Versorgt, solide und allein

Freundschaft Mit Mitte 20 hat man die meisten sozialen Kontakte. Dann macht das Leben Ernst
Ausgabe 21/2016
Nicht nur als Serie lustig und wohltuend: Friends
Nicht nur als Serie lustig und wohltuend: Friends

Foto: Hulton Archive/Getty Images

Letztens hatte ich zum dritten Mal Freundschaftskummer. Beim ersten Mal war ich in der sechsten Klasse, meine beste Freundin hatte auf einmal eine neue beste Freundin und ließ mich links liegen. Das zweite Mal hatte ich gerade das Abitur bestanden, als mein bester Freund unsere lang geplante Osteuropareise absagte. Seine Liebste wollte nicht so lange von ihm getrennt sein, und er ebenso wenig von ihr. Ich fühlte mich verraten und zog allein los. Meinem dritten Freundschaftskummer ging eine wunderbare Beziehung voraus. Im Studium hatten wir uns kennengelernt, fünf Menschen, alle hungrig auf dieses neue Leben, den Abenteuern entgegenfiebernd, die wir uns in der Schulzeit ausgemalt hatten.

Die späten Teenagerjahre und die frühen 20er sind die Zeit, in der Menschen die meisten sozialen Kontakte haben, zumindest gemessen daran, wie viele Leute sie pro Monat anrufen. Das ist das Ergebnis einer Studie, die neulich in der Fachzeitschrift Royal Society Open Science veröffentlicht wurde. Die Wissenschaftler bezeichnen diese Periode als Zeit der sozialen Promiskuität. Ein sperriger Begriff für eine Lebensphase, in der viele enge Freundschaften entstehen und alles geteilt wird: Wohnungen, Träume, Tränen und vor allem das Gefühl, die Welt steht offen.

Dass Freundschaften wichtig sind, bestätigt auch eine kanadische Studie mit knapp 25.000 Befragten, die 2012 in der Zeitschrift Social Indicators Research veröffentlicht wurde. Freundschaften führten zu höherem Sozialvertrauen, weniger Stress und besserer Gesundheit. Wer einen großen Freundeskreis mit intensiven Kontakten hat, fühlt sich also besser und ist glücklicher. Trotzdem scheinen Freundschaften an einem gewissen Punkt im Leben an Bedeutung zu verlieren. Haben Menschen die Grenze von 25 Jahren überschritten, nimmt die Anzahl ihrer Sozialkontakte stetig ab. Mit 40 sind es laut der Studie durchschnittlich nur noch 14 Kontakte, mit 50 zwölf, mit 80 schließlich acht.

Mit Mitte, Ende 20 beginnen Menschen ihre Karriere, gehen feste Liebesbeziehungen ein, bekommen Nachwuchs. Wenn Menschen Verantwortung übernehmen müssen, für sich selbst, Partner oder Kinder, scheint es weniger Kapazität für Freundschaften zu geben – was hinterher viele bedauern. Die australische Autorin Bronnie Ware, die als Krankenschwester auf einer Palliativstation arbeitete, protokollierte in ihrem 2012 erschienenen Buch Fünf Dinge, die Sterbende am meisten bereuen die Lebensbilanzen von todkranken Menschen. Ein Punkt bezieht sich dabei auf die Freundschaft: „Ich wünschte, ich wäre mit meinen Freunden in Kontakt geblieben“.

Auch meine Studienfreundschaften haben sich irgendwann verändert. Auf einmal fingen alle an, vom Ernst des Lebens zu sprechen, von Verantwortung, Partnerschaft, Sesshaftigkeit. Nach und nach zogen jene, mit denen ich gerade noch die Nächte durchtanzt hatte, mit ihren Partnerinnen und Partnern zusammen. Die ersten Kinder bahnten sich an, Verlobungsringe wurden über die Finger gezogen, die ersten Stufen der sogenannten Karriereleiter genommen. Mir ging das zu schnell mit dem Erwachsenwerden. Und da war er dann wieder, der Freundschaftskummer. Zum Glück habe ich aus den ersten beiden Malen gelernt. Irgendwann geht er vorbei, dann kommen neue Freundschaften, und alte kommen vielleicht sogar wieder. Spätestens dann, wenn die Kinder aus dem Haus sind.

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