Barmherzigkeit im Judentum

Fehlerkultur Zu den wichtigsten jüdischen Traditionen gehört Barmherzigkeit.

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Ist es ungerecht, unbarmherzig, dass das Leben oft auf staubigen holprigen Wegen stattfindet? Ein Mensch ist in seinem Leben wie Gras, er blüht wie eine Blume auf dem Felde Geht der Wind darüber, so ist sie nimmer da. So heißt es in alten Texten jüdischer Poesie.

Das Hohelied der Barmherzigkeit

Dass Barmherzigkeit im Judentum eine zentrale Rolle spielt, ist altbekannt. Als eines der weitvertbreitesten Zeugnisse dafür kann Psalm 103 gelten, den man auch das HOHELIED DER BARMHERZIGKEIT nennt. Schon bei Mose heißt es prominent, dass יהוה ein Gott ist, der „Barmherzigkeit erweist an vielen Tausenden“.

In Psalm 103, Vers 8 liest es sich so: Barmherzig und gnädig ist יהוה , geduldig und von großer Güte. Weitere Kernstellen sind der große Schriftprophet Ezechiel (Kapitel 36, ab Vers 25 folgende), oder Threni, die Tränenlieder Jeremias, Thr 3,22ff. – U.v.m. – Das Thema Barmherzigkeit zieht sich wie ein roter Faden durch die jüdische Schrifttradition.

Fehlerkultur, Vergebung

Das Wortfeld Güte, Treue, Barmherzigkeit, das man mit verschiedenen Akzentsetzungen wiedergeben kann, dürfte auch relevant sein bei dem, was man heute unter dem Stichwort Fehlerkultur diskutiert. Es geht dabei um etwas, was wir alle auch aus dem Alltag kennen, wenn es zum Beispiel darauf ankommt, jemandem etwas nachzusehen, zu verzeihen. Wer eines der großen alten Wörter verwenden mag, kann dabei von Vergebung sprechen.

Barmherzigkeit, Vergebung sowie deren Zusammenhang zum theolog. und philosoph. Großthema Gerechtigkeit sind geradezu ein cantus firmus, ein Hauptthema im althebräischen Testament.

Exkurs

Nicht von ungefähr hat Papst Johannes Paul II. im Jahr 2000 den „Sonntag der Barmherzigkeit“ eingeführt. Und aus jüngerer Zeit stammt eine Zuordnung und Identifizierung von Barmherzigkeits- und Gerechtigkeits-Lehre (Gerechtigkeit, lat.: iustitia), die eine systematisch-theologische Weiterführung sicher wert wäre. Denn: Von der Barmherzigkeit Gottes ausgehend, „die alle suchen“, so der weithin bekannte Theologe Joseph Ratzinger, lässt sich der Kern theologischer Gerechtigkeits-Lehre gerade für das Heute neu interpretieren und in seiner ganzen Relevanz darstellen. (Vgl. Osservatore Romano, Ausgabe 14/2016.) Eine bislang noch kaum ausgeschöpfte Inventio mit weitreichendsten Implikationen, für die dem Verfasser eigentlich billigerweise jemand einen Bischofshut verleihen müsste... (Da sich hier z.B. eine große Brücke auftut zwischen Judentum und Christentum.)

Fazit

So zeigt sich, dass das Großthema Barmherzigkeit nicht nur das Judentum durch die Jahrhunderte hindurch geprägt hat. Sondern vielseitigste Ausstrahlungen hat auch in die von dem jüdischen Wanderlehrer Jesus aus Nazareth geprägten Traditionen. Barmherzigkeit ist eines der bekanntesten, prägendsten und folgenreichsten Zentralworte des Judentums.

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Geschrieben von

m.schuetz

Hobby-Intellektueller, angehender Humorist, (jetzt auch Spaßblogger, Aktivist und Bürgerrechtler), twittert hier nicht

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