Verena Stefan, geboren 1947 in Bern, geht mit zwanzig nach Berlin. Die Schweiz findet sie rückständig, eng. Die Frauen haben damals nicht einmal das Wahlrecht. Sie wird Physiotherapeutin, kommt in Kontakt mit den 68ern, vor allem mit der Frauenbewegung und ihrem Kampf gegen den Abtreibungsparagrafen 218. 1974 klagt ihre Aktionsgruppe „Brot und Rosen“ fünf Frauenärzte wegen Missbrauchs und Vergewaltigung von Patientinnen an. Trotz Pille und sexueller Revolution ist die Frau nicht befreit und für viele Männer weiterhin nur Objekt. 1975 rechnet Stefan in ihrem Buch Häutungen mit der Rolle der Frau in der patriarchalen Gesellschaft ab. Hauptthema ist die Sexualität der Ich-Erzählerin.
Für die aufbegehrenden Frauen jener Jahre ist es ein Kultbuch, Auflage: 300.000. In den meisten Feuilletons wird es als „Bekenntnisroman“ verrissen. Doch es gibt auch positive Stimmen. Die Schriftstellerin Christa Reinig schreibt in der Süddeutschen Zeitung: „Literatur ist hartes Männergeschäft. Das muss jede Autorin erfahren, wenn sie das Wort ,ich‘ gebraucht.“ Nach Häutungen verlegt sich Stefan ganz aufs Schreiben und Übersetzen. So ist sie mit Gabriele Meixner die erste, die Monique Wittig in Deutschland bekannt macht. Stefan lebt mit Frauen, zieht aufs Land, geht auf Reisen.
Rückblickend sagt sie: „Wir waren die erste Lesbengeneration, die das Privileg hatte, so selbstbestimmt zu leben, wie wir das wollten.“ Sie findet heraus, dass auch die Mutter geschrieben hat, nachts, immer mit dem Gefühl, etwas nicht Erlaubtes zu tun: „Warum kritzle ich hier leere Seiten voll, anstatt brav hinter dem Bügelbrett zu stehen?“, stand in einer ihrer Kladden. 1993 veröffentlicht sie Es ist reich gewesen. Bericht vom Sterben meiner Mutter. 1999 zieht sie nach Kanada. Produktive Jahre und mehrere Buchveröffentlichungen folgen. So verfasst sie auch während ihres 15 Jahre dauernden Kampfes gegen den Krebs noch drei Bücher.
Ihr letztes Buch Die Befragung der Zeit ist in Teilen autobiografisch und handelt von ihrem Großvater Julius Brunner, einem Landarzt, der wegen illegaler Abtreibungen denunziert wird, im Gefängnis und später in der Psychiatrie landet.
In der Nacht zum 30. November ist Verena Stefan in Montreal verstorben. Ein Kreis schließt sich. Bis heute können Frauen nicht über ihren eigenen Körper bestimmen, wie die Bekenntnisse unter #metoo, vor allem aber auch der Prozess gegen die Ärztin Kristina Hänel zeigen.
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