Donald Trump und die Folgen

Die US-Wahlen im Fokus! Die Demokratie in den Vereinigten Staaten von Amerika und hierzulande steht vor einer entscheidenden Bewährungsprobe, denn gewählt werden können auch deren Feinde.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Nach gängigen Definitionen ist es durchaus nicht falsch, vom zukünftigen Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, Donald Trump, als eines Faschisten zu sprechen. Doch ganz egal wie Trumps Handeln während des US-Wahlkampfs 2016 und sein jeweils aktuelles Tun verschlagwortet und definiert werden kann, es sollte dauerhaft als ein deutliches Signal erkannt und keinesfalls im kommenden politischen Alltag verharmlost werden. Denn diese Wahl Trumps ist eine Kampfansage, sie richtet sich innenpolitisch gegen alle, die nicht eindeutig für Donald Trump und dessen Weltbild sind. Weichgespülte Aussagen, er wolle nun Präsident aller US-Amerikaner sein, sind Teil seiner Propaganda, denn die ca. 25% der Wahlberechtigten, die ihn wählten, reklamieren ihn strikt für sich und sehen ihn als Speerspitze für ein Amerika nach ihrem Gusto. Das ist der Sache nach Teil der Spielregeln von repräsentativen Demokratien. Die Gefahr aber, die von der offen gewalttätigen Art und Weise ausgeht, Trumps radikalen Worten radikale Taten folgen zu lassen, zeigt sich im Alltag der Vereinigten Staaten mehr und mehr und wird Auswirkungen haben, selbst wenn Trump nur eine Wahlperiode an der Macht bleiben sollte. Aber ist das alles so sehr überraschend? Hatte man wirklich angenommen, „unsere“ Demokratie sei so eine Art Erbhof für ein fortschrittliches, auf den allgemeinen Menschenrechten beruhendes Miteinander? Konnte man denn nicht bereits im Vorfeld erkennen, immerhin fand ja eine Wahl statt, dass Trump möglich ist, so wie der Brexit möglich war? Wo doch am Ende des Tages nicht mehr Inhalte und Aussagen und Emotionen entscheidend sind, all die mitunter gefühlten Wahrheiten, sondern die nackten Zahlen? Als feststand, dass Trump die Wahl gewonnen hat, erinnerte ich mich jedenfalls wieder einmal lebhaft an eine Frage, die ich auf meiner Realschule in Westdeutschland Ende der 70er Jahre im Geschichtsunterricht dem Lehrer stellte, was denn passiere, fragte ich, wenn bei einer demokratischen Wahl die Faschisten gewönnen. Antwort: das könne nicht passieren! Punktum! Nächstes Jahr sind in Europa mehrere wichtige Wahlen – wollen wir mal hoffen, dass der Mann, zumindest was Europa betrifft, richtig lag.

Die kleinste Zelle

Totalitäre, rechte und rechtspopulistische Tendenzen fanden und finden sich in Europa, in Ungarn, Polen, Frankreich, Großbritannien, den Niederlanden, nicht zuletzt auch in unserem Land, in der Türkei, in den USA, in Russland und so weiter. Das (nicht mehr ganz so) Neue daran ist, dass diese Tendenzen sich nun mehr und mehr verdichten zu größeren handlungsfähigen Bewegungen und Parteien – und dass diese qua Wahlen in Parlamenten und Regierungen verstärkt in Erscheinung treten. Der Einfluss dieser Strömungen insgesamt darf, selbst wenn die zukünftigen Wahlen anders verlaufen als zu befürchten steht, in keiner Weise unterschätzt werden angesichts der tatsächlichen Lage auf den so genannten (nationalen) Arbeitsmärkten und angesichts der tatsächlichen, sozial-emotionalen Lage vieler Menschen in Europa. Auch für Deutschland sind nicht Umfrage-Zahlen entscheidend, die bestellten Erhebungen zum Thema Glück oder Zufriedenheit entspringen oder den etablierten Medien vom Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales als positive Zeichen, als Fakten verkauft werden, sondern das wirkliche Befinden der Menschen als je Einzelne. Nicht die Familie ist die kleinste Zelle der Gesellschaft, sondern der einzelne Mensch! Denn die am Ende entscheidenden nackten Zahlen bei Wahlen entstehen, indem nicht wenige, einzelne Menschen letztlich „aus dem Bauch heraus“ ihre Stimme abgeben. Auch ich selbst wähle, obgleich ich mir die Zeit nehmen und die Energie aufbringen kann und will, mir beständig Gedanken zu machen und mich zu informieren, letztlich aus einem mich quasi beschleichenden, fast schon fatalistischen Gefühl heraus – immerhin gebe ich meine Stimme ja tatsächlich ab und gewähre so wildfremden Menschen auf Jahre hin die Möglichkeit, politisch zu handeln. Ob das in meinem Sinne ist, sehe ich dann später. In Sachen Trump oder bei den letzten Landtagswahlen in Deutschland dürften allerdings eine Menge Menschen mit dem Gefühl gewählt haben, Trump bzw. die AfD werde tatsächlich etwas für sie tun. Einerseits ist das eine der Wurzeln der indirekten, repräsentativen Demokratie, Glaube und Vertrauen, andererseits legen gerade Trump und AfD die Axt an die Wurzel der mehr oder weniger liberalen, demokratischen Gesellschaften, in denen wir leben. Diesen mit echten Fakten zu belegenden, die Demokratie gefährdenden Zusammenhang aber adäquat dem „Wahlvolk“ zu vermitteln, scheint immer weniger zu gelingen – es ist sozusagen zu viel des Schlechten. Es reicht einfach nicht (mehr), in Zeitungen, auf (Kabarett-)Bühnen und in politischen Fernseh- und Radiosendungen den Menschen Stoff zu geben zum Selberdenken, zu viele wollen es offensichtlich gedacht bekommen in appetitlichen Häppchen, denen nur noch zuzustimmen ist. Empörung und Wut ersetzt Information und verantwortliches Handeln. Aufklärung war, so gesehen, gestern oder gar vorgestern.

