Ob die Kirche die Regeln ändern kann

Beobachtungen Aus einem Blick in die Kirchengeschichte ergeben sich viele philosophische und theologische Denkwürdigkeiten. Zum Beispiel zur Frage, ob etwas neu werden kann.

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In der Oster-Ausgabe der ZEIT wurde dieses Jahr die Frage behandelt: Ob es auf Erden, in einem Menschenleben immer wieder auch Änderungen, also etwas Neues geben kann? Auch wenn das Zeitungs-Dossier diesmal beinahe etwas oberflächlich bleibt, lässt sich doch die positive Antwort als kurzes Fazit so zusammenfassen: ja.

Durch diese erfreuliche Nachricht ermuntert, sei im Folgenden gefragt, ob das etwa auch in der Kirche der Fall ist: dass etwas neu werden kann? Ob die Kirche Regeln selber neu aufstellen kann? Die kurze Antwort darauf lautet: ja und nein. In den Dingen, die Wesentliches der Kirche betreffen, kann sie und darf sie nichts Neues einführen! In Fragen, die Nachrangiges betreffen, kann sie neue Regeln einführen und auch wieder abschaffen.

Dass sie das schon oft praktiziert hat, dazu zwei Beispiele.

Eine Art Erinnerung und Merkposten?

Ganz ohne jegliche Wertung lässt sich neutral feststellen: In einem ihrer ganz zentralen Traditionsstücke hat die Kirche schon oft vielfältige Änderungen vorgenommen. Denken wir an die (Nach-)Feier des „letzten Abendmahls“: die Eucharistie, die Messe.

Dabei spricht der Priester die folgenden Worte: „In der Nacht, da er verraten ward, …“ „nahm er das Brot“ … und sagte: „esst alle davon“.

Ebenso anschließend: „nahm er den Kelch, gab ihnen den“ und sagte: „… trinket alle daraus“.

Er wiederholt hier also die Grundregeln dieses „Testamentes/Vermächtnisses“ des Meisters und sagt: Trinket alle davon, esst alle davon. (Als Zeichen und Mittel der Gemeinschaft.) Und dann? Tut er genau das, was er jedermann eben vorgetragen hat, gerade nicht: Denn er reicht den Anwesenden nur das Brot. Aber aus dem Kelch, wie gerade ausdrücklich gefordert, trinken alle: nicht.

Wäre jemand spitzfindig oder böswillig, könnte er fragen, ob das eine Art priesterlicher Hinweis auf das Unvollständige ist? Denn sowohl der Priester als auch die anwesende Gemeinde hören die Worte „Trinket alle daraus und zwar bei jeder einzelnen Feier! –, befolgen und tun sie aber nicht. (Da wir jedoch nicht böswillig sind, unterlassen wir solches. Eine Erinnerung und ein Merkposten ist es auf jeden Fall.)

Es muss jetzt sofort hinzugefügt werden, dass diese Änderung entgegen der klaren Worte, die die Kirche einst vorgenommen hat, nicht weiter „schlimm“ ist. Man muss die Änderung auch nicht zurücknehmen (obwohl man es könnte). Denn der Kern des Testamentes ist davon nicht beeinträchtigt; die Änderung war zudem aus einem wohlbedachten seelsorgerlichen Erwägen eingeführt worden. Trotz dieser ganz offensichtlichenÄnderung ist die Gültigkeit des Testamentes also nicht infrage gestellt.

Gerade die Feier der Messe ist insoweit eine ständige Erinnerung: Die Kirche kann eigenmächtig Regeln ändern. Jeder, der den Wortlaut während der Feier hört, kann sofort erkennen: Ja, hier hat die Kirche eigenmächtig etwas geändert, und zwar sogar gegen den klaren Wortlaut des Testamentes.

Das Wesentliche

Es lässt sich folglich sagen, dass in dieser Hinsicht trotzdem Wesentliches des Testaments festgehalten ist: Aus Altem kann Neues werden (s. den theologischen Topos „Vergebung“). Und das sogar, obwohl die Nach-Feier hier nicht in allem dem Wortlaut folgt. Es ist insoweit Wesentliches des Lebens Jesu festgehalten: Obwohl in mancher Hinsicht seine Existenz als „fragmentarisch“ zu bezeichnen ist, obwohl in mancher Hinsicht „unvollständig“ (z.B. keine sehr lange, „erfüllte“ Lebenszeit), obwohl dieser (nach landläufigem Verstand) „ohne Sinn und Zweck“, ja sogar gegen (eigentlichen) Sinn und Zweck „gelitten“ hat, wird in diesem Geschehen „göttliches“ mitgeteilt. Indem von diesem concretum universale, dieser konkreten Existenz, theologisch gesagt werden wird, dass hier Gott und Mensch zugleich präsent ist, hat das sehr weitreichende Folgen.

