Eine "drohende Gefahr"?

Bayern Die obskure Vision der CSU vom Rechtsstaat

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Bayern, das Eldorado von „Recht und Ordnung“
Bayern, das Eldorado von „Recht und Ordnung“

Bild: Wikimedia

In Bayern war der „Rechtsstaat“ in Gefahr. Allerdings konnte durch den beherzten Zugriff der Sicherheitskräfte in letzter Minute ein rätselhafter Schülerschwund rücksichtslos aufgeklärt werden. Auf frischer Tat ertappt wurden 21 Familien bei dem Versuch, vor Beginn der Pfingstferien das Land in Begleitung ihrer schulpflichtigen Kinder auf dem Luftweg zu verlassen. Die Täter sind geständig. Sie wird die „volle Härte des Gesetzes“ treffen.

Recht so. Niemand darf ungestraft den bundesrepublikanischen „Rechtsstaat“ unterhöhlen. Wo kämen wir denn hin, wenn wir es zuließen, dass sich jeder nach Gutdünken über „Recht und Ordnung“ hinwegsetzen darf? Wäre das nicht die pure Anarchie? Und die „Allgemeine Schulpflicht“ gilt nun mal auch in Bayern und ist im „Bayerischen Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen“ geregelt. Und wer sich über Gesetze hinwegsetzt, macht sich nun mal strafbar. Vielleicht.

Denn vielleicht existiert ja ein geheimes Mia-san-mia-Sonderrecht, das es bayerischen Ministerien erlaubt, sich zur Abwendung einer „drohenden Gefahr“ z.B. über den Artikel 35 BayEUG hinwegzusetzen.

Diese „drohende Gefahr“ könnte gegeben sein, wenn zuhauf Flüchtlinge, die sich in der Absicht in Bayern aufhalten, ihren Nachkommen ein ungefährdetes „Leben in Frieden und Freiheit“ zu ermöglichen, darauf beharrten, dass ihren Kindern der Besuch einer regulären bayerischen Schule zustünde.

Zwar steht in o.g. Gesetz unzweideutig, dass auch Kinder von Flüchtlingen schulpflichtig seien, die „die altersmäßigen Voraussetzungen“ erfüllen, „eine Aufenthaltsgestattung nach dem Asylgesetz“ oder eine „Duldung nach § 60a AufenthG“ besitzen oder „vollziehbar ausreisepflichtig“ seien, „auch wenn eine Abschiebungsandrohung noch nicht oder nicht mehr vollziehbar ist“.

Aber wo kämen wir denn hin, wenn wir es zuließen, dass diese, schon unsere Sozialsysteme ausbeutenden Kinder sich nun auch noch an bayerischer Bildung bereicherten? Bei aller christlichen Nächstenliebe, da muss man doch nun wirklich mal die Kirche im Dorf lassen.

Also verweigerte das bayerische Kultusministerium sechs Flüchtlingskindern aus dem Transitzentrum Manching den Besuch einer Sprengelschule in Ingolstadt.

Prompt wurde natürlich die „aggressive Anti-Abschiebe-Industrie“ tätig, die ja bekanntlich „bewusst die Bemühungen des Rechtsstaates sabotiert“. Erfolgreich, denn das angerufene Verwaltungsgericht bestätigte selbstverständlich den "Anspruch auf Teilnahme am regulären Schulunterricht".

Aber so leicht lässt sich der bayerische „Rechtsstaat“ nicht in die Knie zwingen. Als die Kinder endlich ihren Schulbesuch antreten wollten, ließ der Schulleiter trotz vorliegendem Gerichtsbeschluss auf Anweisung seines Ministeriums die Kinder nicht zum Unterricht zu und schickte sie fort.

Erst auf sich erhöhenden Druck aus der Öffentlichkeit ließ man dann Recht vor Gnade walten und gestattete den Kindern, am regulären Unterricht teilzunehmen. Bayern war halt schon immer das Eldorado von „Recht und Ordnung“.

Bigotterie, Engherzigkeit und Geiz zeichnen das Verhalten des bayrischen Kultusministeriums aus. Sind dies die „deutschen Werte“, die die CSU gemeinsam mit der anderen „christlichen“ Union im deutschlandweiten „Wert-Kunde-Unterricht“ für Flüchtlingskinder als „Leitkultur“ etablieren möchte?

Oder soll mit dieser Verfahrensweise, schon den Kindern eingebläut werden, dass sie sich in diesem Land selbstverständlich gefälligst an „Recht und Gesetz“ zu halten haben, Deutschlands demokratisch legitimierten Institutionen aber keineswegs?