Postfaktisch? Präfaktisch?

Das neuerdings angesichts emotionaler Wahlschlachten (und dummer Plakatwerbung) so oft fallende Schlagwort des Postfaktischen könnte genau genommen mit dem des Präfaktischen ersetzt werden. Zu viele Menschen, so scheint es, wollen die Informationen „von denen“ von vornherein nicht mehr. Sie sitzen dabei dem Fehler auf, zwingend anzunehmen, dass in den Zeitungen oder Nachrichtensendungen oder von den etablierten Parteien die Wahrheit verkündet werden müsse, reagieren allerdings nicht mit eigener Recherche, wenn sie denn Unwahrheit oder Lüge zu erkennen glauben, sondern vertrauen dem, was man eine partielle kollektive Wahrheit nennen könnte – wenn denn ausreichend viele, etwa bei den Pegida-Demonstrationen oder in den sozialen Medien, etwas für richtig oder falsch halten, ist das eben die Wahrheit. Auch das ist eine Art Demokratie, in der Form der direkten nämlich, in diesem Falle ohne den „Umweg“ über konkrete, seriös kontextualisierte Fakten und sich zur Wahl stellender Personen. Dass eine noch so große Demonstration de facto nur einen Bruchteil der Wähler darstellt, wird dann ebenso großzügig übersehen wie die Tatsache, dass nicht wenige Meldungen in den sozialen Medien, auf die man sich, wenn passend, gerne stützt, schlicht falsch sind. Hauptsache aber, die Meldung kommt nicht von „oben“, von „denen“, sondern von „uns“, aus dem „Volk“. Das Gefühl der Teilhabe und das, für sich und all die Gleichgesinnten etwas erreichen zu können, lässt hoffen und glauben. Selbst dass der Papst für Donald Trump ist.

Lieber ein Trump mit Schrecken als Neoliberalismus ohne Ende?

Der Kandidatin Hillary Clinton, das sollten wir nicht vergessen, wurde im US-Wahlkampf 2016 vorgeworfen, sie stünde dafür, dass alles so bleibt, wie es ist. Die West- und Ostküstenelite hätte also, so die Annahme, demzufolge weiterhin an allen relevanten Stellschrauben gedreht zu Lasten der Chancenlosen und Abgehängten. In der Tat spricht einiges dafür, Clinton als Bewahrerin des sich seit zwanzig, dreißig Jahren etablierenden Systems des Neoliberalismus sehen zu müssen. Margaret Thatcher, die wir ebenfalls nicht vergessen dürfen, sah als gewählte Premierministerin des Vereinigten Königreichs (1979–1990) die Gewerkschaften in Großbritannien als innere Feinde an und gab damit den Startschuss für das, was wir heute als eben diesen Neoliberalismus kennen und was im Sinne der Mächtigen, der Eliten, so gut funktioniert. Aber sind nun denn ein Donald Trump oder eine Marine Le Pen Gegner dieses Systems? Oder deren Verfechter und Profiteure? Und haben die Menschen recht, wenn sie glauben, Trump und Co. brächten den „einfachen Leuten“, den „Einheimischen“, das zurück, was viele in den letzten Jahrzehnten tatsächlich verloren haben, unter anderem die Möglichkeit, von ihrer Arbeit angemessen zu leben und somit teilzuhaben am gesellschaftlichen Geschehen und Fortschritt?

