Doktor Mabuse im All

Raumfahrt Die NASA hat ein mysteriöses Geräusch veröffentlicht. Es berührt menschliche Urängste
Ausgabe 09/2016
Spiel mir das Lied vom Mond
Spiel mir das Lied vom Mond

Foto: Keystone/Zuma/Imago

„Hast du dieses Pfeifen auch gehört?“ – „Ja, klingt wie weltraumartige Musik.“ – „Ich frage mich, was es ist.“ Als Apollo 10 im Jahr 1969 den Mond umrundete und gerade dessen Rückseite passierte, brach der Funkkontakt nach Houston für fast eine Stunde ab. Und in dieser Zeit hörten Eugene Cernan und John Young plötzlich ein eigentümliches Geräusch, das sie beim besten Willen nicht zuordnen konnten.

Es schien ihnen so sonderbar, dass die Astronauten überlegten, ob sie es im Nachhinein gegenüber ihren Vorgesetzten überhaupt ansprechen sollten, da sie Angst hatten, sie könnten dadurch vielleicht einen verwirrten Eindruck erwecken. Das Transkript ihrer damaligen Unterhaltung konnte man bereits seit 2008 einsehen. Auf der Internetseite sciencechannel.com hat die NASA nun jedoch ebenfalls die Aufnahmen dieses Geräuschs, das man am ehesten als windartiges „Woo-Woo“ beschreiben kann, veröffentlicht.

Was haben die Astronauten da also gehört? Das Weltall macht zwar durchaus Geräusche, etwa wenn geladene Teilchen mit dem Magnetfeld von Planeten interagieren, jedoch besitzt der Mond gar kein Magnetfeld. Bleibt es also „ungeklärt“, wie bis heute in manchen Internetforen geraunt wird? Nein. Denn es gibt eine Erklärung, nur ist diese allzu menschlich. Nachdem Michael Collins, Mitglied der Apollo-11-Crew, das Geräusch wenige Monate später ebenfalls hörte, fand ein NASA-Techniker schließlich heraus, dass es sich um Interferenz zwischen den beiden Teilen des Raumschiffs, dem Kommando- und Lunarmodul, handelte.

Es scheint dennoch kein Wunder, dass es den Astronauten so einen Schrecken einjagte. Hier wurde nämlich eine Urangst des Menschen getriggert: das ortlose Geräusch, die körperlose Stimme. Also Töne, die man zwar vernimmt, aber nicht einmal erahnt, woher sie stammen. Das zeigt sich nicht nur darin, dass das „Stimmen hören“ bekanntlich ein untrügliches Zeichen der psychotischen Existenz darstellt, sondern etwa auch am Beispiel des Filmklassikers Das Testament des Dr. Mabuse.

Im 1933 erschienenen Meisterwerk Fritz Langs vermag der Verbrecherkönig seine Befehle nämlich durch eine omnipräsente Stimme zu erteilen. Eine, die ihren gleichermaßen hypnotischen wie schauerlichen Effekt dadurch erzielt, dass sie keinen Körper, kein Ort besitzt, gewissermaßen also nur auf der Oberfläche umherstreift. Kurz: Die körperlose Stimme, sie ist der Sound der Psychose, der Vibe des Wahnsinns. Der französische Autor und Musiker Michel Chion hat dafür den Begriff des Akusmeters geprägt. Der Name leitet sich dabei von einer pythagoräischen Sekte ab, deren Meister sich hinter einem Wandvorhang verbarg, damit der Blick auf ihn nicht von seiner Botschaft ablenke.

Zumindest in homöopathischer Form kennt man Ähnliches auch aus dem Alltag. Etwa das gleichermaßen schnarrende wie bohrende Dröhnen, das minutenlang dumpf durch die Glasscheiben dringt, worauf es einen entnervt zum Bürofenster treibt, nur um dann mit zuckendem Augenlid auf eine leere Wiese zu starren. Mit pochenden Schläfen kehrt man schließlich zum Schreibtisch zurück, allein um dann nach kurzer Zeit abermals zum Fenster zu stürzen. Beruhigung stellt sich erst in jenem Moment ein, in dem man hinter dem Buchsbaum endlich den orange bejackten Mann mit Laubbläser erspäht. Wie gesagt: Das Geräusch ohne Ort, es ist der Sound des Wahnsinns. Ob im All oder im Büro.

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