Spiel die Tagesschau

Gaming Willst du das Heute kapieren, zock mal ein Newsgame
Ausgabe 35/2019
Screenshot aus dem Newsgame „The Amazon Race“, in dem man den Alltag in einem Amazon-Warenlager nachspielen kann
Screenshot aus dem Newsgame „The Amazon Race“, in dem man den Alltag in einem Amazon-Warenlager nachspielen kann

Screenshot: der Freitag, Quelle: ABC News „The Amazon Race“

Gamer haben nicht unbedingt den Ruf, sich intensiv mit dem Nachrichtengeschehen zu beschäftigen. Stattdessen bewegen sie sich in virtuellen Parallelwelten. In der analogen Realität trifft man sich höchstens mal bei Events wie der Gamescom vergangene Woche in Köln.

Gaming muss aber nicht unbedingt Realitätsflucht, sondern kann im Gegenteil auch ein regelrechtes Hineinwühlen in das Weltgeschehen bedeuten. In Deutschland wurde das spätestens 2013 klar, als mit Prism das erste deutsche Newsgame ins Netz gestellt wurde. Nach dem NSA-Skandal wollte der Entwickler und Journalist Marcus Bösch damit die Datenmassen erlebbar machen, die von dem US-Geheimdienst ausspioniert wurden. Arte konzipierte 2014 ein Newsgame, bei dem die Spieler*innen selbst über den Alltag in Flüchtlingscamps berichten.

(Schlechte) Nachrichten in ein Computerspiel verpacken? Was auf den ersten Blick ziemlich nerdig oder gar sarkastisch bis makaber klingen mag, ist grundsätzlich eine gute Idee: Während konventionelle Nachrichten zunehmend „snackable“ werden, kleinteiliger und tendenziell schneller getaktet, stehen bei Newsgames vor allem Zusammenhänge und das Verständnis von Hintergründen im Fokus. Durch den interaktiven Ansatz sind Nutzer*innen Teil des Geschehens, erleben also aktiv, statt nur passiv zu konsumieren.

Ein großartiges Beispiel ist The Amazon Race, ein Game des australischen Senders ABC News. Nutzer*innen erfahren dabei am eigenen (virtuellen und retromäßig grobpixeligem) Leib, unter welchem Druck das Personal in den Lagerhäusern des Versand-Giganten arbeitet. Beschwerst du dich über die viel zu eng getakteten Arbeitsschritte, bekommst du in den kommenden Tagen keine Schicht mehr. Arbeitest du nach Plan, ist nicht mal Zeit für Trink- oder Toilettenpause. Die eigene Familie kann sich nicht mehr auf dich verlassen, weil du ständig auf Abruf arbeiten musst. Das alles hat sich nicht irgendein Nerd ausgedacht, es fußt auf den Recherchen des Senders zu den Arbeitsbedingungen eines Amazon-Lagerhauses bei Melbourne. Beim Spielen wird vor allem der innere Druck deutlich: Egal, wie du dich entscheidest, es gibt nur Pest oder Cholera, oder eben Arbeitslosigkeit. Die Financial Times stellte 2017 mit dem Uber Game ein ähnliches Spiel online.

In Deutschland hat nun das Recherchezentrum Correctiv ein Newsgame herausgebracht. Bei Grand Theft Europe können Nutzer*innen in die Rolle Krimineller schlüpfen, die mit dem Betrugsmodell des Umsatzsteuerkarussells jährlich etwa 50 Milliarden Euro an Steuergeldern stehlen. Mit 34 anderen europäischen Redaktionen deckte Correctiv das Ausmaß des Betrugs auf.

Bisher hat es der Heiße-Scheiß-Status der Games aber noch nicht richtig in den Alltag der Newskonsumenten geschafft. Eins der Probleme: Die Entwicklung ist aufwendig und teuer. Zeit und Geld, zwei Dinge die in Medienhäusern aktuell nicht gerade aus dem Hintern sprießen. Die Plattform Newsgamer will die Hürden senken. Sie hat ein Tool entwickelt, mit dem Redaktionen Games zum Leben erwecken können, ohne alles von Grund auf selbst programmieren zu müssen. Die Idee dazu kam den Gründern kurz nach Trump und dem Brexit. Newsgames sehen sie als Mittel gegen Populismus und für eine besser informierte Wählerschaft.

Bevor solch vollmundige Verheißungen zu ernst genommen werden, steht aber noch eine andere Diskussion aus: Die Entwickler*innen bestimmen, wie die Recherchen als Spiel umgesetzt und wie Zusammenhänge und Fakten von Nutzer*innen wahrgenommen werden. Damit bekommt auch die Frage nach journalistischer Objektivität eine neue Dimension.

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