Erdoğan, Anakin aus Ankara

Macht Der türkische Ministerpräsident lässt sich Star-Wars'esque als Hologramm zuschalten und wird somit bigger than Putin. Aber Sehen Sie selbst

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Zeitgenössische Präsenzkultur
Zeitgenössische Präsenzkultur

Foto: Screenshot

Aus aktuellem Anlass ist es Zeit an eine der historisch wohl wichtigsten, bisweilen aber etwas unterschätzen Herrschaftstechniken zu erinnern: politisches Absenz-Management. Oder genauer gesagt: Die Produktion von symbolischer Anwesenheit bei physischer Abwesenheit. Will Macht nämlich buchstäblich verkörpert werden, ist die Präsenz des Souveräns die beste Prophylaxe gegen Umstürze. Lässt sich der gemeine Despot hingegen von zweitklassigen Stellvertretern repräsentieren, kann's heikel werden. Das wusste schon der alte Schiller, weshalb es in dessen Dramen für Kaiser und Könige auch immer dann besonders brenzlig wird, wenn diese sich nicht persönlich blicken lassen. Wo der Regent nicht nach dem Rechten sieht, rotten sich im Zweifelsfall politische Widersacher (Wallenstein) oder, noch fataler, sogar Volksmassen (Wilhelm Tell) zusammen, um Verschwörungen zu schmieden, Aufstände zu organisieren oder Revolutionen zu planen.

Dass der Körper als unabdingbarer Träger der Macht also eine nicht zu unterschätzende Kraft entfaltet, wusste unterdessen auch Napoleon. Dieses korsische „Fitnessphänomen“ (Peter Sloterdijk) bestritt seine zwölfstündigen Parforceritte, 1809 bewältigte er eine 120 Kilometer-Strecke im Galopp, ja vor allem deshalb, um gleichermaßen bei Hof und Soldateska präsent zu sein. Und schließlich zeigt sich das politische Gewicht leibhaftiger Anwesenheit sogar - oder vielmehr: erst recht - in seiner Negation. Als die Jakobiner die Köpfe des Ancien Régime rollen ließen, wurden diese prompt öffentlich ausgestellt. Seht her, sollte es heißen, die Aristokratie ist eine historische Leiche. Und diese bildgewaltige Botschaft wollte man sich selbst von der Natur nicht kaputt machen lassen. Als die Toten irgendwann zu verwesen begannen, bildete man sie einfach aus Wachs nach. So lernte Madame Tussaud bekanntlich ihr Handwerk.

Der innenarchitektonische Imperativ

In den funktionsfähigen Demokratien der Spätmoderne verliert der Körper indes tendenziell (sic!) an Bedeutung. Ist Macht in der Volksherrschaft nicht nur zeitlich limitiert, sondern auch verhältnismäßig depersonalisiert, herrscht idealerweise „Legitimation durch Verfahren“. Karriereorientierte Potentaten müssen im 20. Jahrhundert hingegen mehr denn je Körpereinsatz zeigen. Die oberste Ordensregel autoritärer Herrscher heißt nach wie vor: Möglichst oft anwesend sein, möglichst wenig Ferien machen. Hätte Chrustschow sich zum Ende seiner Amtszeit daran gehalten und nicht permanent in Sotschi geurlaubt, Breschnew & Co hätten in Moskau vermutlich nicht so einfach seinen Sturz einfädeln können.

Da nun aber naturgemäß auch der umtriebigste Usurpator nicht überall sein kann, stellt sich so oder so die entscheidende Frage, wie man trotz Abwesenheit am besten symbolisch anwesend bleibt. Entsprechende Medialisierungen der Macht gibt es, je nach Stand der Technik, dementsprechend viele. Der Klassiker, heute zuvorderst noch in Nordkorea zu finden, ist dabei natürlich der innenarchitektonische Imperativ des Herrscherportraits: Wer es als Diktator flächendeckend in die heimischen Wohnzimmer schafft, hat seine Augen buchstäblich überall.

