die Zimmer bekämpften. Wohlgemerkt, alles, was ich erzähle, spielt sich in der PDS ab, eine WASG gibt es noch lange nicht, Lafontaine ist Welten entfernt und Zimmer verdankt ihren vernichtenden Sieg über fassungslos weinende "Reformer" ersichtlich den Ostverbänden ihrer Partei. Denn was es damals schon an Westverbänden gibt, spielt nur eine ganz marginale Rolle. Dehm aber kommt aus dem Westen. Man versteht übrigens gar nicht, weshalb zwischen ihm, dem einstigen Vizevorsitzenden des Unternehmerverbands der SPD, und den "Reformern" der PDS die Chemie nicht stimmt. Es ist aber nicht anders. Sehr bald nach Gera ist Dehm sein Amt wieder los.

Warum? Weil "Gabi Zimmer Verhaftungen veranlassen könnte", möchte man angesichts der Farce, die sich nun abspielt, antworten. Dehm eilt am späten Abend ins Parteihaus, weil er, wie er sagt, gehört hat, es werde versucht, Materialien aus dem Büro zu entfernen, das Bartsch innegehabt hatte. Er kommt an, sieht nichts und geht wieder nach Hause. Daraus wird ihm der Strick gedreht. Der Sicherheitsbeschäftigte im Parteihaus sagt gegen ihn aus: Dehm habe ihm eine Anweisung gegeben. Er scheint wie ein richtiger Stalinist agiert zu haben. Dem Berliner Tagesspiegel und anderen Medien wird es zwar gerichtlich untersagt, die Behauptung des Sicherheitsbeschäftigten zu wiederholen. Aber da die Mainstream-Presse sich schon damals auf Bartschs Seite stellt, kann Zimmer Dehm nicht halten, obwohl sie es zunächst versucht. Er muss zurücktreten. Natürlich ist das nur die Vorstufe dazu, dass Zimmer selbst zurücktreten muss.

Die Affaire Dehm/Bartsch ist zehn Jahre her, aber seitdem denke ich, das kann jeder Parteiführung passieren: Sie tritt an, wird mit lauteren und unlauteren Mitteln zerredet und irgendwann entsteht der Eindruck, es ist überhaupt keiner mehr da, außer Bartsch, dem man die Führungsrolle noch zumuten kann.

Partei der Arbeiterbewegung?

Wir kommen nach Gysi und Bartsch zum dritten Hauptakteur der alten Garde, zu Lafontaine. Wenn ich an Gysis Rede einige Kritik zu üben hatte, geschah das nicht in der Perspektive einer Parteinahme für Lafontaines Rede. Denn die hat auch ihre blinden Flecken. Fangen wir, um Gysis Rede in Erinnerung zu halten, mit der "Interessenpartei" an. Da sehe ich noch kaum Probleme. Lafontaine weist den Gesichtspunkt der "Interessen" nicht etwa zurück, sondern sagt, eine Partei gewinne "Vertrauen [...] nur, wenn Kernbereiche der Arbeiterschaft sagen, diese Partei vertritt im Zweifelsfall unsere Interessen. Arbeitnehmer und Rentner sind nun mal die große Mehrheit der Bevölkerung. Deshalb erinnere ich Euch alle noch einmal daran, was Demokratie eigentlich heißt. Wir sind die einzige Partei, die dazu steht. Demokratie meint eine Gesellschaft, in der sich die Interessen der Mehrheit durchsetzen. Genau diese Gesellschaft wird in Europa bedroht und abgebaut."

In freier Rede ausgesprochen, sind diese Sätze nicht in der wünschenswert klarsten Weise formuliert, aber doch eindeutig interpretierbar. Zunächst, er redet keiner "Interessenpartei" das Wort, wie Gysi sie versteht. In Gysis Augen vertritt eine "Interessenpartei" Partialinteressen gegen andere Partialinteressen, es sei denn, sie vertritt wenigstens möglichst viele Partialinteressen gleichzeitig, in welchem Fall sie "Volkspartei" wird. Lafontaine hingegen will bekämpfen, dass d i e I n t e r e s s e n d e r M e h r h e i t nicht zur Geltung kommen.