Es scheint genau diese Auffassung zu sein - denn wie sonst kann man auf einen derartig abstrusen Gedanken kommen - die den Herrn Dobrindt dazu verleitete, zu behaupten, „Abschiebe-Saboteure“ nutzten „ die Mittel des Rechtsstaates, um ihn durch eine bewusst herbeigeführte Überlastung von innen heraus zu bekämpfen“?

Oder muss man sich jetzt auch noch um die Qualität des an bayrischen Schulen gelehrten Fachs „Staatsbürgerkunde“ Sorgen machen? Der Mann hat doch Abitur. Aber vielleicht wollte er ja auch nur mal mit den großen Jungs spielen und den unübertroffenen Meistern der Radau-Politik Seehofer und Söder wenigstens einmal das Wasser reichen.

Nach einem Rechtsstaatsverständnis, das mit der bundesrepublikanischen Verfassung vereinbar ist, klingt es allerdings in keinem Fall.

Andererseits geriert man sich geradezu verfassungspatriotisch, wenn es der eigenen Strategie dient. So beschließt man in vorgetäuschtem Gehorsam gegenüber dem Bundesverfassungsgericht musterschülerhaft ein „Gesetz zur Neuordnung des bayerischen Polizeirechts“, das vorgeblich als „Anpassung an die verfassungsrechtlichen Maßgaben des BKAG-Urteils“ vom 20. April 2016 notwendig wurde.

Zwar bezieht sich dieses BVerfG-Urteil explizit auf Situationen „zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus“ und setzt voraus, „dass eine Gefährdung...hinreichend konkret absehbar ist“. Auch macht die Urteilsbegründung deutlich, dass sich die gestatteten Maßnahmen sich nur „unter eingeschränkten Bedingungen auf nicht verantwortliche Dritte... erstrecken“ dürfen, aber die CSU fingert sich aus diesem ausschließlich auf das BKA gemünzten Urteil ein Polizei-Ermächtigungs-Gesetz zurecht, das bei „drohender Gefahr“ den Ordnungshütern nahezu alles gegenüber jedermann und jederfrau gestattet. Möglicherweise absichtsvoll ist die „Gefahrenkategorie der drohenden Gefahr für bedeutende Rechtsgüter“ überhaupt nicht definiert, so dass davon auszugehen ist, dass diese nach Gutdünken jederzeit und überall vorausgesetzt werden dürfte.

Dass es in Nordrhein-Westfalen und in Baden-Württemberg Erwägungen gibt, ähnliche Gesetze auf den Weg zu bringen, Bremen die flächendeckende Videoüberwachung plant und zu befürchten ist, dass sich weitere Nicht-CDU-regierte Bundesländer in vorauseilendem Rechts-Populismus anschließen werden, zeigt die Strahlkraft bayerischer Kraftmeierei und ist durchaus beunruhigend.

Dass dieses Gesetz vom BVerfG zurückgewiesen wird, ist sehr wahrscheinlich, aber beim gegenwärtigen Stimmverhältnis im 1. Senat durchaus nicht sicher.

Auch das in Bayern geplante sogenannte „Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz“ beurteilen renommierte Staatsrechtler durchaus mit Skepsis. Sie kritisieren, dass "die Grundrechte psychisch kranker Bürger zur Disposition" gestellt werden und diese Menschen "künftig behandelt“ würden „wie verurteilte geisteskranke Verbrecher". Auch bei diesem Gesetz bleibt abzuwarten, wie das Verfassungsgericht ggf. entscheidet.

Mit Hundertschaften in die Schlacht zu ziehen, um einen Mann nach Italien abzuschieben, Eltern von schulpflichtigen Kindern nachzuschnüffeln, Flüchtlingen gesetzeswidrig ihr gutes Recht zu versagen, Gesetze auszutüfteln, die die Grundrechte nahezu aller Bürger beschneiden, das ist aggressives Agieren mit geballter Faust, wo Fingerspitzengefühl gefragt wäre.

All dies geschieht nicht rein zufällig am Ende der bayerischen Legislaturperiode. Mitdenken darf und muss man die Strategie, die sich hinter dieser Taktik verbirgt. Es geschieht vor allem, um die eigene Macht und die eigenen Pfründe in der kommenden Landtagswahl zu sichern.

Dieses Kalkül ist zutiefst verlogen, unanständig und unchristlich. Es verdient unsere tief empfundene Verachtung und sollte beim nächsten Kirchenbesuch der Verantwortlichen von Rechts und links wegen ausgiebig vom Pfarrer gegeißelt werden.

Sehr wahrscheinlich wird dies nicht geschehen. Aber man soll seinen Traum vom „Rechtsstaat“ und die Hoffnung darauf, eine „drohende Gefahr“ für diesen noch rechtzeitig abwenden zu können, ja nicht aufgeben.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden