Rechte Mütter machen mobil gegen Queers und Transgender
Patriarchale Weiblichkeit In den USA stehen erzkonservative Mütter hinter dem „Don’t say Gay“-Gesetz. Giorgia Meloni, Dorothee Bär und Sahra Wagenknecht zeigen: Auch in Europa und Deutschland bilden konservative Frauen die Vorhut queerfeindlicher Politik
Schwingen den Säbel: Ron de Santis, Gouverneur von Florida mit einem Geschenk der „Moms of Liberty“
Foto: Imago / USA TODAY Network
Das passt in unsere Vorstellung, oder? Das „Don’t say Gay“-Gesetz in Florida wurde von Ron DeSantis durchgesetzt, dem republikanischen Gouverneur. Ein toxischer heterosexueller Mann bringt ein Gesetz durch, das Gespräche „über Sexualität“ im Kindergarten bis zur dritten Grundschulklasse verbietet – und derzeit faktisch jede Sichtbarkeit von queerem Leben in Bildungsinstitutionen abschafft. Bloß wurde das Gesetz maßgeblich von einer ganz anderen Gruppe erarbeitet: den „Moms for Liberty“. Bei meiner Recherchereise habe ich herausgefunden, wie sehr eigentlich sie das politische Sagen in Florida haben: erzkonservative, queerfeindliche Mütter.
Groß geworden sind „Moms for Liberty“ gar nicht durch queer
ich sie das politische Sagen in Florida haben: erzkonservative, queerfeindliche Mütter.Groß geworden sind „Moms for Liberty“ gar nicht durch queerfeindliche Politik, sondern im Protest gegen Schulschließungen und Maskenpflicht im Zuge der Corona-Pandemie. Heute zählen die „Moms for Liberty“ mehr als 110.000 Mitglieder in 43 Bundesstaaten. Die Mütter engagieren sich vor allem in Schoolboards. Das sind gewählte Gremien, die auf lokaler Ebene über die Umsetzung der Schulpolitik, die Lehrmaterialien und die Gestaltung des Unterrichts mitentscheiden.Die Pandemie ist vorbei, und heute sagen die konservativen Mütter „dem Wokismus“ (ein ursprünglich progressiver Begriff, der von Rechten gekapert wurde) den Kampf an. In unzähligen Videomitschnitten der Meetings kann man sehen, wie Frauen trans Menschen angreifen und alle, die nicht in der Konstellation „Vater, Mutter, Kind“ leben. Und das mit dem effektivsten aller Argumente: dem Schutz von Kindern. Nicht umsonst heißt das „Don’t say Gay“-Gesetz offiziell: Parental Rights in Education Act.Für die freiheitsliebenden Mütter steht das, was sie unter „Elternrechten“ verstehen, gottgegeben vor allen anderen erdenklichen Kriterien im gesellschaftlichen Zusammenleben. Übersetzt heißt das: Eltern dürfen mit ihren Kinder machen, was sie wollen. Was vor allem queere Jugendliche trifft, wenn sie das Pech haben, entsprechende Eltern abzubekommen.„Mütter sind überall mächtig“, erklärte mir Tina Descovich, die Co-Gründerin von „Moms for Liberty“, im Interview. Schnell wird klar, welches Selbstverständnis diese Bewegung erzkonservativer Mütter antreibt: „Wir sind diejenigen, die Wiegen schaukeln und die Kinder großziehen. Wir waren schon immer mächtig. Zu viel ist in der Öffentlichkeit passiert, was Mütter verärgert hat, und sie nehmen nun einfach ihre Macht, die sie schon immer hatten, und setzen sie in der Öffentlichkeit ein.“Der Vorwand rechter Mütter? KinderschutzSo geschah es auch in Florida. Den ersten Entwurf des sogenannten „Don’t say Gay“-Gesetzes haben praktisch „Moms for Liberty“ verfasst, mit Tausenden Müttern im ganzen Bundesstaat, in Zusammenarbeit mit republikanischen PolitikerInnen, christlichen Fundamentalistinnen und erzkonservativen Lobby-Gruppen haben sie für das Gesetz bei Demonstrationen geworben, öffentliche Sitzungen in Schulbehörden vereinnahmt und ihre Haltung mit Petitionen an die Regierung von Ron DeSantis weitergereicht. Auch ein gesetzlich verankertes Sprechverbot über Rassismus an Schulen