So schön kann doch kein Mann sein

Liebe Trennung als Weg: Ulrike Stöhring erzählt von der Emanzipation eines Beziehungsjunkies
Ausgabe 15/2018
Es ist erstaunlich, wie erdrückend allgemeingültig die Idealbilder des reproduktions-sexuellen Zusammenlebens sind
Es ist erstaunlich, wie erdrückend allgemeingültig die Idealbilder des reproduktions-sexuellen Zusammenlebens sind

Foto: Westend61/Imago

Eine Frau Anfang 50. Eben noch sitzt sie mit einem Glas Wein in der Hand mit dem Ehegatten auf dem Balkon in der Abendsonne, im nächsten Moment bricht sie im Badezimmer zusammen – und der Mann ist weg zu einer anderen.

Ulrike Stöhring, Autorin dieses autobiografisch von einer „Trennung in der Lebensmitte“ erzählenden Sachbuchs, nennt sich „Beziehungsjunkie“. Als Bericht über einen kalten Entzug und seine Folgen lesen sich dann auch die ersten Kapitel.

Es ist erstaunlich, wie erdrückend allgemeingültig die Idealbilder des reproduktions-sexuellen Zusammenlebens sind. Sie treten uns täglich entgegen. Und wir, obschon kulturkritisch auf- und abgeklärt, glauben daran. Wir verbandeln uns, als gäb’s kein Morgen. Die Scheidungsquote aber ist hoch, die der Zweit- und Drittehen noch höher. Schon nach 25 Seiten kommt der Krieg ins Spiel. Nein, nicht der Rosenkrieg – der Zweite Weltkrieg. Die Autorin rechnet sich und den Mann, der sie verließ, zur Generation der Kriegsenkel, die mit den Beziehungsmustern ihrer Eltern, der Kriegskinder, aufwuchsen. Das Nachsinnen darüber, warum wir derart in kompensatorischen Beziehungserwartungen gefangen sind, steht zwischen dem Bericht eines Entzugs und der Erzählung eines Aufbruchs zu neuen „Mustern der Gesellung“.

„Männer, die verlassen haben“, werden interviewt. Nach Täterhass und Opfer-Larmoyanz sieht das nicht aus. In Büchern über das Von-einer-Frau-verlassen-Werden stellt sich das anders dar. Männer, die ihre Partnerinnen verlassen haben, sprechen nicht so bereitwillig wie Frauen über das Ende von Beziehungen, stellt Stöhring fest. Einige aber bringt sie zum Reden.

Und, Kerle, hier zeigt sich, dass das auch ein Buch für euch ist! Zum Beispiel der Mann, der nach Prostata-OP und Angst vor Impotenz eine Beziehung zu seiner Physiotherapeutin eingeht und dafür die Mutter seiner Kinder verlässt, die Frau, die ihm bedingungslos beigestanden hatte: „Es ist schade, dass ich meine Selbstwertprobleme nicht anders habe lösen können.“ Besuche bei einst verlassenen, heute glücklichen Frauen folgen. Einige leben in neuen Beziehungen, andere bewusst nicht.

Ihr Glück scheint dadurch stabil geworden zu sein, dass sie es eben nicht mehr von einem Partner als Liebesgabe geschenkt bekommen wollen. Andere Reisen führen die Autorin nach Litauen, Finnland, Österreich, in eiskalte Einsamkeit oder Großfamilientrubel. Oder um die Ecke in verschiedene körpertherapeutische Studios. Den Text durchzieht ein Bewusstsein von der „Leiblichkeit des Ich“, das ihn ebenfalls vom Gros der einschlägigen Literatur besonders männlicher Autoren unterscheidet. Hier wird nicht nur gelitten, sinniert, reflektiert. Hier wird gehandelt, erlebt, genossen und sich manchmal sogar in Gefahr begeben. Der tiefe Ernst einer existenziell bedrohlichen Lebenskrise ist zwischen den Zeilen immer spürbar. Aber der Ton ist heiter, oft witzig, nie hoffnungslos.

Wie sehr konventionelle Vorstellungen vom Liebesglück von der allgemeinen sozialen Kultur der Beziehungen abhängen, darüber schreibt die im Buch zitierte Eva Illouz viel. Im Kapitel übers liebe Geld, „das böse G-Wort“, schreibt Stöhring, „die Gefühle benutzen das Geld“, aber das werde tabuisiert. Sie spricht von dem „verborgenen Wunsch nach Versorgung“ als Beziehungsmotiv vieler Frauen und rät, beizeiten, und nicht erst im Trennungsjahr, „mit dem Süßen vernünftig zu verhandeln“. Die hier geschilderten praktischen Folgen des Scheidungs- und Steuerrechts zeigen eine andere Seite des gesellschaftlichen Drucks auf Partnerschaft und Trennung.

Das, was die Ich-Erzählerin so hart auf die Badezimmerfliesen hat aufschlagen lassen, erweist sich am Ende als ein Stück ihres Leben, das es wert ist, in ihr neues mitgenommen zu werden. Den Ex kann sie nun als einen einst geliebten Menschen sehen. Und alles ist mit einer tiefen, reifen Trauer durchsetzt, die das auflöst, was das Bedürfnis nach illusorischen Kompensationen begründen könnte. Wut, Verachtung, Schmerz, Scham, Angst.

Wir sehen die Autorin nicht eifrig an den nächsten Versuch einer Beziehung gehen. Die „glückliche Frau“ im letzten Kapitel ist eine, die souverän allein sein kann. Das muss frau können, muss es üben, es genießen, meint Stöhring. Den Beziehungsjunkie ängstigt die Gefahr, dass das in die Einsamkeit führt. Der Schluss ist offen, aber nicht ohne Hoffnung auf die Zweisamkeit souveräner, einander verbundener, aber nicht dominierender Menschen.

Info

Vielen Dank für alles. Trennung – glücklich überlebt Ulrike Stöhring Ullstein 2018, 272 S., 15 €

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