Es sind vor allem Frauen, die die monströsen Rechenmaschinen, wie hier den ENIAC während des Zweiten Weltkriegs, bedienen
Fotos: Los Alamos National Laboratory/Science Photo Library, FelixR/iStock (Hintergrund)
Es klingt zu schön: Laut der Webseite von Activision Blizzard, dem Studio hinter Dauerbrenner-Spielen wie Call of Duty oder World of Warcraft, heißt es, man pflege im Unternehmen eine „Kultur der Inklusion und Zugehörigkeit“. Dort würden Unterschiede „wertgeschätzt, gefeiert und immer willkommen geheißen“.
Schon zynisch, bedenkt man, wie umfassend die Klageschrift des California Department of Fair Employment and Housing 2021 die Kultur toxischer Männlichkeit, sexueller Übergriffe und Diskriminierung gegen Frauen und Minderheiten im Unternehmen herausarbeitet. Von Inklusion kann im Silicon Valley und Games-Megakonzernen wie Activision Blizzard keine Rede sein, außer vielleicht in der heilen PR-Welt.
Die Dominanz des Män
Von Inklusion kann im Silicon Valley und Games-Megakonzernen wie Activision Blizzard keine Rede sein, außer vielleicht in der heilen PR-Welt.Die Dominanz des Männlichen und damit auch deren Machtposition in der Games-Industrie ergibt sich schlicht auch aus den Zahlen. Bei Activision Blizzard sind rund 73 Prozent der Mitarbeitenden männlich. Frauen halten einen Anteil von 25 Prozent. Noch katastrophaler sieht die Repräsentation nicht-binärer Personen aus, die gerade einmal bei rund einem Prozent liegt. Und Activision Blizzard ist keine Ausnahme.Auch bei den anderen Playern der Games-Industrie sieht es nicht viel besser aus: Seit 2009 ist die Zahl der in der Spieleindustrie beschäftigten Frauen zwar von sechs auf etwas über zwanzig Prozent gestiegen. Das sagt aber wenig über die Verteilung innerhalb der Industrie aus. In Führungspositionen tauchen Frauen so quasi nie auf. Ein Unverhältnis, das in krassem Widerspruch zur Gaming-Community weltweit steht, in der Frauen mittlerweile einen Anteil von fast 50 Prozent ausmachen.Gräben, wohin man blicktErschütternd sind die Zustände nicht nur in der Spieleindustrie. Die gesamte IT- und Tech-Branche liefert ein Armutszeugnis asymmetrischer Machtverhältnisse ab. Frauen besetzen weniger als 30 Prozent der Arbeitsplätze in der Branche. In Führungspositionen wird die Luft auch hier dünner. Nur elf Prozent Frauen arbeiten in Führungspositionen. Der Status quo ist durchlöchert von Gräben: Wage Gap, Promotion Gap, Degree Gap – you name it. Heißt: Frauen verdienen weniger, werden seltener befördert, machen seltener einen Abschluss in einem technisch-naturwissenschaftlichen Fach. Die Zahlen ändern sich nur schleppend.Und damit die (Miss-)Verhältnisse. Obwohl Diversity und Gender Equality doch mittlerweile zum guten Ton in jeder PR-Abteilung internationaler Unternehmen gehören. Und obwohl nachgewiesen ist, dass Diversität Vorteile bringt. Divers zusammengesetzte Teams arbeiten effizienter, stellen mehr Talente ein, haben motiviertere Mitglieder und schreiben bessere Zahlen. Warum also hält sich das Ungleichgewicht so hartnäckig und gegen alle ökonomische und ideelle Vernunft?Oft wird darauf verwiesen, dass das Problem darin liege, dass die Tech- und Games-Industrie eine lange Tradition männlicher Dominanz hätte. Dass eingefahrene Normen, etablierte Strukturen und tradierte Selbstverständlichkeiten erst aufgebrochen werden müssten, damit die vielfach beschworene Utopie von Diversity und Gender Equality Wirklichkeit werden kann. Das suggeriert, dass es sich um einen Emanzipationsprozess handle, bei dem es ja ganz üblich ist, dass er eben mit Rupturen verbunden ist und viel Geduld braucht.Das ist alles auch erst mal nicht falsch. Nur wird dabei eines vergessen: Die Geschichte von der Männerdomäne Tech, die nach und nach modern werde und sich anderen Geschlechtern öffne, ist konstruiert. Das ist deshalb wichtig, weil es mit einem weitverbreiteten Glauben aufräumt. Denn: Die Tech-Industrie hatte ihre Wurzeln nie im Männlichen. Es geht also vielmehr um eine Rückeroberung.Frauen werden sukzessive weggedrängtAm Anfang steht eine Frau, Ada Lovelace. Die britische Mathematikerin arbeitete im 19. Jahrhundert erstmals den Unterschied zwischen einer Rechenmaschine und einer Computerprogrammierung heraus. Ernst nimmt das damals niemand. Lovelace findet ein tragisches Ende. Ihre Rolle als Ehefrau und Mutter machte für sie das wissenschaftliche Arbeiten zunehmend unmöglich. In Korrespondenzen schreibt sie, dass sie eine unglückliche Ehe führe, weil neben Schwangerschaften und Kinderbetreuung so wenig Zeit für ihr Studium der Mathematik bliebe. 1843 erkrankt sie, wird depressiv und flüchtet in den Opium- und Brandy-Rausch. 1851 stirbt sie im Alter von 36 Jahren an bösartigem Gebärmutterhalskrebs.Lovelace ist längst nicht die einzige Frau, die den Tech-Bereich entscheidend prägt. Das arbeitet Sarah Jaffe in ihrem 2021 erschienen Buch Work Won’t Love You Back: How Devotion to Our Jobs Keeps Us Exploited, Exhausted, and Alone heraus. Bevor Programmieren renommierte Männerarbeit wird, die in Tech-Zentren wie Silicon Valley und Co. mit meist männlich konnotierter Geniehaftigkeit und Innovation verknüpft wird, bezeichnet der Begriff Computer kein Gerät, sondern eine händische Tätigkeit. Eine, die meist von Frauen ausgeführt wird. Während des Zweiten Weltkriegs sind vor allem Frauen dafür verantwortlich, die monströsen Rechenmaschinen zu bedienen, um das Kriegsgeschehen zu überwachen und feindliche Codes zu knacken.Ab 1942 wird in den USA der Electronic Numerical Integrator and Calculator (ENIAC) entwickelt – der erste rein elektronische Rechenautomat mit externer Programmsteuerung. Allerdings ist das Gerät immer noch auf Menschen angewiesen, um bedient zu werden. Es sind vor allem Frauen, die die Schalter des ENIAC betätigen und seine Kabel umstecken. 1945 schreiben sechs Frauen Geschichte: Jean Jennings, Marlyn Wescoff, Ruth Lichterman, Betty Snyder, Frances Bilas und Kay McNulty. Sie bedienen ENIAC, entwickeln die Maschine weiter. Zur ersten öffentlichen Präsentation des Computers im Jahr 1946 werden sie nicht eingeladen.Überhaupt ändert sich nach Kriegsende vieles. Frauen sollen in die heimischen Küchen und Kinderzimmer zurückkehren, das Konzept der Hausfrau dominiert die Gesellschaft. Männliche Programmierer wollen das Computing-Bild bewusst ändern. Denn: Man(n) will nicht in einem Bereich arbeiten, der einen weiblichen Ruf hat. Universitäre Studiengänge entstehen, in die vor allem Männer strömen. Die kollektive Arbeit am Gerät wie bei den Frauen um ENIAC wird abgewertet und die Computerarbeit umgedeutet zur geniehaften Tätigkeit des männlichen einzelgängerischen Tüftlers. Damit ändert sich das Gender-Profil des Tech-Umfelds radikal.Toys for BoysAls das ARPANET, der Vorläufer des heutigen Internets, Ende der 1960er Jahre im Auftrag der US Air Force unter der Leitung des Massachusetts Institute of Technology und des US-Verteidigungsministeriums entwickelt wird, ist die Maskulinisierung der Tech-Welt so weit vorangeschritten, dass keine Frauen mehr beteiligt sind.Als Games in Form der ersten