Wer hat eigentlich noch Lust auf Facebook? Also ich nicht. Ich bekomme nicht die Nachrichten, die ich will, ich fühle mich manipuliert, habe keine Lust, meine Daten zu verschleudern. Warum ich dann nicht einfach gehe? Weil es politisch falsch wäre. Und weil ich nicht weiß, wohin sonst.
Facebook bringt mir etwas, das mir keine andere Plattform gibt: Nachbarschaftsgruppen aus meinem Kiez, den Kontakt zu alten und neuen Freundinnen, Plaudereien unter Postings, die mich während meiner Arbeit angenehm ablenken. Und ich sehe, wann meine Lieblingsbands Konzerte in meiner Nähe spielen. Ich beschäftige mich seit Jahren beruflich mit den Auswirkungen der Digitalmonopolisten auf unser Leben und ich weiß, dass das, was ich hier als positiv beschreibe, eigentlich negativ ist: die digitalen Plattformen erzeugen Netzwerkeffekte. Das heißt, die Plattform mit den meisten Followern wird noch mehr dazugewinnen, Konkurrenz wird quasi ausgeschlossen. Das ist auch der Grund, warum all die Alternativen wie Diaspora nicht funktioniert haben. Bisher!
Denn die Nachrichten, dass es mit Facebook doch zu Ende gehen könnte, häufen sich. Wirtschaftswissenschaftler gehen vermehrt davon aus, dass Facebook langfristig nicht mehr in der Lage sein wird, Vertrauen aufzubauen. In seinem Buch Platform Capitalism nimmt auch der britische Politikwissenschaftler Nick Srnicek die mächtigen Plattformen unter die Lupe. Die rosigste Zukunft sieht er bei Amazon. Google und Facebook hingegen sagt er schlechte Überlebenschancen voraus. Während Amazon auf Logistik, das Ersetzen des stationären Handels und dem Monopolisieren einer Business-Cloud setzt, verdient Facebook Geld mit Werbung. Selbst, wenn das Vertrauen in die Marke noch vorhanden wäre: Der Geschäftsbereich ist limitiert.
Gute Nachrichten. Aber wenn wir nicht über Alternativen zu Facebook nachdenken, rückt einfach der nächste aggressive Konzern nach – so wird nie etwas Demokratisches an diese Stelle treten. Wer also könnte darüber nachdenken? Die europäischen Öffentlich-Rechtlichen, die BBC, die ARD? Ihre Aufgabe wäre es wohl. Statt alternativlos die privatwirtschaftlichen Plattformen mit ihren eigenen Inhalten zu füttern, sollten sie eigentlich an einem Tisch sitzen und ganz praktisch darüber sprechen, wie öffentlich-rechtliche Medien heute aussehen könnten. Fernsehen und das lineare Radio nämlich sind nun wirklich auf dem absteigenden Ast. Aber zu viel Hoffnung sollte man in die Öffentlich-Rechtlichen nicht stecken.
In wen dann? Über alternative Plattformen nachzudenken, scheint doch eine Aufgabe für jene, die gerne in einer gerechten Welt leben würden, in der das Online-Leben von Menschen nicht durch Datenraub profitabel gemacht wird und am Ende nur sehr wenige daran verdienen. Also für Linke.
Selbst die nicht für wahnsinnige Radikalität bekannte demokratische Kandidatin für die US-Präsidentschaftswahl Elizabeth Warren hat einen Plan vorgelegt, wie man die großen Plattformen entmachten und aufbrechen kann. Da werden wir doch wohl ein Konzept hinbekommen, wie demokratische, weltumspannende, menschenverbindende Medien aussehen könnten, oder? Links sein bedeutet doch, kollektive Lösungen zu finden, von denen die meisten profitieren – und eben nicht: sich einfach von Facebook abzumelden und sein eigenes Ding zu machen.
Info
Nina Scholz arbeitet u. a. in der Multimedia-Abteilung des Deutschlandradios, wo natürlich auch Facebook gefüttert wird. Am liebsten würde sie über Alternativen zu und die Demokratisierung von Facebook & Co. sprechen. Ebenfalls Interessierte dürfen sich gerne melden!