Die städtebauliche Ausdehnung dieser raumgreifenden Bildpolitik gipfelt dann im skulpturalen Selfie: Wer sich zu Lebzeiten eigene Denkmäler errichtet, man denke an Saddam Husseins megalomane Bronzestatuen, macht den öffentlichen Raum zum persönlichen Diorama. Eine andere, kleinteiligere Form symbolischer Präsenz wurde zusätzlich von Stalin gepflegt. In der frühen DDR war es nicht unüblich bei Parteiversammlungen einen leeren Stuhl für den imaginär anwesenden „Weisen Führer der Menschheit“ bereit zu halten.

Telegener Adventure-Zarismus

Mit dem Aufkommen der audio-visuellen Massenmedien, die man mit Marshall McLuhan ja als Extensionen des Körpers begreifen kann, erweitert sich das Spektrum der Präsenzproduktion dann immens. Mit dem Siegeszug von Radio und Fernsehen gilt: Souverän ist, wer über die meiste Sendezeit verfügt. Wo sich Stimme und Antlitz technisch transportieren lassen, kann auf leeres Mobiliar verzichten werden. Vom massenhypnotischen Standpunkt aus gesehen, bildet die klassische Propagandarede dabei lediglich die unterentwickelteste, weil unterhaltungsfernste Form. Ambitionierter, weil legerer, kommt der Agitator hingegen als Talkmaster daher. Hugo Chavez' Aló Presidente hat hier erwiesenermaßen Standards gesetzt. Am bis dato avanciertesten erscheint jedoch das Putin'sche Modell des telegenen Adventure-Zarismus'. Tiger erlegen, Waldbrände löschen oder mit Wildgänsen fliegen: Wer da nicht einschaltet, hört vermutlich Pussy Riot.

Der Skywalker der AKP

Nun hat Recep Tayyip Erdoğan aber noch eine Schippe drauf gelegt. Der türkische Ministerpräsident, der zwar nominell als Demokrat gilt, habituell aber wie eine Art Kaiser von Konstantinopel wirkt, steht seit kurzem an der Spitze des Fortschritts. War er bis dahin eher als Autokrat alten Schlags, der Hetzreden hält und Fußballstadien seinen Namen tragen lässt, bekannt, offenbart er sich nun als Techno-Avantgardist erster Güte, als Skywalker der AKP. Als er am letzten Sonntag einer Parteiveranstaltung in Izmir nicht beiwohnen konnte, ließ er sich nämlich zuschalten. Aber nicht etwa per Video. Nein, Erdoğan, der Anakin aus Ankara, wurde Star-Wars'esque als riesiges Hologramm in den Raum gebeamt. Wo andere also symbolische Ersatzkörper entwerfen oder sich buchstäblich ein (Bewegt-)Bild machen, lässt sich dieser Teufelskerl einfach virtuell verdoppeln. Aber sehen Sie selbst. (ab 0:22)

Hatte Erdoğan vor kurzem noch die großteils jungen Demonstranten im Gezi-Park als „Terroristen“ und „Penner“ beschimpft, wird jetzt also klar, dass es sich dabei nur um ein Missverständnis gehandelt haben kann. Denn wer sich so sehr dafür einsetzt, dass Personenkult wieder funky wird, der muss sich ernsthaft um die Jugend sorgen. Kulturkritiker könnten an dieser Stelle nun freilich ihren Baudrillard zur Hand nehmen und irgendwas über Simulakren, Hyperrealität oder Semiokratie schreiben. Viel wichtiger ist jedoch die Frage, welch politische Möglichkeiten diese Science-Fiction-Offensive noch birgt. Womöglich könnte ja schon bald jedem Regierungskritiker ein eigenes Erdoğan-Hologramm zur Seite gestellt werden, welches dem betreffenden Aufrührer dann erklärt, warum die AKP der Shit ist. Ganz bürgernah, sozusagen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden