Es sollte die Überlebensgarantie des wichtigsten Judikativorgans unserer Republik werden – jetzt ist alles aus. CDU und CSU haben Gespräche über eine Verankerung einzelner Strukturen der Verfassungsgerichtsbarkeit im Grundgesetz abgebrochen, wie die ARD am vergangenen Donnerstag berichtete. Unter dem Eindruck des Erstarkens der AfD wollte die Ampelkoalition das Bundesverfassungsgericht vor politischer Einflussnahme schützen.
Zurecht äußerten die regierenden Parteien sofort Kritik am Rückzug der Union. Der Versuch einer ernsthaften Analyse des Merzschen Kalküls bleibt dabei überwiegend aus. Konstantin von Notz (Grüne) etwa nennt den Abbruch der Verhandlungen „politisch entweder naiv oder in höchstem Maße fahrlässig
t den Abbruch der Verhandlungen „politisch entweder naiv oder in höchstem Maße fahrlässig“ und verkauft uns damit ein und dieselbe Einschätzung zum Preis von zwei: Sie wissen es einfach nicht besser. Hanlon’s Razor ist eine Regel, die 1980 in dem Witzebuch „Murphy's Law Book Two“ erschien: Never attribute to malice that which can be adequately explained by stupidity. Gehe nie von Bösartigkeit aus, wenn Dummheit als Erklärung genügt. Leider wird die zweite Hälfte gerne vergessen. Manchmal genügt Dummheit eben nicht als Erklärung.Die AfD versucht bereits Einfluss auf die Justiz zu nehmenDie Forderung, das Bundesverfassungsgericht vor der AfD zu schützen, ist eine Lektion sowohl aus Erfahrungen mit der Partei in den Parlamenten als auch aus anderen Staaten mit autoritären Kräften. Mancher rechte Regierungschef doktert gleich als erste Amtshandlung an den obersten Justizorganen herum, bei manchen markieren entsprechende Reformen nach Jahren den Übergang in einen vollends willkürlichen Regierungsstil. Die USA, Polen oder die Türkei sind nur einige Beispiele. So oder so, ob ruckartig oder schleichend, eine Umgestaltung des Rechtssystems durch die AfD ist eine Frage der Kräfteverhältnisse und die Union weiß das. Die diversen Sabotagen parlamentarischer Prozesse durch die Partei, den Missbrauch von Frage- und Rederechten, die Einstellung von Neonazis als Mitarbeiter, all das hat auch der letzte CDU-Hinterbänkler mitbekommen.Ende Januar wusste es die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Andrea Lindholz (CSU) noch: „Wir teilen die Sorge der parteipolitischen Einflussnahme auf die Justiz und insbesondere das Bundesverfassungsgericht“, hatte sie damals den Zeitungen der Funke Mediengruppe gesagt. „Dieses wichtige Thema sollte auf breiter Basis diskutiert werden.“ Keinen Monat später erklärte Lindholz der Rheinischen Post, für die Stabilität sei „gute Sachpolitik, die die Menschen überzeugt, weitaus wichtiger als eine öffentliche Debatte über Grundgesetzänderungen.“Der radikale Konservatismus der UnionDieser Sinneswandel um 180 Grad ist natürlich kein plötzlicher Anfall von Naivität, sondern ein Strategiewechsel. Was die Union vom Rechtsstaat hält, hat sie nicht nur in Maskendeals, Amthor-Affäre und Aserbaidschan-Connection gezeigt. Auch Grund- und Menschenrechte, die zur materiellen Rechtsstaatlichkeit gehören, attackiert sie offen, etwa wenn der Parlamentarische Geschäftsführer Thorsten Frei mal eben das Asylrecht abschaffen oder Jens Spahn bei Markus Lanz die Menschenrechtskonvention zur Debatte stellen will. CDU/CSU stehen heute für einen radikalisierten Konservatismus, der keine zivilisatorischen Standards mehr kennt. Wo manch Grüner sich an seine Täuschungen klammert, um bloß nicht enttäuscht zu werden, bleibt für den denkenden Teil der Bevölkerung nur eins. Sich auf einen Angriff auf die Rechtsstaatlichkeit einzustellen, der nicht von einer rechten Partei ausgeht, sondern von drei.