Wenn er sagt, ein solcher Zustand sei keine Demokratie, kann natürlich gefordert werden, er müsse der Klarheit halber hinzufügen, dass ein Staat, der angeblich die Interessen der Mehrheit vertritt, aber ohne diese gefragt zu haben, ebenso wenig und noch weniger eine Demokratie sei. Man kann allerdings auch zu dem Schluss kommen, dass sich dies für Lafontaine von selbst versteht und er es nicht aussprechen musste. Lafontaine war schließlich schon demokratischer Sozialist, als manche "Reformer" es durchaus noch nicht waren. Er sagt ja, die Demokratie der Mehrheit, von der er spricht, werde in Europa "bedroht und abgebaut". Er unterstellt also, dass es sie bereits gibt. Dabei kann er bestimmt nicht der Meinung sein, die Mehrheit der europäischen oder auch nur deutschen Menschen wähle in Wahlen so, wie es ihren von ihm, Lafontaine, interpretierten Interessen entspreche. Trotzdem sind das demokratische Wahlen für ihn, es ist trotzdem d i e D e m o k r a t i e , die heute vom Abbau bedroht ist, und wir wissen auch, warum: weil Wahlresultate nichts gelten, wenn sie nicht "marktkonform" sind, oder weil Parteiführer, kaum sind sie gewählt, ihre Wahlversprechen brechen.

Wenn es für Lafontaine die "Arbeitnehmer und Rentner" sind, die sich in der Mehrheit versammeln, ist das ebenfalls noch in Ordnung. Deren Interessen sind nicht von vornherein Partialinteressen. Natürlich können sich auch Arbeitnehmergruppen egoistisch verhalten und tun es manchmal. Aber der Hauptgesichtspunkt ist erst einmal, dass sie diejenigen sind, die für die ganze Gesellschaft arbeiten oder gearbeitet haben. Man würde gern von Unternehmern dasselbe sagen, kann es aber nicht immer. Ich habe schon erwähnt, dass Lafontaine die Programmpartei vertritt und n i c h t die "Interessenpartei" oder "Volkspartei" in dem Sinn, wie Gysi die Wörter versteht. In diesem Programm spielen Arbeitnehmer nicht die Rolle einer Gruppe mit Sonderinteressen, sondern werden als Säulen der Gesellschaft angesehen.

Aber dennoch ist etwas in der Art, wie Lafontaine sich auf die Arbeitnehmer beruft, problematisch. Das Problem entsteht daraus, dass er aus der SPD kommt. Die SPD war für die Generation von Parteifunktionären, denen er angehört hatte, und gerade denen, die der Partei als "Bürger" beigetreten waren, die "Partei der Arbeiterbewegung" gewesen. Das konnte man um 1980 herum auch von anderen "Bürgern" immer wieder hören, so von Erhard Eppler und Peter Glotz, als sie im Parteiauftrag versuchten, die Entstehung der Grünen zu verhindern. Man müsse doch bei der Arbeiterbewegung bleiben, sagten oder schrieben sie, und damit war gemeint, man müsse bei der SPD bleiben. Wenn die SPD sich auch als "Volkspartei" bezeichnete, so hieß das ursprünglich, sie wollte das Bündnis von Arbeiterbewegung und sozial engagierten Bürgern um einer besseren, demokratisch-sozialistischen Gesellschaft willen organisieren.

