Wirft man einen Blick in den TikTok-Feed, bleibt dieser für gewöhnlich an normschönen, tanzenden und vor allem jungen Körpern hängen. Maximilian Krah lockt mit dem Gegenteil: ein Mittvierziger, hemdsärmelig, der Kragen ist offen, aber steif; der Scheitel locker, das Auftreten nicht. Mit stechendem Blick und in schnellen Schnitten sendet er Du-Botschaften: „Du hast die Wahl!“ oder „Dann geht es endlich um dich und um uns als ein Volk“. Er will vom „Schuldkult“ der Deutschen befreien, hetzt gegen die Ukraine-Politik der Bundesregierung und brandmarkt selbst rechtskonservative CDU-Politiker wie Friedrich Merz als „woke“ Handlanger einer „das deutsche Volk“ zersetzenden Verschwörung.
Maximilian Krah i
schwörung.Maximilian Krah ist Europaabgeordneter und Spitzenkandidat der AfD für die Europawahl im Juni. Mit gut sechs Millionen Gesamtklicks und knapp 38.000 Followern bewegt er sich im Mittelfeld, was die Reichweite politischer Inhalte auf TikTok angeht. In der AfD übertrumpft ihn vor allem der sachsen-anhaltische Landtagsabgeordnete Ulrich Siegmund. Dessen Videos bekamen bisher insgesamt 4,7 Millionen Likes und machen ihn mit gut 372.000 Followern zum prominentesten deutschen Politiker auf TikTok – dicht gefolgt von Sahra Wagenknecht. Doch neben einzelnen Ausnahmen wie dem Thüringer Landtagsabgeordneten Lutz Liebscher von der SPD, der für seine Sketches so viele Likes wie Siegmund generieren konnte, schneiden die anderen Parteien im Ringen um Sichtbarkeit verhältnismäßig schlecht ab. Besonders bei der Anzahl der Impressionen, also der Angabe, wie oft der Algorithmus einen bestimmten Inhalt anzeigt, liegt die AfD-Bundestagsfraktion mit 430.000 im Jahr 2023 vorne. Die FDP belegt Platz zwei – mit rund 53.000.Der chinesische Konzern ByteDance als GatekeeperMit TikTok und entsprechendem Marktdruck hat der chinesische Konzern ByteDance schon seit einiger Zeit vor allem bei jüngeren Nutzern die Gatekeeper-Funktion alter Massenmedien übernommen. Informationen über das Geschehen in der Welt erhalten viele Menschen zuerst oder gar ausschließlich über diese App. Die Content-Formate anderer Plattformen passen sich an die Kurzvideos von TikTok an: Instagram Reels und YouTube Shorts sind die prominentesten Beispiele. Auch die Bundestagsfraktion und die Landtagsfraktionen der AfD haben diese Verschiebung verstanden: Der offizielle Account der AfD grast mit sarkastischen und hetzerischen Schnipseln von AfD-Bundestagsreden das unterhaltungsmediale Ödland zwischen heute-show und Parlamentsfernsehen ab – und erreicht damit regelmäßig sechsstellige Klickzahlen.Die Kommunikationsstrategie der AfD scheint zunehmend auf das Medienformat TikTok ausgerichtet. Damit kann sie Publikum weit jenseits ihrer Kernklientel erreichen. Das liegt zuvorderst am Aufbau der Kurzvideoplattform: Durch algorithmisch gesteuertes Zuspielen von Inhalten auf die zentrale For-You-Page – ein kontinuierlicher Stream, der eigene Konsumvorlieben mit Plattformtrends und standortspezifischen Formaten vermengt – können gut platzierte Videos schnell eine hohe Reichweite erlangen, ohne dass man davor mühsam Follower generiert haben muss. Viel hilft dabei viel: Beharrliches Posten erhöht die Chancen, geboosted, also vom Algorithmus befördert zu werden.Reichweite von Alice WeidelsIm Vorteil ist außerdem, wer die Eigenheiten der Plattform zu nutzen weiß: Kurze Videos mit klaren, verfänglichen Botschaften, sogenannten Hooks, die emotionalisieren oder provozieren; das Nachahmen von Trends und Challenges; und die populären Gestaltungstools von TikTok – Filter, Soundtracks und Funktionen wie Stitch und Duet, bei denen Originalvideos in das eigene Video kommentierend eingefügt werden – tragen zur optimalen Verbreitung der eigenen Botschaft bei.Dabei können einmal geteilte Ausschnitte von Reden oder Interviews von AfD-Politkern wie Alice Weidel variiert und an die Plattformtrends angepasst, vervielfacht ausgespielt werden. Beispiele für eine solche Viralität finden sich unter dem Hashtag #aliceweideledit: Hier ergötzen sich nicht nur von rechten Netzwerken beförderte Fan-Armeen am diskreten Charme des Autoritarismus der AfD-Fraktionschefin. Auch kritisch kommentierende oder Weidel verhöhnende Inhalte tragen zur Reichweite von Weidels Botschaften bei.Ungehemmtes bevorzugt der TikTok-AlgorithmusMenschenverachtende Inhalte werden so in Form leicht konsumierbarer Memes popularisiert. Sie tauchen plötzlich zwischen Filmparodien, Nageldesign-Tutorials oder KI-generierten Unterhaltungsclips auf. So schraubt einen die algorithmische Spirale von TikTok von oberflächlich witzigen Videos, in denen irritierende Interviewausschnitte der Politikerin mit der Stitch-Funktion in andere Videos montiert wurden, zu Hetztiraden über die Regierung oder rassistischen Brandreden.Der Versuch von TikToks Moderationsteams, rechtsextreme Inhalte und Accounts zu reglementieren, zeigt bisher nur bedingt Wirkung. Auf TikTok wird Ungehemmtes algorithmisch bevorzugt, die Plattform funktioniert über Interaktion: Wenn genug Menschen Inhalte teilen, hilft auch das Löschen oder Blockieren von Accounts nicht mehr. Botschaften bleiben in Umlauf, unabhängig vom Sender.Ganz egal ist der Sender aber nicht, denn TikTok eignet sich bestens für die Popularisierung von Politikern. Dabei gilt es, sogenannte parasoziale Beziehungen aufzubauen – intime Beziehungen zwischen Influencern und Plattformnutzern, die durch regelmäßige Interaktion und gezielte emotionale Ansprache so dicht gestrickt werden, dass auch Dritte wie Eltern, Freunde und Lehrer Schwierigkeiten haben, diese zu beeinflussen. Eine Beziehung, die aus Sicht der AfD besonders für Radikalisierungsprozesse erstrebenswert ist.„Also los, lasst uns Krieg führen!“Hinter dem Erfolg der AfD steht auch ein Erkenntnisgewinn der neuen Rechten. Im September 2023 fand in Schnellroda die Sommerakademie des Instituts für Staatspolitik (IfS), dem Thinktank des neurechten Antaios-Verlegers Götz Kubitschek, statt. Mit kämpferischer Ansage begrüßte Kubitschek dort seine Gäste: „Also los, lasst uns Krieg führen!“ Damit war auch der Schauplatz TikTok gemeint. Kubitschek stellte in Schnellroda den passenden Strategen dafür vor: Erik Ahrens, Social-Media-Berater des Abgeordneten Krah.Vormals in der linken Szene Frankfurts verankert, folgte Ahrens 2021 dem Vorbild prominenter politischer Wendehälse wie dem Rechtsaußen-Publizisten Jürgen Elsässer oder dem ehemaligen RAF-Anwalt und späteren Neonazi Horst Mahler. Ahrens gründete ohne viel Echo ein rechtes Onlinemagazin, auf X vertritt er offen rassistische und frauenverachtende Positionen. Zur erhofften szeneöffentlichen Anerkennung verhalf ihm schließlich die Gründung der rechten E-Learning-Plattform „GegenUni“ – eine Unternehmung, die sich durch Mitgliedsbeiträge finanziert und Seminare von Rechtsextremen wie Martin Sellner und