geht maßgeblich auf das Konto der Mütter für die Freiheit.In Florida sind „Moms for Liberty“ und Ron DeSantis eine Partnerschaft eingegangen: Er unterstützt sie bei ihrem konservativen Kampf gegen Queers unter dem Vorwand des Kinderschutzes, sie versuchen, ihm mit ihrem enormen Mobilisierungspotenzial zur Präsidentschaft in den USA zu verhelfen. „Niemand könne Müttern Nein sagen“, erklärte mir Tina Descovich im Interview. Und so wundert es nicht, dass Ron DeSantis den ersten Abend seiner neuen Amtszeit in Florida im Dezember 2022 exklusiv mit den „Moms for Liberty“ bei einem privaten Galadinner verbracht hat.Dabei stellt sich die Frage, ob die Mütter am Tisch von einem der mächtigsten Männer in den USA Platz genommen haben oder es doch andersherum ist. Die machtvolle Position von erzkonservativen Müttern ist nicht neu, sie zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte des Autoritarismus und gipfelte beispielsweise nach 1933 in einem aufgeladenen Mutterbild im Nationalsozialismus.Diese Ideologie betonte die Rolle der Mütter zum Erhalt des Volkskörpers und baute sie fest in die Staatspropaganda ein: „Ehrenkreuze der deutschen Mutter“ wurden an jene Frauen vergeben, die das ideale Bild der arischen Kleinfamilie verkörperten, Kinder zeugten und sie zu Deutschen erzogen. Hitler selbst rief die Mutterschaft als „Schlachtfeld der Frau“ aus.Die „Volksmutter“ im NationalsozialismusSchon Ende 1931 erließ Heinrich Himmler den sogenannten Verlobungs- und Heiratsbefehl für die Produktion „rassisch wertvoller“ SS-Männer. Dafür brauchte es ideologisch überzeugte, gesunde, heterosexuelle Frauen im gebärfähigen Alter. Die Mutter war und ist für viele autoritäre Regime eine wesentliche Stütze – sie wird dabei aber nicht nur instrumentalisiert. Sie gestaltet oft genug aktiv mit. Konservative Politik in Europa und Nordamerika knüpft bis heute an die Ideologie der „Volksmutter“ an, die schon per definitionem queerfeindlich und patriarchal angelegt ist.In Italien etwa wird die faschistisch verwurzelte Regierung von Giorgia Meloni angeführt, Vorsitzende der rechtsextremen Partei „Fratelli d’Italia“. Im Wahlkampf lag Meloni italienischen Wähler*innen mit einigen Sätzen ständig in den Ohren: „Ich bin Giorgia! Ich bin eine Frau! Ich bin eine Mutter! Ich bin Christin!“ Wie ein Mantra baute Meloni in ihren Reden ihre eigene Mutterrolle ein – aus ihrer Sicht die beste Versicherung, dass sie das Abendland vor Überfremdung und einer „Verschwulung“ schützen kann. Mit mütterlicher Fürsorge und Liebe und Vehemenz und Zielstrebigkeit und Kompromisslosigkeit. Die Mutter als Schutzschild für das gute alte Leben, das Erzkonservative bewahren und der Faschismus mit Gewalt zurückholen möchte.Was Giorgia Meloni mit den „Moms for Liberty“ zu tun hat? Anfang 2022 sprach die heutige Ministerpräsidentin in Florida bei der Conservative Political Action Conference. Am Redner*innenpult stellte sie die traditionelle Familie ins Zentrum: In der Schlacht um konservative Werte wolle Meloni die Kinder schützen – und sie betonte, dass man mit dieser Haltung Wahlen gewinnen könne. Damals bekam sie im Saal tosenden Applaus von den Repräsentanten der wichtigsten erzkonservativen bis rechtsextremen Gruppen in den USA. Sie sollte recht behalten. Mamma Meloni feierte in Italien einen fulminanten Wahlsieg und steht in Umfragen weiterhin brillant dar. Von diesem Erfolg wollen rechtsextreme Kräfte in anderen Ländern lernen.Die Unterstützung queerer Menschen sinktAuch in Deutschland hat sich längst eine Front gegen jegliche Sichtbarkeit und gegen die bloße Existenz von queerem Leben formiert. Ein konkreter Anlass dafür ist ein Gesetzesentwurf der Bundesregierung, der die Änderung des Geschlechtseintrages für trans Personen vereinfachen soll. Durch die neue Regelung sollen trans Personen die gleichen Rechte erhalten wie cis Personen: Ihre Geschlechtsidentität soll staatlich anerkannt werden, ohne dass Psychologinnen sie von außen bestätigen müssen.Die AfD macht gegen dieses Gesetzesvorhaben mobil. Mit welchem Argument? Dem Schutz der Familie. Beatrix von Storch, Björn Höcke und andere AfD-Politiker*innen sprechen von der „biologisch normalen Familie“ und der fürsorglichen Mutter, die es im „Vaterland“ zu schützen gilt. Diese Argumentation ist in den USA gut erprobt – und offenbar leider erfolgreich.Eine internationale Studie des Meinungsforschungsinstituts Ipsos vom Juni 2023 zeigt, dass die Queerfeindlichkeit in Deutschland wie in den USA steigt und größer ist als in den meisten anderen Ländern. Die Meinung, dass trans Menschen im eigenen Land noch immer stark diskriminiert werden, findet bei den Deutschen mit 47 Prozent Zustimmung keine Mehrheit. Ein Drittel der deutschen Befragten sprach sich nicht dafür aus, dass trans Personen vor Diskriminierung geschützt werden sollten. Damit liegt Deutschland deutlich über dem globalen Durchschnitt von 24 Prozent. In den USA und Großbritannien sinkt die Zustimmung zum Schutz queerer Menschen ähnlich stark.Dabei ist es keineswegs nur die extreme Rechte, die gegen queere Menschen mobil macht: Der „Kulturkampf“ wurde auch von CDU und CSU ausgerufen.Im Mai 2023 starteten CSU und Freie Wähler in Bayern eine Kampagne gegen eine Drag-Vorlesestunde für Kinder in München und sprachen dabei von „Kindeswohlgefährdung“. Auch diese Methode ist eins zu eins importiert aus den USA. Sie wirkte in Bayern allerdings besonders absurd, weil der lauteste Kritiker, Bayerns Ministerpräsident Markus Söder, während des Karnevals selbst regelmäßig als Crossdresser auftritt. Auf sozialen Medien machten Bilder von ihm die Runde, wie er als hypersexualisierte Marilyn Monroe Luftküsschen verteilt.Die Internationale der erzkonservativen Mütter stehtVor wenigen Wochen machte sich dann eine CSU-Delegation zum Besuch nach Florida auf. Auf einem Bild aus dieser Reise steht Ron DeSantis zwischen Andreas Scheuer und Dorothee Bär. Beide CSUler sind ausgesprochene Fans des floridianischen Identitätskonservatismus. Wenig später kritisiert Dorothee Bär in einem Gastbeitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung das geplante Selbstbestimmungsgesetz: „Statt Familienpolitik an vermeintlich neue Realitäten anzupassen, schaffen die Koalitionsparteien neue Realitäten für Familien, ideologisch geprägt durch Partikularinteressen der queeren Ränder neuer Lebensentwürfe und fernab jeglicher Mitte. Unter dem ‚Leitmotiv der Entbiologisierung der engagierten Zivilgesellschaft‘ beobachten wir eine Dekonstruktion von Identität und Familie.“Frauen, die erzkonservative Identitätspolitik vorantreiben: Sie sind auch in der Mitte der Gesellschaft zu finden, und selbst in der Linken. Erst jüngst nannte Sahra Wagenknecht, die bekannteste Politikerin der Linkspartei, das geplante Selbstbestimmungsgesetz „absurd“ und sprach trans Personen ihre Geschlechtsidentität ab, indem sie sagte, mit dem Gesetz könne jeder „nach Laune“ den Geschlechtseintrag ändern.Aus Italien in die USA und zurück nach Bayern und Berlin: Es ist eine verrückte Reise, die die gute alte faschistische Mutterschaft da angetreten hat. Auch das ist Globalisierung: So prägen extremistische Frauen aus Kleinstädten und beschaulichen Vororten in Florida die deutsche Politik.Die Internationale der erzkonservativen Mütter steht.Placeholder authorbio-1