Totschlag verjährt, HiWi-Jobs nicht

Sachsen Wer während seiner Studienzeit an einer Universität Sachsens als studentische Hilfskraft gejobbt hatte, kann sich damit durchaus eine Karriere beim Freistaat verbauen.

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Wie alles begann Die Stelle

Vor einigen Monaten wurde ich auf eine Stellenausschreibung beim Sächsischen Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie (LfULG) aufmerksam gemacht. Es ging um die Betreuung eines Fachinformationssystems (FIS), u.a. zwecks Strahlen- und Immissionsschutzes. Die Stelle umfasste eine wöchentliche Arbeitszeit von 23 Stunden und war bis Ende Dezember 2017 befristet. Das LfULG selbst ist gleich hinterm dem Schloss Pillnitz und dem dazu gehörigen Park gelegen, in dem im Frühling seit 230 Jahren eine der ältesten Kamelien Europas blüht. Auf den ersten Blick erschien mir die Stelle zwar recht anspruchsvoll und themenbezogen viel Neuland, doch da ich mit früheren Versionen der entsprechenden GIS-Software einige Jahren zuvor schon diverse Projekte mitbearbeitet hatte, ließen sich die teilweise fehlenden fachlichen Qualifikationen sicher relativ schnell nachholen. Zudem war die Umgebung des Arbeitsplatzes sozusagen malerisch, die wöchentliche Arbeitszeit ganz meinen Wünschen entsprechend und ein Jobticket gab’s neben anderen „attraktiven Sozialleistungen des öffentlichen Dienstes“ auch. So weit, so gut.

Nur scheinbar unscheinbar Die Erklärung

Achja, das für die Geschichte wichtigste Detail sollte nicht unerwähnt bleiben, doch war es mir gerade – ebenso wie bei der Bewerbung – aufgrund seiner scheinbaren Nebensächlichkeit fast schon wieder entfallen. Die Stellenausschreibung enthielt eingangs folgenden Abschnitt:

»Da die Einstellung auf § 14 Abs. 2 Teilzeit- und Befristungsgesetz beruht, können Bewerberinnen und Bewerber, die in einem Arbeitsverhältnis zum Freistaat Sachsen stehen oder bereits gestanden haben, nicht berücksichtigt werden. Eine entsprechende Erklärung ist den Bewerbungsunterlagen beizufügen.«

Ich verfasste meine Bewerbung und fügte die geforderte Erklärung unterschrieben bei. Der Brief ging per Einschreiben in die Post und danach hieß es: Warten.

Postwendend Die Ablehnung

Das Warten dauerte nicht allzu lang, denn drei Tage nachdem ich die Bewerbung abgeschickt hatte, war sie wieder beim mir im Briefkasten: der Ablehnungsgrund korrelierte laut Antwortschreiben mit dem oben erwähntem Abschnitt, allerdings ohne konkreter zu werden.
Ich grübelte, was das bedeuten sollte. Lag es daran, dass ich Ende 2015 meine Promotion an der TU Dresden eingereicht hatte? Konnte unmöglich sein, denn ich hatte dabei keinerlei Stelle inne, sondern hatte die Dissertation anstellungslos und unentgeltlich, quasi als interessengeleitetes Hobby, beendet. Oder hatte es mit einer früheren Forschungsstelle an einem Dresdner Forschungsinstitut, dem IÖR, zu tun? Doch dieser Job als wissenschaftlicher Mitarbeiter lag schon einige Jahre zurück.

Ungeplanter Slapstick Das Telefonat

Ich rief umgehend beim LfULG an. Die betreffende Sachbearbeiterin meinte, dass ich für den Freistaat Sachsen gearbeitet hätte und damit meine Bewerbung nicht berücksichtigt werden könne. Ich war verdutzt. „Wann denn?“, fragte ich sie. „Als studentische Hilfskraft.“, entgegnete sie mir nach einiger Zeit des Bewerbungsaktendurchstöberns. „Das war von 1996 bis 1999?!“, daraufhin ich noch etwas verdutzter. Das würde dennoch zählen, meinte sie knapp, worauf ich die nächsten fünf Sekunden versuchte irgendeinen Satz zusammenbekommen, doch mehr als ein „Das ist jetzt nicht ihr Ernst, oder?“ brachte ich nicht zu Stande. „Wir haben 2016 und Sie nennen mir einen Job als studentische Hilfskraft, eine Arbeit, die neben dem Studium lief?“ Wieder suchte ich nach Worten und überbrückte die Stille mit der mehr oder minder sinnreichen Bemerkung: „Also, ich stottere zwar gelegentlich, doch jetzt bin ich wirklich sprachlos.“

Ich schwankte zwischen Heulen und laut Lachen und fand den Mittelweg des Kopfschüttelns mit überraschten Schmunzelgeräuschen. Nach einigen Sekunden gewann ich wieder einigermaßen die Fassung, bat die Bearbeiterin um Verständnis, da sie die Gesetze ja nicht gemacht hätte, wünschte ihr viel Erfolg und verabschiedete mich.