Lafontaine sagt noch 2012 in Göttingen: "Es gab in der Tradition der Arbeiterbewegung immer schwierige Situationen." Dazu leitet nichts über. Es ist seine E i n l e i t u n g . In diesem Diskurs lebt und webt er. Was, zunächst einmal, nur wieder Beleg dafür ist, dass es ihm um eine Vertretung der Partialinteressen von "Arbeitnehmern" gerade nicht geht. Denn der Terminus Arbeiterbewegung hat immer eine Kraft gemeint, die für die ganze Gesellschaft ein Konzept hatte und durchsetzen wollte. So, wie man es aus dem Kampflied der Arbeiterbewegung kennt: "Die Internationale erkämpft das Menschenrecht." Doch wenn wir zuhören, wie Lafontaine weiterredet, sehen wir, dass es inzwischen nicht mehr der SPD-Diskurs ist, in dem er sich bewegt. Er sagt - und das ist sein Argument gegen die von Gysi beschworene Spaltungsgefahr -: "Die Geschichte der Arbeiterbewegung lehrt, eine Spaltung ist nur dann erforderlich, wenn gravierende programmatische Unterschiede festgestellt werden, wenn die Einen - ich erinnere an Liebknecht und Rosa Luxemburg - gegen Krieg sind und die Anderen für Krieg sind, wenn die einen für den Abbau des Sozialstaates sind und die Anderen gegen diesen Abbau sind, dann hat man Grund, sich zu trennen, aber nicht, weil man da oder dort Befindlichkeiten hat."

Das heißt mit anderen Worten und im Klartext, es war erforderlich, die SPD zu spalten, nachdem sie 1914 den Kriegskrediten zugestimmt hatte, und noch einmal war es nach 1930 erforderlich, diese Spaltung zu vertiefen, weil die SPD das Austerity-Programm des Kanzlers Brüning stützte, so wie sie heute das Austerity-Programm Angela Merkels stützt. Mit diesem Gedanken ist der SPD-Diskurs natürlich verlassen. Erforderlich, um es auf den Punkt zu bringen, war die Gründung einer neuen und besseren Partei der Arbeiterbewegung: der KPD. Ich würde das auch sagen. Unglücklich war, dass die KPD unters Kuratel einer von Stalin beherrschten und instrumentalisierten Komintern geriet, aber an d i e s e KPD knüpft Lafontaine ja nicht an. Er erinnert vielmehr "an Liebknecht und Luxemburg", wie es auch Gysi und die anderen "Reformer" tun. Die indes verbinden damit keinen Diskurs "der Arbeiterbewegung" mehr. Gysi wehrt sich zwar, wie erwähnt, energisch dagegen, der Nähe zur SPD bezichtigt zu werden, keineswegs aber kehrt er an den Punkt zurück, wo sich eine KPD aus der SPD emanzipierte und man anfangs noch annehmen konnte, sie würde sich "nur" von der Kriegs- und Sozialabbaupolitik der SPD verabschieden, nicht aber, als Partei, die wie die SPD in Deutschland statt im zaristischen Russland entstand, von der demokratischen Praxis und Gesinnung der SPD.

An dieser Stelle können wir ganz exakt die Differenz zwischen der Politik Gysis und der "Reformer" einerseits, des Lafontaine-Lagers andererseits vermessen. Beide bestimmen die eigene Position durch die Haltung zur SPD. Das ist ihre gemeinsame Einseitigkeit. Beide verurteilen den jetzigen Zustand der SPD und kehren zu einem früheren zurück. Aber während Lafontaine bis 1917 zurückkehrt, machen die "Reformer" bei der Godesberger Wende 1959 halt. Warum war Gysi nicht imstande, diese Differenz zu artikulieren? Wohl weil er glaubte, sich gegen den Vorwurf des "Sozialdemokratismus" wehren zu müssen, der ihm aus SED-Zeiten nur allzu vertraut sein muss. Das war verständlich, aber doch auch verunklarend. Denn die "Reformer" haben früher selbst ganz ausdrücklich proklamiert, sie wollten das von der SPD fahrlässig verlassene politische Terrain der sozialen Gerechtigkeit besetzen. Das gilt doch noch heute und ist aller Ehren wert. Man könnte es also zugeben und würde sich dann immer noch, ja vielleicht erst richtig streiten, redete aber nicht mehr aneinander vorbei. Erwähnen wir auch noch, dass Gysi 1990 versucht haben soll, die innere SED-Opposition, aus der die PDS entstand, vielmehr in die SPD zu überführen, was der jedoch damals nicht recht war. Und auch dieser Versuch war verständlich und ehrbar. Genauso wie Lafontaine später befand, zwei sozialistische Parteien nebeneinander, WASG und PDS, seien nicht gut, fand Gysi schon 1990, es sollten sich möglichst nicht zwei Parteien des demokratischen Sozialismus bekämpfen.

