Viertel Journalismus

Presse-Ethik Der 26.9.2021 könnte eine Wende in der Medienlandschaft bedeuten.

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Selten war die Chance oder Wahrscheinlichkeit für eine Neuordnung des Öffentlichen Rundfunks so groß, wie mit der jetzigen Bundestagswahl. Denn in manchem Wahlprogramm stehtohne das hier im Einzelnen beurteilen zu können oder zu wollendazu Einschlägiges geschrieben. Manche Kandidatinnen haben im laufenden Wahlkampf so ihre Erfahrungen gemacht. Beinahe genossenschaftliche Erfahrungen haben Kandidaten der Jahre 2017, 2013, … beklagt und sind noch in lebendiger Erinnerung. Und für sich eher zu den Bodenständigen Zählende ist es ohnehin seit Dezennien klar, dass bei den Medien einiges im Argen liegt. Es gibt also bei den politisch Handelnden eine gemeinsame „Erfahrungs-Welt“.

Was läuft alles falsch? Der Verfasser dieser Zeilen ist nicht der Besserwisser vom Amt. (Auch dann nicht, wenn er sich gelegentlich dafür halten sollte.) Deswegen wird es im folgenden auch keine einfachen Lösungen zu finden geben. Aber ein, zwei Beispiele, und außerdem eine Problemanzeige.

Viertel Journalismus

Welche ökonomische Entwicklung war in den letzten zwölf Monaten ein bestimmender Trend? Home Office! Wenn man nach der Berichterstattung geht, war Home Office, Home Office, Home Office das Thema Nummer 1. Eine Unternehmensbefragung hat aber ergeben: Selbst in der Hochphase der Einschränkungen, waren kaum mehr als 25 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer tatsächlich im „Home Office“. Meistens deutlich weniger (mal 17 % oder 14 %). Schon an der Baubranche konnte man das leicht deutlich machen. (Die, nebenbei, im letzten Jahr ja einen mächtigen Wachstumsboom verzeichnen konnte.) Während die Zuschauer also annehmen mussten, dass alle Welt im Home Office säße, waren das in Wirklichkeit nie mehr als gerade mal ein Viertel. So wird medial die Realität verzerrt.

Man kann das den (leider typischen) Viertel Journalismus nennen. Den es leider in vielen Varianten und beileibe nicht nur im Rundfunk gibt. Wie es dazu kommt? Man nimmt ein Viertel des Kuchens und erklärt es zur ganzen Torte. Vielleicht nicht einmal aus böser Absicht: Man ist bei der Recherche so auf „sein“ Thema fokussiert (das ist ja auch nicht falsch), dass man es tatsächlich in seiner Wichtigkeit für das Nonplusultra hält.

Manchmal ist es aber vielleicht doch Absicht. Es scheint manchen agitatorischen Journalismus zu geben. In einer Demokratie sollen die Medien aber nie der verlängerte Arm der Wirtschaftspolitik der jeweiligen Regierung sein. (Auch nicht der Sozial- oder Digitalpolitik, oder der Gesundheitspolitik.) Erst recht soll Rundfunk nicht selber Politik machen (jedenfalls nicht der allgemeine Öffentliche Rundfunk“ ob und wie der freitag und die taz das dürfen, ist ein anderes Thema.)

Sich nicht instrumentalisieren lassen

Hajo Friedrichs hatte diesen Spruch getan, dass sich guter Journalismus nie mit einer Sache gemein mache. (Auch nicht mit einer „richtigen“.) Er ist also nicht selbst Partei. Sondern er referiert über (die) verschiedene Parteien. Warum? Weil er sonst die innere Distanz verliert. Er wird allzu leicht zum Instrument und lässt sich instrumentalisieren. Er verspielt dann auf Dauer seine Glaubwürdigkeit. Und wird wie wir das in diesen Tagen sehen zu einer Gefahr für den sozialen Frieden in einer Gesellschaft.

Es ist das auch das alte Thema der Trennung von „Meinung“ und „Bericht“, was leider weiterhin sehr sparsam beachtet wird im Rundfunk.

Nocheinmal: Es ist hier kein „Patentrezept“ beworben.

Es ist also ganz offen, es ist eine Problemanzeige.

Selten war die Chance oder Wahrscheinlichkeit für eine Neuordnung des Öffentlichen Rundfunks so groß, wie mit der jetzigen Bundestagswahl.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

m.schuetz

Hobby-Intellektueller, angehender Humorist, (jetzt auch Spaßblogger, Aktivist und Bürgerrechtler), twittert hier nicht

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