Perspektivenwechsel Noch ein Telefonat

Die für mich zuständige Sachbearbeiterin vom JobCenter Dresden, die mich auf diese Stelle aufmerksam gemacht hatte, empfahl mir, beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) anzurufen. Gesagt, getan. Unter der Nummer des Bürgertelefons verwies mich eine nette Mitarbeiterin auf ein Urteil des Bundesarbeitsgerichtes (Az.: 7 AZR 716/09) aus dem Jahr 2011, wonach die Frist drei Jahre betragen würde. Mit anderen Worten: wer drei Jahre nicht beim Freistaat Sachsen gearbeitet hat, kann sich wieder bewerben wie jede/r andere auch.

Dies schrieb ich der Sachbearbeiterin vom LfULG per e-Mail mit dem Hinweis, dass hier möglicherweise eine Fehlentscheidung vorgelegen haben könnte und ich dies gern prüfen lassen wöllte. Eine Antwort kam prompt und enthielt folgende Sätze:

»Das für die Umsetzung des Tarifrechtes im Freistaat Sachsen zuständige Ressort hat 2015 entschieden, dass bei zur befristeten Einstellung vorgesehenen Beschäftigten, welche bereits zuvor in einem Arbeitsverhältnis mit dem Freistaat Sachsen standen, nur noch eine Befristung mit Sachgrund i.S.d. § 14 Abs. 1 Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) vorzunehmen ist und von dem Urteil des BAG vom 06.04.2011 (AZ: 7 AZR 716/09) sowie entsprechenden Entscheidungen kein Gebrauch mehr gemacht wird.
Da es sich bei der Stellenausschreibung 25/2016 um eine sachgrundlose Befristung nach § 14 Abs. 2 TzBfG handelt, kann Ihre Bewerbung leider nicht berücksichtigt werden.«

Plötzlich waren da – wie bei „Otto, der Film“ – meine drei Probleme klar herauskristallisiert: Nichtwissen, Nichtverständnis, Nichtsmachenkönnen.

Sinnfrei sinnvoll? Die Klage

Eigentlich wollte ich die Sache abhaken – zu viel Aufwand für nix und wieder nix. Doch auch nach einer Woche war ich gedanklich noch stärker damit beschäftigt, als mir lieb war. Nicht nur, dass ich mich veralbert fühlte und zudem im Grunde eine Erklärung unterschrieben hatte, die ich gar nicht hätte unterschreiben dürfen, sondern es betraf ja vermutlich noch einige andere (Ex-)StudentInnen im schönen Freistaat. Mitte März ging ich also zum Arbeitsgericht Dresden und reichte eine Klage ein. Der Prozess gestaltete sich etwas schwieriger als gedacht, da ja noch nicht einmal feststand, wogegen bzw. wofür ich eigentlich klagen wollte und sollte. Mir ging es lediglich darum, als Bewerber zugelassen zu werden, auch wenn mir vorher klar war, dass selbst bei einer erfolgreichen Klage es keinerlei Chancen für mich geben würde, auch nur ansatzweise in die engere Wahl der Bewerber zu kommen. Welcher Arbeitgeber stellt schon jemanden ein, der noch vor Antritt einer Stelle gegen ihn geklagt hatte?

Zudem sollte die Stelle – kein Aprilscherz – am 1. April beginnen und ehe gerichtlich da irgendetwas entschieden werden würde, wäre die Stelle ohnehin besetzt. Dennoch entschloss ich mich, die Klage einzureichen. Vermutlich aus Neugierde darüber, was passieren würde.

Kurz & knapp Der Gerichtstermin

Der Gerichtstermin war für Anfang April anberaumt und für den Freistaat Sachsen erschien ein Vertreter des Finanzministeriums. Ich war einigermaßen verblüfft, weil ich einen Vertreter irgendeines anderen Ministeriums – Arbeit, Umwelt (?) – erwartet hatte.