So verständlich es aber auch ist, ist es deshalb noch nicht gut. Zumindest eine Debatte ist fällig, ob wir heute immer noch gut beraten sind, den Diskurs "der Arbeiterbewegung" oder auch nur der Godesberger SPD wieder aufzunehmen und fortzuspinnen. Das, was einmal Arbeiterbewegung hieß, gibt es schließlich nicht mehr. Die Gewerkschaften allein machen sie nicht aus. Die Frage ist eben genau, ob man so mit Gewerkschaften zusammenarbeiten soll, dass man diese Interessenvertretung der Arbeitnehmer durch eine P a r t e i d e r A r b e i t überwölbt – dann hätte man im Erfolgsfall und alles zusammengenommen wieder eine "Arbeiterbewegung" -, oder ob die Überwölbung durch eine Partei, die e i n e n i c h t m e h r k a p i t a l i s t i s c h e G e s e l l s c h a f t anstrebt, nicht ein etwas anderes und viel besseres Projekt wäre. Der Unterschied liegt darin, dass im zweiten Fall die Arbeiterklasse nicht mehr als das einzige oder Hauptsubjekt der Gesellschaftsveränderung angesehen würde. Man fängt an, sich für ihn zu interessieren, wenn man begreift, dass "Kapitalismus" nicht nur "Ausbeutung von Arbeitern durch Kapitalisten" heißt, sondern auch und zuerst als Wachstums- und Profitstreben ins Unendliche zu definieren ist. Das bedeutet zum Beispiel, er hat heute nicht nur sozial, sondern auch ökologisch abgewirtschaftet.

Dagegen mit einer erneuerten Partei "der Arbeiterbewegung" zu kämpfen, ist das wirklich der beste sozialistische Weg? Und gar mit einer, die an den Anfang der Weimarer Republik zurückkehrt? In mancher Hinsicht, man muss es leider sagen, erinnert Lafontaine sogar an die KPD von 1930: indem er sich einer unerträglich aggressiven Sprache bedient, wenn er die SPD oder die Grünen angreift. In seiner Göttinger Rede machte er die SPD verächtlich, indem er Tucholsky zitierte und sie mit dem "angebundenen Haushund" verglich, der sich schämt, kein Wolf mehr zu sein: "Der Hund reißt an der Kette und kläfft. In seinem wütenden Gebell ist Hass, Furcht und ganz, ganz zuunterst Reue, Scham, Gewissensbisse und die längst unterdrückte Sehnsucht nach der Freiheit". So sollte man mit seinen Mitbürgern nicht reden. Man zieht sie ja dadurch nicht zu sich herüber, sondern macht sie zu Feinden.

Ich habe es oben zitiert: Lafontaine meint, wenn man in der Sache einig ist, geht man nicht auseinander, und niemand soll sich von seinen "Befindlichkeiten" lenken lassen. Wir sehen jetzt, wie verkehrt das ist. Es ist richtig im Büro, wo man sich vor dem Chef fürchtet und seine Befindlichkeit herunterwürgt. Es ist richtig in der Diktatur, aus dem gleichen Grund. Es ist falsch in der Demokratie. Wo jede(r) Einzelne über das Tun und Lassen frei entscheidet und sich daraus das politische oder sonstige Projekt erst summiert, geht alles in die Entscheidungsfindung ein, was Einzelne beschäftigt und ihnen nahe geht, darunter auch die Befindlichkeit. Alle Politiker wissen das und verhalten sich danach. Lafontaine hat in seiner Rede gesagt, man müsse sich den Bedingungen der Mediendemokratie gemäß verhalten. Dass er selbst sich in diesem Punkt über sie hinwegsetzt, tut seiner Sache nicht gut.