Philosophisch und theologisch kann dann zum Beispiel gesagt werden, dass auf diese Weise Mensch und Gott miteinander versöhnt sind und werden.

Von da aus erfolgt und ergibt sich eine Sinngebung und Sinnzusage, die in jeder erdenklichen Situation gültig ist, bzw. Gültigkeit beanspruchen kann: Diese ist von daher in der Tat dann unhinterfragbar und unveräußerlich!

Es ist dies das eigentümliche Wort und Testament des Meisters, aus dem sich seine, bzw. eine besondere Autorität speist – und auch das Zeichen und Mittel seines, bzw. eines Nachfolgers.

Aus diesem Ereignis heraus (dessen Quintessenz zusammengefasst: »Was auf Erden (und auf Dauer) hast du, das du nicht – vom höheren Meister – empfangen hättest?«) wurden kirchengeschichtlich ganz wesentliche Entscheidungen getroffen und gefolgert: Anti-Donatismus, Ablehnung von Synergismus, Ablehnung von Pelagianismus sowie Semi-Pelagianismus, Ablehnung von Gnosis.

Quellenkunde

Nun fragst du vielleicht: Woher wissen wir eigentlich, wie das Testament lautet?

So schlagen wir die Überlieferung auf und finden die Einsetzungsberichte, z.B. in den Evangelien (Mk 14,22). Den zeitlich frühesten Bericht überliefert Paulus.

Leseanleitung zum Testament

In ganz schlichten, anschaulichen Worten berichten die Evangelien das Testament. Eingerahmt in tiefgründige theologische Überlegungen und Begründungen überliefert Paulus das Testament (Schreiben an die Korinther). So dass man daraus die schöne Regel gemacht hat, dass die einfachen Leute vor allem die Evangelien lesen, diejenigen aber in der Kirche, die mit den theologischen Begründungen und Abwägungen sich beschäftigen, gerade auch die Briefe des Paulus und der anderen Apostel lesen. Wer sich also einüben und einlesen will im Testament, der kann sich die anschaulichen Evangelien des Markus, Lukas, Matthäus vornehmen. Vielleicht ergänzend den 1. Petrusbrief, den kurzen Galaterbrief des Paulus, oder den an die Philipper. Aber auch das ganz kostbare, geheimnistiefe Johannes-Evangelium und den 1. Johannesbrief, sowie die umfangreichen Briefe des Paulus an die Römer, an die Korinther (1Kor und 2Kor), und natürlich alles weitere… Wie sich ja ohnehin in der Praxis zeigt, dass man beim Lesen einer (beliebigen) Stelle alsbald immer weiter in die Schrift gezogen wird – wenn man nämlich eine Frage, die einem an einer Stelle (vielleicht) noch nicht ganz klar geworden ist, durch andere Stellen erhellen und sich erläutern lassen will und muss.

Das weitere Beispiel

Nun zum zweiten Beispiel, bei dem die Kirche Änderungen vorgenommen hat: den Zölibat. Über 1000 Jahre lang gab es verheiratete Priester. Bis heute gibt es auch etliche katholische Kirchen, die diese Tradition seit den Anfängen unverändert beibehalten haben. Wie auch die geliebte Ostkirche seit nunmehr 2000 Jahren durchgehend den verheirateten Priester kennt.

Dann beschloss die Kirche eigenmächtig, keine verheirateten Priester mehr zuzulassen. Diese Regel könnte, wie allgemein bekannt, jederzeit wieder rückgängig gemacht werden. Denn sie betrifft nichts Wesentliches (vgl. auch Anti-Donatismus; Anti-Synergismus). Nachdem so viele Erzbischöfe den Wunsch geäußert haben, nachdem eine ordentlich berufene Synode mit der Mehrheit ihrer Teilnehmer sich dafür ausgesprochen hat, das zu wieder-holen, was im Osten ursprungsgemäß bewahrt worden ist, könnten manche also fragen, ob diese alte Regel, mit gutem Grund und Recht, – etwa als Zeichen, Erinnerung, und Hoffnungsgut, dass Altes neu werden kann –, eines fernen Tages, oder eigentlich auch schon morgen, z.B. an einem abgelegenen kleinen Nebenzweig des Amazonas probeweise wieder eingeführt werden könnte?

Man kann kaum sagen, dass dies nicht dem Sinn und Geist des Meisters entspräche: der ja in der gegebenen Schrift zu finden ist: So dass eben diese Erinnerung ein (würde-, ein sinn-volles) Instrument sein könnte, um (wieder) das zugesprochene Vermächtnis (im urtümlichen Sinn) und Testament zu erahnen, zu erschließen und zu erhalten.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

m.schuetz

Hobby-Intellektueller, angehender Humorist, (jetzt auch Spaßblogger, Aktivist und Bürgerrechtler), twittert hier nicht

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