Der Richter fragte mich, was ich denn erreichen wöllte und ob es mir um persönliche Genugtuung gehen würde. Ich war wieder verblüfft, da für mich selbst sonnenklar war, worum es ging – Chancengleichheit als Bewerber. Doch die Frage hatte offenbar einen anderen Zweck, der sich mir erst hinterher erschloss.

Um den ohnehin recht kurzen Termin nochmals abzukürzen: der Vertreter des Finanzministeriums war einer der wortkargsten Menschen, die mir je vor Gericht begegnet waren und nicht einmal eine Begründung, weshalb ein Job als studentische Hilfskraft überhaupt für die Ablehnung meiner Bewerbung relevant war, war aus ihm herauszuholen. Einzige Aussage: man hätte sich 2015 nach langen internen Gesprächen dazu entschlossen, es in Sachsen anders zu handhaben als von Bundesarbeitsgericht 2011 beschlossen.

Auf die Frage des Richters, ob in meinem Fall eine geringfügige Entschädigung in Frage käme, verwies der Vertreter darauf, dass er das in seinem Ministerium nicht durchbekommen würde. Die Situation wäre eben „etwas unglücklich“.

Der Richter empfahl mir, für den Fall, dass ich die Klage aufrecht erhalten wöllte, rechtliche Hilfe hinzuzuziehen, sprich: (vermutlich) einen Anwalt zu nehmen. Ansonsten hätte ich 14 Tage Zeit, um die Klage gegebenenfalls wieder zurückzuziehen. Nach knapp 15 Minuten war der Termin beendet.

Einknicken oder Abwägen aus Vernunft? Der Rückzug

Nach einer Woche beschloss ich die Klage zurückzunehmen, obwohl es sich innerlich wie eine Niederlage anfühlte, weil die ganze Sache so absurd erschien. Erreicht hatte ich nichts, außer der Erfahrung, dass es Dinge gibt, die ich nicht verstehe.

Wenigstens die Erklärung, weshalb diese sachgrundlose Befristung überhaupt existierte, wurde mir in einem anderen Zusammenhang von einer Richterin gegeben. Wenn mich der Freistaat Sachsen eingestellt hätte, dann müsste er mich nach Ablauf der Befristung unbefristet übernehmen.

Ich schloss daraus, dass aus primär finanziellen Gründen diese Möglichkeit von vornherein ausgeschlossen werden sollte, indem man die „gefährlichen“ Bewerber gar nicht erst bei der Bewerbung berücksichtigen würde. Auf eine Erklärung, weshalb dies auch Jobs als studentische Hilfskraft vor Abschluss eines akademischen Grades betrifft, warte bzw. suche ich heute noch.

Kurioserweise stellte ich einige Wochen später fest, dass dieselbe Verfahrensweise offenbar auch bei Jobs im JobCenter angewandt wird. Auch dort findet man in einigen Stellenausschreibungen den Hinweis: Es darf keine Vorbeschäftigung bei der BA bestehen, da eine sachgrundlose Einstellung nach § 14 Abs. 2 TzBfG geplant ist.

Was tun?

In einigen Gesprächen mit Freunden, denen ich diese Geschichte als „Anekdote aus meinem Arbeitsleben“ erzählte, ergab sich, dass der einzig sinnvolle Weg gegen diese Handhabung ein Klagen auf Entschädigung ist. Mit anderen Worten: das System mit seinen eigenen Waffen zu schlagen. Wer Geld sparen will, soll es halt an anderer Stelle zahlen.

Mir erschien diese Strategie zwar nachvollziehbar, doch entsprach sie nicht meinem Ziel. Auf finanzielle Entschädigung zu klagen, war mir einerseits schlichtweg zu profan. Doch einen anderen Weg gibt es – nach meinem jetzigen Wissensstand – nicht. Andererseits erschien mir auch ein Weiterführen der Klage, unabhängig davon, dass ich ggf. einen Rechtsanwalt hätte einschalten müssen, bauchgefühlsmäßig genauso wenig sinnvoll. Weshalb mich mein Bauchgefühl nicht täuschte, ergab sich auch erst in einem Gespräch mit einem Freund. Für den Fall, dass ich erfolgreich eine Entschädigung eingeklagt hätte, wäre diese vermutlich nahezu 1:1 wieder zurück zum Staat geflossen, weil ich ALG II beziehe. Eine Schlacht gewonnen, den Krieg verloren?!

Eine weitere Möglichkeit bestünde freilich darin, derartige Studentenjobs nicht im Lebenslauf zu erwähnen, was jedoch riskant ist, da man eine Erklärung besseren Wissens unterschreibt, ohne dass das Unterschriebene zutrifft. Mein Fall wäre wohl richtig kafkaesk geworden, wenn nun der Freistaat Sachsen wegen Vorspiegelung falscher Tatsachen juristisch gegen mich vorgegangen wäre. Doch so dumm sind die Beamten nicht, denn aus meiner Sicht bevorzugt man da eher wenig Aufsehen.

Was könnte noch dahinter stehen? (m)eine Vermutung

Ich habe häufiger überlegt, wie viele Tausend andere (Ex-)StudentInnen in Sachsen vor demselben Problem standen oder stehen wie ich. Was hat der Freistaat Sachsen selbst davon, wenn er sich um die Mitarbeit von hoch ausgebildeten Fachkräften, zumal im eigenen Ländle ausgebildete, bringt? Auf diesen Einwurf ging der Vertreter des Finanzministeriums im Übrigen nicht ein.

Zudem, welche Rückkopplung hat das auf studentische Hilfskräfte bzw. die Universitäten? Müssten die nicht jedem Interessenten von vornherein drauf hinweisen, dass er oder sie sich damit durchaus einen späteren Karriereweg verbauen könnte? Oder will der Freistaat Sachsen gar indirekt alle Stellen für studentische Hilfskräfte abbauen?

Seit Jahren wird über Themen wie Braindrain und Fachkräftemangel philosophiert, wenngleich vielleicht in anderen Branchen, doch das Problem scheint – wie viele andere vermutlich auch – hausgemacht. Ebenso versucht sich Sachsen und speziell die Landeshauptstadt Dresden seit Jahrzehnten als renommierter Wissenschaftsstandort zu etablieren. 2006 wurde Dresden zur Stadt der Wissenschaft ernannt. Seit 2012 gehört die hiesige TU zum Kreis der elf deutschen Exzellenz-Universitäten. Was allerdings nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass parallel dazu Dutzende Studiengänge abgeschafft wurden, so u.a. 2013 mit der Kartographie auch mein ehemals eigener. In Sachsen insgesamt waren es 57 Studiengänge. Einige aus meinem Bekanntenkreis munkelten bereits, dass es sich bei der gesamten Exzellenz-Story lediglich um eine Konzentrierung auf wenige finanzstarke Studienrichtungen handelt, nicht zuletzt auf Kosten anderer, scheinbar unrentabler Zweige. Und wie auch in meinem Fall sitzt vermutlich das Sächsische Finanzministerium am längsten Hebel. Der sächsische Landtag hatte zudem im Juli 2013 eine Schuldenbremse ab 2014 beschlossen und das Desaster um die Landesbank Sachsen schlägt auch jedes Jahr noch mit Millionenbeträgen im dreistelligen Bereich zu Buche. Wie einem Online-Artikel aus dem Handelblatt zu entnehmen ist, musste Sachsen bereits rund 1,4 Milliarden Euro zahlen.

Last but not least

Einen kleinen, wenngleich stillen, Sieg konnte ich letztlich doch erringen. Bei dem oben erwähnten Gerichtstermin musste der Vertreter vom Sächsischen Finanzministerium zumindest einräumen, dass die Stelle auch eine Woche nach dem eigentlichen Arbeitsbeginn noch nicht besetzt werden konnte. Daran musste ich wohl denken, als er mir ein paar Minuten später auf dem Nachhauseweg auf der gegenüberliegenden Straßenseite, scheinbar bewusst konzentriert kaffeetrinkend, entgegenlief und ich ihn lächelnd anschaute, um ihm ein „Auf Wiedersehen“ über die Straße zu wünschen. Doch auch nach fünf Sekunden Zu-ihm-Schauen blickte er nicht in meine Richtung, sondern fast schon gequält geradeaus. Ich glaube dennoch, er hatte mich verstanden.

Im Nachgang:
Das Thema
sachgrundlose Befristung fand ich einige Wochen später im Mai 2016 auch in dem medial recht bekannt gewordenen Gespräch zwischen dem Vorsitzenden der SPD, Sigmar Gabriel, und dem SPD-Mitglied, Susanne Neumann, ihres Zeichens Putzfrau, wieder.

Eingebetteter Medieninhalt

Der Artikel hatte ursprünglich den Titel »Totschlag verjährt nach 20 Jahren, HiWi-Jobs in Sachsen nicht«. Er wurde jedoch gekürzt, da die Überschrift auf 45 Zeichen beschränkt ist.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Michael Winkler, Dresden

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