Byung-Chul Han schreibt in einem Gastbeitrag für die Süddeutsche Zeitungim September 2014 unter der Überschrift „Warum heute keine Revolution möglich ist“ zum Neoliberalismus folgendes: „Das neoliberale Herrschaftssystem ist ganz anders strukturiert. Hier ist die systemerhaltende Macht nicht mehr repressiv, sondern seduktiv, das heißt, verführend. Sie ist nicht mehr so sichtbar wie in dem disziplinarischen Regime. Es gibt kein konkretes Gegenüber mehr, keinen Feind, der die Freiheit unterdrückt und gegen den ein Widerstand möglich wäre.“ Rainer Mausfeld spricht in einem Vortrag („Warum schweigen die Lämmer?“, gehalten am 22.06.2015) an der Christian-Albrechts-Universität Kiel davon, Demokratie stelle aus Sicht multinationaler Konzerne vor allem ein Geschäftsrisiko dar, ja Demokratie und Neoliberalismus seien in der Tat unvereinbar. Ist dies so wie Mausfeld sagt und stellt man zusätzlich in Rechnung, dass rechte und rechtskonservative Parteien, oft im Gegensatz zu ihren Wahlversprechen, dem Neoliberalen durchaus nahestehen, so wäre Donald Trump eine willkommene Figur für den Neoliberalismus. Und dies nicht nur, weil er sich so trefflich als Zielscheibe eignet und damit teilweise ablenkt von anderen Problemen, sondern auch, weil er als Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika an vorderster Front in der Lage sein wird, die Demokratie an entscheidenden Punkten geschäftsfördernd dauerhaft zu beschädigen. Eine weitere sich daran anschließende Frage ist allerdings, ob die liberale Linke in ihrer Gesamtheit und aus ihrer momentanen Schwäche heraus es womöglich bitter nötig hat, gleichsam aus populistischen Gründen auf einen Feind marschieren zu können, der in den USA als Donald Trump erscheint, in Frankreich als Marine Le Pen und in Deutschland als Pegida und AfD? Ist dem so, dann ginge die liberale Linke womöglich den rechten Bewegungen und Parteien trefflich auf den Leim und folgte ihnen auf das angebotene öffentliche Schlachtfeld, auf dem diese dann mit ihren Mitteln, dem nicht zuletzt durch soziale Medien ermöglichten Populismus, agieren können, jenseits aller traditionellen Medien, die weiterhin passgenau und höchst wirksam als „Lügenpresse“ abserviert werden.

Was also tun, was lassen?

Den politisch linken und liberalen Bewegungen wird zuweilen vorgeworfen, sie hätten den Populismus verlernt. Es fehle ihnen an charismatischen Persönlichkeiten, die die Massen erreichen und begeistern können. Donald Trump scheint, das muss man so konstatieren, für nicht wenige Menschen eine solche Persönlichkeit zu sein. Wladimir Putin und Marine Le Pen ebenso. Alle aus der rechten bzw. totalitären Ecke, alle mit einem sehr deutlich antiliberalen Habitus ausgestattet. Wo also bleibt die liberale Linke? Wie sieht es aus mit einem linken Populismus, mit dem sich Wahlen gewinnen ließen? Joschka Fischer, wir erinnern uns, war zwar durchaus ein Populist aus dem mehr oder weniger linken Lager, kaum aber massentauglich, auch dann nicht, als er es sich im Establishment staatstragend bequem gemacht hatte. Auch ein Oskar Lafontaine agierte zu seiner Zeit gerne populistisch mit rechten Parolen, eine Sahra Wagenknecht hat aktuell durchaus die ein oder andere volkstümliche Bemerkung in ihrem Portfolio, quasi in der Hinterhand. Gregor Gysi, der einzig brauchbare linke Populist, war und ist in Wirklichkeit keiner, weil er eher mit Argumenten besticht denn mit Parolen. Keine Aussicht also, nirgends? Aber, so frage ich, ist es denn überhaupt notwendig, in populistischer Art und Weise, in quasi us-amerikanischer Manier einen Wahlkampf zu gestalten? Sollte den Wählern und Wählerinnen nicht zugetraut werden, sich jenseits des Wahlkampfgetöses eingehend zu informieren und dann eine begründete Wahl zu treffen? Politik also ohne populistisches Gehabe auf dem Niveau schlechter Werbekampagnen? Geht das? Ginge das? Ging das überhaupt je? Wir werden 2017 angesichts der nächsten Bundestagswahl sehen, was Politiker und Wähler aus dem Debakel in den USA gelernt haben. Fast wäre zu hoffen, die negativen Folgen der Wahl dort zeigten sich so schnell wie möglich und eben dies hielte in Deutschland und anderen Ländern Europas möglichst viele Menschen davon ab, auf billige Parolen und Versprechen hereinzufallen. Wir werden sehen!

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden