französisches Tagebuch, Stine un hör Büdel

Geld und Kultur Es ist schön, dass die allgemeine Verblödung noch nicht bis in die letzten Winkel Europas vorgedrungen ist.

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Heute habe ich bei Michèle eingekauft und 14.50 Euro bezahlt. Michèle betreibt den kleinen Laden im Dorf, wo es von Brot über Zahnpasta bis Strümpfe und Hausschuhe alles gibt. Für mich ist es zudem lebendiger Sprachunterricht, denn wir tauschen alle Tratschgeschichten des Dorfes aus. Andere erzählen ihre Sorgen, erfahren wichtige Termine und sie versorgt die, die nicht mehr laufen können mit Lebensmitteln. Für meine 14.50 habe ich Milch, Butter, Eier, Käse, Gemüse, Wasser und Kekse bekommen. Obwohl ihre Waren teurer sind als die im Intermarché, gebe ich in ihrem Laden sehr viel weniger aus und habe alles, was wir brauchen. Und zusätzlich vergnügliche Kommunikation. Natürlich kaufen wir auch im Intermarché ein. Z.b. ein bestimmtes Katzenfutter in Mengen, das sie nicht hat oder Waschmittel. Bei rechtem Licht besehen, könnten wir auch das bei ihr kaufen. Jedoch, da ist ein gewisser Sog, der von diesen großen Supermärkten ausgeht. Sie fangen dich ein, umkreisen dich, becircen dich, du bist wie der arme Seemann, der den Sirenen zum Opfer fällt. Und mit einer Rechnung von 14.50 komme ich dann nicht hin auch wenn alles "ganz billig" ist. Aber weil die großen Supermärkte so weit weg sind , kommen wir hier sehr preiswert über die Runden.

Noch deutlicher ist es bei der Kleidung. Seitdem wir hier wohnen, gebe ich nur noch einen Bruchteil meines Budgets für Kleidung aus. In Deutschland verdoppelt und verdreifacht sich die Summe sofort. Wobei wir hier auch nicht in Säcken rumlaufen. Auch für kulturelle Events zahlen wir wenig. Echt gute Filme laufen auch in der tiefen Provinz regelmäßig für 5.00Euro. Im Juli und August gibt es Konzerte und Theater im Rahmen der "nuits romanes"vom Feinsten .... umsonst. Und auch in den übrigen Monaten gibt es Kunst, Musik und Theater für jedes Portemonnaie.

Frankreich ist dennoch kein billiges Land, Wohnung, Kleidung und Lebensmittel sind teurer als in Deutschland und doch geben wir hier weniger Geld aus. Die Kommerzialisierung und die Werbewelt ist noch nicht bis in alle Ritzen gedrungen, hat noch nicht alles kontaminiert. Bei einer Gratistheateraufführung im Freien auf einem Dorfplatz, sagte der Weltgeist dem Menschen, der sich mit Fortschritt gegenüber dem Mittelalter brüstete :" Keiner von Euch glaubt mehr an das "Böse", aber ihr bedient es eifrig." (Zusammenhang: die Postdemokratie, Willkür der Wirtschaftsmächte und Spekulanten, der Graben zwischen arm und reich, Kriege etc.....) In meiner deutschen ländlichen Ecke gibt es dann eher Heimatstücke mit Titeln wie:"Stine un hör Büdel, wat'n Tüdel."

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Geschrieben von

Novalis

lebt halb in Frankreich, halb in Deutschland, suchte die Blaue Blume, fand sie und erkannte, dass Realität Illusion ist und Illusion Realität.

Novalis

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