Kommentare 7
Kleiner Tipp, bevor die Höhenflüge in Richtung auf ein öffentlich-rechtliches FB weiter in die Höhe schießen: Es gibt auch noch ein sogenanntes »Real Life«. Für Facebook-Junkies das Ganze in binärer Sprache, damit es auch verstanden wird:
Internet ≠ Real Life
hallo,
soziale medien sind meines erachtens nicht links oder rechts, sie sind zentral oder dezentral organisiert.
wobei dezentral - wieder imho - nicht mit links gleichgesetzt werden kann, und umgekehrt zentral nicht mit rechts oder kapitalistisch etc.
die zentralisierung der (sozialen) plattformen hat meines erachtens den hintergrund der kapitalisierung einer solchen plattform - lies: verwertung anfallender informationen im extremfall a la cambridge-analytica, oder der weniger verwerflichen schlichten einblendung von werbung etc.etc.
geschichtlich betrachtet waren services im fruehen internet samt & sonders dezentral - etwa ausgehend vom tieferliegenden paket-routing (ip), ueber das system der namensaufloesung (dns), email, netnews, ... und im grunde auch die fruehen formen des web (www) etc.
die heutige zentralisierung ist ungefaehr in den letzten 15 jahren im rahmen der extremen kommerzialisierung des netzes passiert.
diese wird sich weder durch irgendwelche aufrufe fuer "linke plattformen" noch durch andere dinge rueckgaengig machen lassen. in dieser zentralisierung steckt einerseits das geld und andererseits ist sie die grundlage fuer die grossflaechige sammlung von daten, der damit moeglichen billigen ueberwachung und letztendlich des nennen wirs mal "surveilance capitalism" ...
(frei nach shoshana zuboff - einer amerikanischen wirtschaftswissenschaftlerin *)
* https://nymag.com/intelligencer/2019/02/shoshana-zuboff-q-and-a-the-age-of-surveillance-capital.html
... imho ein extrem lesenswertes interview ueber ihr neustes buch.
cheers
a..z
nachtrag: noch ein sehr interessanter artikel zu dem thema:
* https://www.forbes.com/sites/cognitiveworld/2019/03/15/society-desperately-needs-an-alternative-web/
forbes ist bekanntermassen auch nicht unbedingt ein "linkes" medium ... unterm strich: das netz wie wir es heute kennen ist bereits unreparierbar tot. leider.
das laecherliche urheberrechtsgeschichtl bringt das nur an die oberflaeche ... auch wenn es dabei weniger um zensur sondern wieder mal nur um den schnoeden mammon gegangen ist:
* https://www.heise.de/tp/features/Urheberrechtsreform-Es-geht-um-Profitinteressen-nicht-um-Zensur-4347368.html
cheers
a..z
dritter vorhang / nachtrag zum nachtrag:
wer wissen will, wie die naechste grosse plattform ausschauen koennte, sollte den artikel lesen - "spiegelwelt", eine digitale kopie unserer realitaet.
* https://www.wired.com/story/mirrorworld-ar-next-big-tech-platform/
eine mischung aus pokemon-go und dem guten alten & grundsaetzlich bereits toten "2nd live"
und noch eine letzte bemerkung zur "sharing economy" - sollte jemand immer noch ernstlich dort sein/unser glueck vermuten:
* https://onezero.medium.com/the-sharing-economy-was-always-a-scam-68a9b36f3e4b
die sharing-economy war immer ein betrug, es geht nur um die aushebelung des sozialstaats und der arbeitnehmer_innen rechte.
cheers
a..z
"Wer hat eigentlich noch Lust auf Facebook?"
Hatte ich noch nie. (Nein, ich bin nicht über 60)
"Ich bekomme nicht die Nachrichten, die ich will [...]"
Wer bekommt die schon.
"Facebook bringt mir etwas, das mir keine andere Plattform gibt: Nachbarschaftsgruppen aus meinem Kiez"
Also wenn es um eine Gruppe mit Leuten aus, sagen wir, Tahiti geht, gut. Aber aus dem Kiez?? Wer dazu Facebook braucht ... Aber stimmt schon - so weit ist es eben schon gekommen. Alle technischen und medialen Entwicklungen veränder(te)n das soziale und kulturelle Leben fundamental. Insofern ist es ohnehin falsch, für eine Alternative zu Facebook ebendieses Facebook bzw. seine vermeintlich "guten" Seiten oder das, was es vermeintlich einmal war, zum Vorbild/zur Orientierung zu nehmen. Allein ein anderer Betreiber macht eben nicht den Unterschied.
Zum Lachen: Die Autorin arbeitet als Staatsfunkerin für einen der dogmatischsten Sender, dessen impertinente Volksindokrination ihr längst den etwa vorhandenen Geist hätte abtöten müssen.
Puh - und Donnerwetter: Welcher Masochist liest denn diese Art von Staubfängertexten noch? Da ist man spätestens nach der Lektüre eines Absatzes, alias dem 3. Salto im Leerlauf-Hamsterrad der sinnentleerten Rhetorik fix und fertig! Oder kopiert man dieserlei Texte nur ungelesen zur Weitergabe?
Die Softbrain-Geschwätzfächer Sozio, Polito und Gender sind seit je für falsche Doktoren - wie aktuell Frau Dr. G. von der SPD - so interessant, weil niemand den Masochismus aufbringt, die karstigen 200 Seiten einer aus den Fingern gesaugten Doc-Arbeit tatsächlich durchzulesen. Man überfliegt nach dem Motto "Einen Absatz lesen und das Ganze abhaken".