Arcade-Games und Spiele wie Pong dazukommen, sind die nur eine Verlängerung der bereits männerdominierten Branche. Tech und Games werden als genuin männlich definiert. Und auch entsprechend vermarktet. Games sind lange Toys for Boys.Der Anteil der Frauen in der Informatik fällt rapide. Von noch fast 40 Prozent Frauen in den 1980er Jahren auf rund 20 Prozent heute. Für diese Umdeutung einstmals weiblich dominierter Bereiche gibt es einige Beispiele in der Geschichte. Gerade zu Kriegszeiten übernehmen Frauen nicht nur alle Arbeiten zur Versorgung der Familien, sondern auch quasi sämtliche Berufe – ob vormals männerdominiert oder nicht. Noch in der Nachkriegszeit richten sich auch in Deutschland Anleitungen für Elektroinstallationen, Dachdecker- oder Tapezierarbeiten explizit auch an Frauen.Die Zuschreibung der Geschlechterrollen ändert sich in Abhängigkeit männlicher Selbstverständnisse. Auch Lauren Klein macht das Problem deutlich. Sie beschäftigt sich als Professorin an der Emory University mit Data Feminism sowie Digital Humanities und meint: „Dieses Phänomen tritt in vielen Bereichen auf. Sobald ein Tätigkeitsbereich sichtbarer, wertvoller und professionalisierter wird, werden Frauen, die sich oft autodidaktisch bilden mussten, in diesem durch Männer ersetzt, die Zugang zu formeller Bildung und Einflussnetzwerken haben.“ Das ließe sich an vielen Stellen beobachten: „Deswegen gibt es mehr weibliche Köche, aber mehr männliche Chefköche oder mehr weibliche Hebammen, aber mehr männliche Ärzte.“ Derselbe Prozess habe in den 1960er und 1970er Jahren im IT-Bereich stattgefunden.Was sich ändern muss? AllesUnd jetzt? Ist die Verbindung Tech und Männlichkeit fest in den Köpfen verankert – obwohl sie relativ jung ist. Meint Cornelia Sollfrank, Pionierin der Netzkunst und eine der wichtigsten Vertreterinnen des Cyberfeminismus: „Die Gleichsetzung von technischer Kompetenz mit Männlichkeit ist auch bei uns eine relativ junge Entwicklung. Sie setzte ein mit der Industrialisierung, der industriellen Technikentwicklung und dann später dem Entstehen des Berufsbildes des Ingenieurs, der ja der Inbegriff weißer Männlichkeit ist“, so Sollfrank. „Die Verbindung von Männlichkeit und Technik wirkt sich bis heute aus auf das gesellschaftliche Rollenverständnis.“Sollfrank vermutet die Gründe dafür in Machtverhältnissen: „Das hat sicher etwas zu tun mit einer Hierarchisierung. Denn wer technische Kompetenz hat, hat mehr Macht und mehr Geld. Dass das den Männern vorbehalten sein soll, ist ein Aspekt des Patriarchats.“Was sich ändern müsse? Die Autorin Sarah Jaffe meint im Gespräch: „Alles.“ Das Problem bestehe vor allem darin, dass das System nicht nur Männer an sich privilegiere, sondern einen ganz bestimmten Typus des „männlichen Tech-Gurus“, der als Genie gefeiert wird. Ihr Beispiel: Elon Musk. „Stellt sich heraus, der männliche Genius existiert nicht, ist oftmals nur erfolgreich dank des Geldes anderer, der Reputation eines bestimmten Familiennamens oder er hat schlichtweg Glück gehabt.“Jaffe meint, dass es auch kaum helfen wird, ein paar einzelne Frauen, die es geschafft haben, ins Schaufenster zu stellen. Es bräuchte eine Veränderung des „kompletten ideologischen Rahmens“. Ein Rahmen nämlich, der das Narrativ individueller Brillanz zum Motor von Innovation und Fortschritt verkläre, anstatt das Kollaborative und Soziale in den Blick zu nehmen. Bis es so weit ist, bleibt eines allemal festzuhalten: Die Erzählung, Tech und Games seien typisch männlich, ist ein Märchen.Placeholder authorbio-1