Gut aussehen ist alles: Kein Wunder, dass schon Achtjährige weltweit das wissen

Meinung Einer Studie zufolge ist das Aussehen der wichtigste Faktor für das Selbstwertgefühl von Kindern – wichtiger, als gut in der Schule oder im Sport zu sein. Uns als Erwachsene sollte das einen Spiegel vorhalten, findet Moshtari Hilal
Ausgabe 34/2023
Es geht darum, welches Aussehen wir von klein auf mit dem besseren Leben assoziieren
Es geht darum, welches Aussehen wir von klein auf mit dem besseren Leben assoziieren

Foto: Moshtari Hilal

Auf das globale Selbstwertgefühl von Kindern soll das Aussehen den größten Einfluss haben: Über 33.000 Kinder in 21 Ländern nannten einer neuen Studie zufolge ihr selbst eingeschätztes Aussehen als wichtigeren Faktor für ihr Selbstvertrauen als schulische Kompetenz, sportliche Leistungen oder ihre sozialen Beziehungen. Die Anfang August im International Journal of Behavioral Development veröffentlichte Meta-Analyse wertete Daten von Acht- bis 12-Jährigen aus Ländern wie den USA, Brasilien, Deutschland, China, Ghana oder Libanon aus. Sind die Kinder dieser Welt also alle gleich oberflächlich?

Was die Psycholog*innen zu überraschen scheint, kommt mir vorhersehbar vor: Kindern weltweit ist ihr Aussehen so wichtig wie ihrer Umgebung. Und dass diese zunehmend eine der Repräsentation und Reproduktion von Bildern ist, entwickelt sich zu einem globalen Phänomen. Kulturelle Unterschiede hin oder her, die meisten Menschen haben Zugang zum Internet, zu sozialen Medien und denselben Aufmerksamkeitsökonomien. Ihre Bilder mögen mal koreanischer, mal skandinavischer wirken, aber sie folgen derselben Marktlogik: Wir sollen mehr zusehen! Wir sollen mehr gesehen werden! Wir sollen mehr kaufen!

Mit acht Jahren konnte ich den ökonomischen Hintergrund anderer an Kleidung und Zähnen ablesen

Zwischen dem Sehen und Gesehenwerden steht das Aussehen: Es ist kaum verwunderlich, dass Kinder diese Grundsätze unserer neoliberalen und zunehmend digitalisierten Gesellschaft verinnerlichen. Sie lernen, wie allein aufgrund der Außenwirkung, der effektiven Selbstinszenierung oder einfach nur von Attraktivität Menschen bevorzugt werden. Das nennt man auch Pretty Privilege – aber eigentlich reicht es bereits, jünger, gesünder, westlicher, wohlhabender oder moderner zu wirken in Relation zu anderen.

Es geht dabei nicht unbedingt um Schönheit, sondern darum, welches Aussehen wir von klein auf mit dem besseren Leben assoziieren. Kinder sehen das. Ich habe das als Kind gesehen. Es war vor Tiktok und Instagram, aber ich hatte Werbung, Filme und Magazine, die mir eindeutig vermittelten, welches Aussehen erstrebenswert war. Auch wir Kinder haben uns gegenseitig bewertet. Mit acht Jahren konnte ich den ökonomischen Hintergrund meiner Umgebung am Zustand ihrer Zähne und Kleidung ablesen, mit zwölf war ich bereits fähig, kulturelle und soziale Zugehörigkeit anhand des Haarschnitts oder der Körperhaltung zu beurteilen. Das können wir oberflächlich nennen – oder eine realistische Anpassung an die Herausforderungen und Erwartungen der Gesellschaften, in denen Kinder heranwachsen? Schließlich wachsen sie auf mit Medien, in denen Wissenschaftler*innen ausschließlich von überdurchschnittlich attraktiven Schauspieler*innen gespielt werden müssen und die populärsten Gesichter ihrer Welt für Bleaching Cremes und Luxusmodehäuser werben.

Die Philosophin Heather Widdows schreibt in ihrer Untersuchung Perfect Me. Beauty as an Ethical Ideal, dass Schönheit oder zumindest der Selbstoptimierungswunsch zu einem dominierenden Ideal und zur moralischen Pflicht geworden ist. Deshalb sind wir medial auch so besessen von Vorher-nachher-Bildern nach dem makeover, dem glow-up oder dem optischen sozialen Aufstieg, der einhergehen soll mit dem ökonomischen oder sogar zu ihm verhelfen soll. Kein Wunder, dass die Kinder weltweit begriffen haben, dass die unausgesprochenen Regeln unserer Gesellschaften das Aussehen allem voranstellen.

Diese empirische Auswertung verwundert mich also nicht, aber ich hoffe, dass sie uns als Erwachsenen einen Spiegel vorhält: Eine oberflächliche Gesellschaft erzieht oberflächliche Kinder.

Moshtari Hilal ist Künstlerin und Autorin, am 4. September 2023 erscheint ihr Buch Hässlichkeit bei Hanser

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