Fragend schreiten wir voran

Ich brauche nicht lang zu resümieren. Katja Kipping ist schon selbst zu dem Schluss gekommen, dass die Linkspartei eher ein Bündnis mit den Grünen als mit der SPD anstreben sollte. Bernd Riexinger ist schon sowieso ein Gewerkschafter, der die Arbeitnehmer als Teil einer umfassenderen sozialen Bewegung sieht. Sie werden beide wissen, dass sie einen Schritt über den bisherigen Diskurs der Linken hinaus tun müssen. Diese Partei wird nur kampffähig, wenn sie aufhört, noch weiter so zu tun, als gebe es noch eine Arbeiterbewegung, oder als sei es noch opportun, sich der SPD mehr verbunden zu fühlen als anderen Parteien, nur weil sie einst zu den Parteien der Arbeiterbewegung zählte. Mit einem Wort, die neue Parteiführung sollte über beide Diskurse hinaus sein, den Lafontaines und den der "Reformer", und es scheint auch, als sei sie es.

Wenn die gegenwärtige Harmonie aufhört und wieder Querschläge kommen, können diese angeprangert werden. Wenn es noch Leute geben sollte, die glauben, sie seien die eigentlichen Parteivorsitzenden und warteten nur die Situation ab, in der das allen verdeutlicht werden kann, so wird es ihnen künftig schwer fallen, ihr Kalkül zu verheimlichen. Solche Leute werden vielleicht zu dem Schluss kommen oder davon überzeugt werden können, dass sie andere Aufgaben haben, und das führt uns zur ersten Frage zurück: Wozu eigentlich eine Partei? Denn damit hängt die Frage zusammen, warum der Parteivorsitz wichtig ist. Die Linke ist eine "linkspluralistische" Partei, haben Kipping und Riexinger im FAZ-Interview gesagt. In einer solchen Partei müssen tatsächlich die führen, die den Laden zusammenhalten können, und nicht die, die eine besondere Sicht auf die gemeinsame Sache vertreten. Nicht die Flügel. Deren Exponenten sollen a u ß e r p a r t e i l i c h in Erscheinung treten. Wenn sie dort hegemoniale Wirkung entfalten können, ist es gut. Dazu sind sie da. Die Parteiführung muss derweil dem Zusammenhalt der Flügel organisieren, durch innerparteiliche Diskussion, ganz wie von Kipping und Riexinger angekündigt: "Fragend schreiten wir voran."

Sie haben damit begonnen, die Partei zu fragen, worüber diskutiert werden soll. Aber einige Hauptfragen liegen auf der Hand, wo man die Kontrahenten sofort zum runden Tisch bitten sollte. So die eben angeschnittene Frage, was man sich unter einer modernen sozialistischen Partei vorstellt. Dann die seit langem virulente Frage, wie man sich das Verhältnis von Staat und Markt in einer nachkapitalistischen Gesellschaft vorstellt. Hier geht es nicht nur um die "Commons", an denen sich alle Flügel gern erwärmen, sondern um die damit verbundene viel weniger angenehme Frage, welche Marktkonkurrenz man will und welche nicht. Und schließlich wäre die Frage nach dem Subjekt oder den Subjekten der Gesellschaftsveränderung zu erörtern. Wenn das innerparteilich diskutiert wird, während die Flügel außerparteilich über die Finanzmarktkrise reden, jeder so, wie es ihm gegeben ist, und danach auch handeln, dann ist alles im Lot.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur „Politik“ (Freier Mitarbeiter)

Michael Jäger studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. für poststrukturalistische Philosophie an der Universität Innsbruck inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

Michael Jäger