AfDlern wie Joachim Paul oder Erik Lehnert anbietet. Weitere Kooperationen mit den vom Verfassungsschutz beobachteten Organisationen Identitäre Bewegung (IB) und der Jungen Alternative förderten Ahrens’ Aufstieg zum vermeintlichen Impulsgeber und Insider der neurechten „Bildungselite“.Ein Rechter fühlen sich an das Radio 1923 erinnertAls solcher inszenierte sich Ahrens zumindest in Schnellroda. In seinem Vortrag „TikTok von rechts“ betont er das revolutionäre Potenzial von TikTok gegenüber herkömmlichen Mobilisierungsmedien: „So wie man sich 1923 gefühlt hat, als das Radio erfunden wurde, so fühl ich mich, wenn ich meine TikToks anschaue.“ Aus seinem propagandistischen Ansatz macht der 29-Jährige keinen Hehl: Er will die Altersgruppe zwischen 14 und 19 Jahren – mit knapp 56 Prozent die größte Gruppe der gut 21 Millionen TikTok-Nutzer in Deutschland – als Jungwähler und kulturelle Träger neurechter Ideologie gewinnen: „Man hat 90 Minuten am Tag ein Fenster in deren Gehirn, wo man reinsenden kann.“ 90 Minuten ist die durchschnittliche Zeit, die Jugendliche täglich auf TikTok verbringen. Ahrens wird in Medienberichten immer wieder zum rechten Chefstrategen stilisiert – auch das gehört zum Gelingen der Öffentlichkeitsstrategie.Doch was macht die Wirkung von AfD-Influencern aus? Bei Maximilian Krah lässt sich das anhand seines auf den ersten Blick abseitigen Auftretens erklären, das man als „boomer cringe“ bezeichnen kann. Grüßte Krah anfangs mit „der Krah kräht“ und griff unbeholfen auf das Querformat zurück, kam im Mai 2023 die Wende zum Erfolg: Die Videos wurden kürzer, Krahs Sätze auch. Schwülstige Ausführungen über männliche Tugenden wichen kantigem Marketing-Sprech: „Echte Männer sind rechts!“ Trotz strategischer Aufwertung wirkt Krah, der oft über die eigenen Worte stolpert, dessen Blicke hektisch neben die Kamera abschweifen, noch immer unbedarft, etwas verloren in der Mechanik der Algorithmen. Es ist genau dieses Amateurhafte, das in TikToks Algorithmus verfängt.Demokraten müssen in die popkulturellen Untiefen von TikTokBestimmend ist dafür eine verquere Ästhetik des Alternativen, die die AfD medial und modisch schon seit Parteigründung beherrscht und die nun neue Qualitäten der Mobilisierung entfaltet: Den einen gilt die unbeholfene Stillosigkeit als Ausweis von Echtheit und anti-elitärer Nahbarkeit – als Gegenbild zu Berufspolitikern. Den anderen gilt sie als Anlass zu distanzierendem Spott, der sich in Form von Kommentaren, geteilten Videos und ironischen Nachahmungen zeigt – als Nutzer-Interaktionen also, die die Reichweite rechter Accounts, rechter Politiker und rechter Ideen ebenso wachsen lassen.Für die algorithmische Spirale von TikTok ist vor allem wichtig, dass Inhalte bewegen. Und Bewegung passiert noch immer dort, wo der Bruch mit Gewohnheiten aus der Starre zwingt. Mögen die politischen Ideen der AfD noch so sehr ideologische Starrheit propagieren, im Kontext der Plattform funktionieren sie in polarisierender Ambivalenz: Was nicht leicht zuzuordnen ist, verfängt. Mehr noch, als die AfD medial zu kritisieren, sind Demokraten gefordert, ihre derzeitige Bewegtheit auf den Straßen auch in den popkulturellen Untiefen von TikTok unter Beweis zu stellen – ohne ästhetische Scheuklappen, mit besserem Content: Den Unterschied macht dabei nicht, wer die AfD kontert, sondern wer ihr die Show stiehlt.
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